Ein Kuss für die Presse

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Er fragte sich nicht zum ersten Mal, was er hier eigentlich tat. Er hatte seinen Arm um seinen besten Freund geschlungen und grinste in Richtung der Scharen von Kameras, hinter denen sich Reporter befanden, die begierig jedes Wort verschlangen, welches ihre Münder verließ. Das Blitzlicht blendete den Mann und sein Grinsen wurde immer unechter, bis ihm die Gesichtsmuskeln schmerzten.
"Könnten Sie sich küssen? Nur ein Kuss?", rief einer der frechen Journalisten und hielt die Kamera bereit, um ein Foto von dem gewünschten Moment zu machen.
John, der so einiges zu tolerieren bereit war, starrte den hageren Mann hinter der Nikon sprachlos an. Er fand es unverschämt, dass er überhaupt danach gefragt hatte. Sherlock, der neben ihm stand wie eine Statue, warf ihm einen kurzen Seitenblick zu, der Bände sprach.
"Das kannst du mal gerade vergessen!", zischte der Arzt seinem Mitbewohner zu, doch dieser ließ sich nicht beirren und im nächsten Moment landeten dessen Lippen auf seinen eigenen. Sie verharrten für wenige Sekunden so, keiner von beiden regte sich und das Blitzlichtgewitter schien gar nicht mehr aufhören zu wollen, bis sie sich lösten.
"Genug jetzt, wir müssen nach Hause!", rief der Detektiv den Journalisten zu und dann machten sie sich, Hand in Hand, aus dem Staub. Kaum sind sie hinter einer Hausecke verschwunden, ließen sie sich eilig los und John steckte seine Hände demonstrativ in die Taschen seiner Jacke. Er starrte stur auf den Boden und hatte überhaupt keine Lust, ein Gespräch mit seinem Freund zu führen, der ihn wenige Minuten zuvor geküsst hatte.

Das ganze "Wir-sind-ein-Paar-Gehabe" hatte nichts mit einer echten Beziehung zu tun, sondern mit einem Fall. John ist überrascht gewesen, als Sherlock ihn wie aus dem Nichts darauf angesprochen hatte.
"Wir müssen uns etwas einfallen lassen, um an diese Ms. Lopez ranzukommen. Sie ist ausgesprochen gerissen und wahnsinnig gut in dem, was sie tut", hatte er gesagt und ihn ernst angesehen.
"Und was schlägst du vor?", der Arzt hatte sich von seinem Blog abgewandt und seinen Freund neugierig angesehen, denn auch er hatte Interesse daran, die Nachahmerin von Magnussen in die Finger zu kriegen.
"Wir spielen für die Presse ein Paar. Sie weiß, dass wir ihr auf den Fersen sind und dann wird sie dich kidnappen, was mich direkt zu ihr führt."
John ist sich nicht sicher gewesen, welchen Teil des Plans er dämlicher fand.
"Also erstens, wir werden ganz sicher kein Paar spielen! Und zweitens werde ich mich auch nicht von einer irren Erpresserin kidnappen lassen! Das ist der wohl blödeste Plan, den du je vorgeschlagen hast!", hatte er sofort protestiert. Doch wie es so oft war, hatte der große Sherlock Holmes diese Diskussion gewonnen, ohne jedoch zu verstehen, wieso John sich so gegen den Pärchen-Teil ihres Plans sträubte.
Die Wahrheit war nämlich, dass dieser nichts sehnlicher wünschte, als dass sie tatsächlich ein Paar waren und es nicht bloß der Presse vorspielen mussten. Doch daraus würde niemals etwas werden und das wusste er.
Anfangs hatten sie nur möglichst offensichtlich auf den Straßen Händchen gehalten und sich lange und innig umarmt. John hatte immer Angst gehabt, dass sein Partner sein rasendes Herz hören konnte, doch wenn es so war, hatte er ihn nie darauf angesprochen.
Die Presse ist sofort darauf angesprungen und seit Tagen konnten sich die Londoner an Überschriften wie "Der Detektiv und sein Blogger - endlich ein Paar" oder "Johnlock ist zur Realität geworden" erfreuen. Nur John freute es überhaupt nicht, denn er konnte den Gedanken kaum ertragen, dass alles nicht echt war. Dass er Sherlock nicht so viel bedeutete, wie er sich wünschte und wie die Presse es glaubte. Der Plan ging auf, sie hatten jede Menge Aufmerksamkeit auf sich gezogen, doch ob Ms. Lopez darauf anspringen würde, war die andere Frage.
Die klärte sich allerdings wenige Tage nachdem ihr Kussfoto es auf die Titelseite jeder Zeitung Londons geschafft hatte.
John hatte die Wohnung eilig verlassen, nachdem Sherlock ihm triumphierend das Foto gezeigt hatte. Der Arzt hatte gespürt, wie sich ein Knoten in seinem Magen gebildet hatte und dann hatte er die Flucht ergriffen. Es war ein regnerischer Tag in London und das lockte die Bewohner nicht gerade aus ihren Wohnungen. Die Straßen waren leer und der Mann vergrub die Hände tief in seinen Taschen. Er hatte sie zu Fäusten geballt und versuchte sich abzuregen, was allerdings schwierig wurde, denn in jedem Kiosk sprang ihm dieses eine Foto ins Auge und wollte ihn nicht so recht loslassen. Als ein Auto vorfuhr, hob er den Kopf und beschleunigte seinen Schritt unauffällig.
Als die Tür sich öffnete, eine Hand ihn am Arm packte und er ins Auto gezogen wurde, wusste er, dass ihr Plan aufgegangen ist. Mit rasendem Herzen und schnellem Atem presste er sich an helles Leder, mit dem die Sitze des teuren Wagens ausgekleidet waren. Eine dunkle Scheibe, die es ihm nicht gewährte hindurchzusehen, verdeckte die Sicht auf den Fahrer. Neben ihm saß ein schweigsamer Mann, der demonstrativ wegsah. Er sah nicht gerade aus wie jemand, dem man gerne begegnen würde. Es blieb John nicht viel anderes übrig, als aus dem Fenster auf die Straße zu sehen. Keine Menschenseele war dort und ein Hilferuf hätte nichts gebracht. Verzweifelt rüttelte er am Türgriff, doch sie war abgeschlossen. Verärgert ließ er sich wieder in seinen Sitz fallen und verschränkte die Arme. Sherlock konnte was erleben.

Johnlock Oneshots Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt