Was er ihm sagt

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Zweiter Teil zu "Was er hätte sagen wollen".
Auf Wunsch von @Adri_Psv und @FelleyDraws 🙃

Die Zeit verstrich und John wartete vergebens. Er hatte gehofft, dass der Mann, den er liebte, zurückkehren würde, doch seit dem Brief sind genau fünfhundertzweiunddreißig Tage vergangen. Bei dieser Zahl musste er traurig lächeln, denn genau so lange brauchten die Zehen im Kühlschrank, bis das Experiment vollendet war. Aber es war kein Sherlock da, der die Zehen untersuchen würde.
Der Arzt sah dies als einen Anlass, für einen Tag in die Baker Street zurückzukehren, aus der er vor einem Jahr ausgezogen ist. Eigentlich wollte er endlich mit diesem Teil der Vergangenheit abschließen, Sherlock vergessen, doch das war leichter gesagt als getan. Eigentlich war es beinahe unmöglich, auch, wenn er jetzt mit Mary zusammen war, die er vor einigen Monaten kennengelernt hatte. Ursprünglich hatte er sich vehement dagegen gewehrt, Gefühle für eine andere Person zu entwickeln, doch bei dieser Frau hatte es klick gemacht und er kam nicht umhin, für sie zu schwärmen.
Und auch wenn sie in einer glücklichen Beziehung waren, lag er Nachts wacht und wünschte sich nichts sehnlicher, als dass Sherlock zurück in sein Leben trat. Er trug den mittlerweile ziemlich zerknitterten Brief immer bei sich und las ihn wieder und wieder. Und jedes Mal, wenn er die Stelle des 'Ich liebe dich auch, John Hamish Watson' erreichte, musste er kräftig schlucken und strich andächtig über die Worte, dessen Tinte langsam verblasste. Er wusste nicht, ob sein Freund tatsächlich noch am Leben war, oder ob er bei seinen Machenschaften gestorben ist. Diese Ungewissheit brachte ihn manchmal fast um. Wenn er bloß wissen würde, wie er Mycroft erreichen konnte, könnte er ihn fragen. Doch der vielbeschäftigte Mann meldete sich mit keiner Silbe bei ihm und manchmal fragte er sich, ob er ihm überhaupt von Sherlocks Tod berichtet hätte. John fand für beide Antwortmöglichkeiten gute Argumente und seufzte wieder. Diese Gedanken würden wohl nie aufhören ihn heimzusuchen.
Der Bus hielt an der Haltestelle, die der 221B Baker Street am nächsten war und er stand auf, um ihn zu verlassen. Als die Türen sich hinter ihm schlossen und er alleine dort stand, starrte er gedankenverloren die Straße hinab. Sie war ihm so vertraut, so lange ein fester Teil von ihm gewesen, dass ihr Anblick schmerzte. Langsam ging er los, kam an den altbekannten Fassaden und Läden vorbei, bis er die dunkle Haustür mit den vier Zeichen sah und sich etwas in seiner Brust zusammenzog. Lange stand er vor ihr und berührte vorsichtig die Zahlen, ehe er die Tür aufdrückte.  Entgegen seiner Erwartungen war Mrs. Hudson nicht da, um ihn überschwänglich zu begrüßen. Vielleicht war es auch besser so, denn er hätte ihre gute Laune gerade nicht ertragen können.
Das Wohnzimmer sah noch genauso aus, wie er es hinterlassen hatte, als er ausgezogen ist. Er hatte kaum etwas mitgenommen, weil ihn alle seine Sachen an den Teil seines Lebens erinnert haben, den er so schmerzlich vermisste. John widerstand dem Drang, sich in Sherlocks Sessel einzurollen und zu weinen, wie er es so oft getan hatte. Er stand noch immer im Türrahmen, als er seltsame Geräusche aus der Küche vernahm. Mit zusammengezogenen Augenbrauen durchschritt er das Wohnzimmer und öffnete die Schiebetür, die ihm die Sicht auf die Küche versperrte.
Er musste sich mehrmals die Augen reiben und bekam den Mund nicht mehr zu, als er auf den Rücken eines Mannes starrte, welcher geschäftig im Kühlschrank rumwühlte und dabei irgendetwas vor sich hin murmelte. Geräuschvoll ließ der Arzt seine Tasche auf den Boden fallen, was den Mann vor dem Kühlschrank dazu brachte, sich umzudrehen.
„Mrs. Hudson, ich habe doch-“, er stockte, als er John sah, welcher ihn mit ebenso großen Augen anblickte. Ein Lächeln schlich sich auf die Lippen des Lockenkopfes, welcher geistesgegenwärtig die Tür des Kühlschranks schloss.
„John, es ist gut dich zu sehen. Wo hast du die Zehen hingetan?“, fragte er und der Angesprochene blinzelte ein paar Mal.
„Sherlock“, hauchte er immernoch völlig neben der Spur. Er konnte es nicht fassen, dass er seiner großen Liebe endlich gegenüber stand.
„Ja, so heiße ich. Also, wo sind die Zehen?“
Empörung kroch in John hoch, als er die Frage hörte.
„Verdammt Sherlock, du bist zwei Jahre weg gewesen und willst bei unserem ersten Wiedersehen wissen, wo die blöden Zehen sind?!“, fragte er und spürte, wie er wütend wurde. Das konnte doch nicht wahr sein. Sherlock hielt inne, runzelte die Stirn und drehte sich dann wieder zu dem Kühlschrank, um ihn weiter zu durchsuchen.
John sah ihm einige Augenblicke dabei zu, ehe er sich langsam auf einen Stuhl sinken ließ und sein Gesicht in seinen Händen vergrub. Er konnte es nicht fassen, da war der Mann, nach dem er sich zwei Jahre lang gesehnt hatte, endlich zurück und interessierte sich nicht einmal richtig für ihn.
„Du bist nur wegen dieses Experiments hier, oder?“, fragte er dann mit möglichst beherrschter Stimme.
„Weswegen sollte ich sonst hier sein?“, er machte sich nicht einmal die Mühe sich umzudrehen. John starrte ihn einfach nur an, unfähig etwas zu sagen.
„Vielleicht wegen dem, was du in den Brief geschrieben hast?“
„Welcher Brief?“, es war wie ein Schlag ins Gesicht. Der Arzt spürte förmlich, wie sein Herz in tausend Teile zersprang.
„Na der Brief, den du genau heute vor fünfhundertzweiunddreißig Tagen an dein Grab hast legen lassen“, seine Stimme war tonlos und Sherlock drehte sich triumphierend um, ohne auf das Gesagte einzugehen. In seiner Hand hielt er eine Plastiktüte mit verwesten Körperteilen, nach denen er die ganze Zeit gesucht hatte. John kramte den Brief aus seiner Brusttasche und knallte ihn auf den Tisch.
„Du willst mir doch nicht ehrlich sagen, dass du dich nicht hieran erinnern kannst?“, Wut schwang in seiner Stimme mit und er fixierte Sherlock genaustens, damit ihm nicht der Hauch einer Emotion entging. Dieser hob mit leicht zitternden Fingern das Stück Papier auf und überflog den Text, den er eigenhändig geschrieben hatte. Schmerz flackerte in seinen Augen auf, ehe er diese für einen Augenblick schloss und den Brief wieder hinlegte.
„Das ist lange her, John. Es hat nichts mehr zu bedeuten“, sagte er eine Spur ruhiger.
John spürte das vertraute Brennen in seinen Augen und er wandte schnell den Blick ab, damit der Detektiv nicht sah, dass ihm Tränen in die Augen schossen.
„Gut“, sagte er mit brüchiger Stimme und stand auf, während er sich den Brief schnappte, der ihm so lange Trost gespendet hatte.
Ohne ein weiteres Wort ging er zurück zur Wohnungstür, als er ein wehmütiges „Grüße Mary von mir“ vernahm. Ruckartig blieb er stehen, denn plötzlich keimte ein Verdacht in ihm auf. Mit festen Schritten kehrte er um und stand wieder in der Küche, in der Sherlock sich mit gesenkten Kopf auf den Tisch gelehnt hatte.
„Der Brief bedeutet dir noch was, oder?“, fragte er direkt und der Detektiv fuhr zusammen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass John noch einmal zurückkommen würde. Für einen Augenblick sah er ihn nur an und seine wundersamen Augen zeigten eine bunte Mischung aus Emotionen, die jedoch verschwand, als Sherlock wieder die Kontrolle über sie erlangt hatte. Er antwortete nichts und das war John eigentlich schon Antwort genug.
Er war nicht dumm und durchaus in der Lage eins und eins zu kombinieren.
„Es ist wegen Mary, oder? Du tust so, als würde ich dir nichts mehr bedeuten, weil ich jetzt in einer Beziehung bin.“
Sherlock lächelte traurig und richtete sich wieder auf.
„Du würdest mir niemals nichts bedeuten“, antwortete er leise.
„Wieso sagst du dann sowas?“, fragte John mit weicher Stimme. Er würde ihn so gerne in die Arme schließen, doch zuerst wollte er das hier klären.
„Du bist endlich in einer Beziehung und glücklich. Eigentlich wollte ich überhaupt nicht zurückkommen, aber Mycroft hat mich dazu gedrängt, damit ich nicht wieder anfange Drogen zu nehmen anstatt Fälle zu lösen“, er wandte den Blick kurz ab und ließ ihn durch die Wohnung schweifen.
„Wie lange bist du schon fertig mit deiner Aufgabe und hättest wiederkommen können?“, hakte John nach.
„Drei Wochen. Aber als ich gesehen habe, dass du jetzt mit Mary glücklich bist, wollte ich nicht wieder alles ruinieren“, antwortete er.
„Ich bin vielleicht mit Mary zusammen, aber das macht mich noch lange nicht zu einem glücklichen Menschen“, warf der ehemalige Blogger ein.
„Das solltest du aber sein!“, gab Sherlock heftig zurück. Verständnislos sah der Kleinere ihn einen Moment an, ehe er den Kopf schüttelte.
„Am glücklichsten war ich, als ich dich hatte. Als wir zusammen Fälle gelöst, Morde aufgeklärt und Menschen gerettet haben!“ Er gestikulierte wild, um seine Aussage zu unterstreichen.
„Verdammt ich liebe dich, Sherlock! Ich habe nie damit aufgehört, auch wenn du in deinem Brief nicht davon ausgegangen bist“
Der Detektiv sprach und rührte sich nicht. Er starrte einfach seinen Freund an, welcher ihm soeben seine Liebe gestanden hatte. Es fiel ihm schwer darauf etwas zu antworten, da er in sowas nicht besonders gut war.
Er überlegte kurz, ehe er eilig auf John zuging, sein Gesicht umfasste und ihn küsste. Der Kuss war intensiv, voller Schmerz und Liebe und einfach perfekt. Als sie sich lösten, stahl sich ein breites Grinsen auf beide Gesichter.
„Ich liebe dich auch, du Idiot“, hauchte Sherlock gegen die Lippen seines Bloggers, welcher ihn kurz darauf erneut küsste.
Und als John einige Zeit später wieder in der 221B Baker Street einzog, brauchten sie nur noch ein Schlafzimmer.

Johnlock Oneshots Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt