Nachrichten

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- In diesem Oneshot gibt es Mary nicht -

Er konnte es nicht leiden. Jedes Mal, wenn dieses Geräusch ertönte, sank seine Laune gen Nullpunkt und er musste sich abwenden, damit sein Mitbewohner nicht sah, wie er die Miene verzog. Mit Todesblicken bedachte er das Handy immer, wenn es diesen Ton von sich gab, als ob es Schuld daran war, dass sein Besitzer Nachrichten einer Person bekam, die John nicht mehr in seinem Leben wissen wollte. Oder vielmehr in dem Leben von Sherlock, denn das störte ihn noch viel mehr. Es war die Frau, die sich regelmäßig bei ihm meldete und das ging John gegen den Strich, doch das würde er sofort abstreiten, wenn man ihn darauf ansprechen würde. Er war doch nicht eifersüchtig! Sherlock war ein freier, erwachsener Mann, der Nachrichten von Frauen bekommen konnte. Doch jedes Mal wenn er daran dachte, wie sehr sein Freund sich für diese eine Frau interessiert hatte, kochte die Eifersucht wieder in ihm hoch.

Es war einer dieser Abende, an denen er eigentlich gut gelaunt war. Er saß in seinem Sessel gegenüber von Sherlock, es war für ihn der schönste Platz der Welt, und trank den Tee, den Mrs. Hudson ihnen hochgebracht hatte, nachdem sie ihnen erneut klar gemacht hatte, dass sie nicht ihre Haushälterin war. Doch seine Zufriedenheit war wie weggewischt, als das Handy des Detektivs wieder dieses Stöhnen von sich gab. Sherlock verschluckte sich an seinem Tee und hustete einige Male, während John seine Tasse ein wenig zu heftig auf dem Tisch neben seinem Sessel abstellte. Mit zusammengekniffenen Augen fixierte er seinen Mitbewohner und verfolgte jede seiner Bewegungen. Dieser zog sein Handy hervor und las die Nachricht, ehe er es wieder wegsteckte. Dann runzelte er die Stirn und erwiderte Johns Blick, worauf dieser seinen schnell abwandte und etwas rosa anlief.
„Was haben Sie denn, John?“, fragte er nach und trank einen weiteren Schluck seines Heißgetränks, während er seinen Gesprächspartner über den Rand der Tasse hinweg nicht aus den Augen ließ. Dieser fuhr sich mit der Hand durch die kurzen Haare und räusperte sich einige Male, doch selbst ihm fiel auf, wie auffällig das war.
„Nichts, was soll sein?“, fragte er so unschuldig wie möglich.
„Sie haben so seltsam geguckt.“
Interessiert betrachtete Sherlock ihn und deduzierte vermutlich jedes Geheimnis, welches John mühselig vor ihm zu verbergen versuchte. Es war ausgesprochen anstrengend mit einem Menschen zusammenzuleben, der alles Mögliche von einem ablesen konnte.
„Habe ich?“, ein weiteres Räuspern, ein unruhiger Blick durch den Raum, hin- und herrutschen auf dem roten Sessel. Sherlock war beinahe belustigt darüber, wie vergeblich John versuchte unauffällig zu wirken.
„Sie reagieren immer so seltsam auf dieses … Geräusch“, er wollte sich langsam herantasten und betrachtete seinen Freund dabei die ganze Zeit.
„Ach, tue ich?“, John hatte Angst, dass ihm bald der Schweiß auf der Stirn stehen würde.
„Verunsichert Sie das Stöhnen einer Frau etwa?“
Diesmal war es der Arzt, der sich an dem Tee verschluckte und sich die Seele aus dem Leib hustete.
„Nein, als heterosexueller Mann verunsichert mich das Stöhnen einer Frau ganz sicher nicht!“, entgegnete er beinahe etwas beleidigt.
„Sind Sie denn heterosexuell?“, betont unbeteiligt schlürfte der Detektiv seinen Tee, während es seinem Freund die Sprache verschlug.
„Natürlich, wie oft soll ich Ihnen denn noch sagen, dass ich nicht schwul bin?“, seine Antwort kam zu schnell und zu laut. Er biss sich auf die Zunge und wandte den Blick ab.
„Das glaube ich Ihnen ja auch, aber hetero sind Sie nicht“, es war eine reine Feststellung, auf die John nichts zu sagen wusste. Dies schien für seinen Gegenüber wie eine Bestätigung und er nickte langsam.
„Da es also nicht das Stöhnen ist, welches Sie so regelmäßig außer Fassung bringt, ist es vielleicht der Hintergrund des Geräusches. Die Frau“, der Arzt hasste es, wie leicht er zu durchschauen war.
„Sie haben romantische Gefühle für die Domina“
Der Arzt sah ihn ungläubig an, ehe er losprustete.
„Ich?“, gluckste er. „Und die Domina? Nein!“ Sein Gelächter schallte durch die Wohnung, während  Sherlock die Stirn in Falten legte und seine geleerte Tasse abstellte. Jetzt war er tatsächlich verwirrt und er hasste das Gefühl.
„Wieso reagieren Sie dann so gereizt auf die Nachrichten?“
Johns Lachen verklang augenblicklich und die Nervosität war zurück. Vielleicht hätte er doch sagen sollen, dass er etwas für die Domina empfand, denn das wäre ihm angenehmer, als zuzugeben, dass er eifersüchtig war. Tatsächlich gestand er es sich endlich ein, doch keine zehn Pferde würden ihn dazu bewegen, es auch Sherlock zu offenbaren.
„Ich reagiere nicht gereizt“, langsam war er genervt, doch vorallem hatte er Angst, dass sein Freund herausfinden könnte, wie er empfand. Denn die Eifersucht war eng verbunden mit tiefer Zuneigung gegenüber dem Detektiv.
„Ich könnte Ihnen jetzt meine Deduktionen darlegen, oder Sie erzählen einfach, was Sie an den Nachrichten der Frau so störend finden“, John wusste, dass er verloren hatte.
„Mich wundert es nur, dass sie Ihnen immernoch schreibt“, sagte er trotzig und verschränkte die Arme.
„Nun, das ist doch eigentlich unsere Sache, oder nicht?“
„Ihre Sache? Wie lange kannten sie sich? Einen Tag? Vielleicht zwei?“, ein wenig verärgert sah er ihn an, während Sherlock keine Miene verzog.
„Andauernd bekommen Sie Nachrichten von dieser Frau. Sie hat sich tot gestellt! Sie waren deswegen am Boden zerstört und trotzdem haben Sie ihr verziehen und bekommen weiterhin Nachrichten. Natürlich stört es mich!“
„Nun, sie war nicht die Einzige, die ihren Tod vorgetäuscht hat“, war das Einzige, was der jüngere Holmes dazu sagte.
John stockte. Damit hatte er nicht gerechnet und er war reichlich überfordert, was sein Freund mit einem kurzen nach oben zucken seiner Mundwinkel quittierte.
„Wollen Sie mir vielleicht etwas mitteilen?“
Der Arzt fand seine Sprache immernoch nicht wieder, mit trockenem Mund saß er in seinem Sessel und hoffte, dass Sherlock sein rasendes Herz nicht hören konnte. Jetzt war seine Möglichkeit reinen Tisch zu machen, immerhin vermutete er ohnehin schon etwas. Doch er hatte Angst ihre Freundschaft zu zerstören, wenn er ihm beichtete, dass er mehr für ihn empfand. Er schwieg schon zu lange, als dass er jetzt noch sagen konnte, dass er nichts mitzuteilen hatte.
„Meinen Deduktionen nach“, John rollte kurz mit den Augen, „hegen Sie keine romantischen Gefühle für Irene“, stellte Sherlock nüchtern fest.
„Na was eine Erkenntnis“, murmelte John.
„Sondern für mich“, vollendete er seinen Satz.
Sein Mitbewohner starrte ihn fassungslos an. Sein größtes Geheimnis ist soeben gelüftet worden und er wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte. Abstreiten war zwecklos, doch er hatte Angst, dass das Leben, das er sich gemeinsam mit ihm aufgebaut hatte, wie ein Kartenhaus zusammenfallen würde, weil er Gefühle entwickelt hatte, die Sherlock niemals erwidern würde. Als er sich über die Tragweite der jüngsten Erkenntnisse bewusst wurde, senkte er den Kopf und wurde in seinem Sessel ein Stück kleiner.
„Ich hab's kaputt gemacht, oder?“, flüsterte er mit belegter Stimme. Als keine Antwort kam, stand er auf und wollte sich auf den Weg nach oben machen. Er brauchte jetzt ein wenig Abstand, doch als er an der Tür anhielt, überlegte er es sich anders. Kurzerhand schnappte er sich seine Jacke und lief die Treppen nach unten.
Die kühle Nachtluft schlug ihm entgegen und er sog sie tief ein, ehe er die Tür schloss und langsam die Baker Street verließ.
Es dauerte nicht lange und er erreichte einen Park. Hier hatte er Mike Stamford getroffen, hier hatte eine der besten Zeiten seines Lebens begonnen. Er wollte nicht, dass es hier endete und doch fand er sich auf der hölzernen Bank wieder, von der er durch das Blätterdach der Bäume einige Sterne erspähen konnte. Er genoss das Geräusch der rauschenden Blätter und spürte, wie er zur Ruhe kam. Er wusste nicht, wie es weitergehen sollte, ob er in der Baker Street an der Seite von Sherlock noch eine Zukunft hatte. Er fühlte sich zu leer, um zu weinen.
Als sich jemand zu ihm setzte, fuhr er zusammen.
Er drehte den Kopf und sah vertraute Locken und einen dunklen Mantel mit aufgestelltem Kragen.
„Ich wusste nicht, dass die Nachrichten Sie- dass die Nachrichten dich so stören würden“, begann der Detektiv zu reden.
„Ich hätte nicht gedacht, dass du mit dem Duzen anfängst“, erwiderte John. Sie wechselten einen Blick und lächelten sich an. Entgegen seiner Erwartungen fühlte es sich nicht komisch an, mitten in der Nacht neben dem Mann zu sitzen, dem er indirekt gestanden hatte, dass er in ihn verliebt war.
„Du hast nichts kaputt gemacht, John“, sagte Sherlock mit weicher Stimme.
Der Angesprochene bekam eine Gänsehaut, als er spürte, wie seine Hand ergriffen wurde. Ohne hinzusehen verschränkte er ihre Finger. Sie saßen zwar ein Stück auseinander, doch sie schienen sich so nah wie noch nie zuvor.
Unwillkürlich rutschten sie ein wenig näher zueinander, bis sich ihre Schultern berührten. Dann lehnte John sich vorsichtig etwas an seinen Freund und spürte, wie dieser es ihm gleich tat. Schweigend saßen sie aneinandergelehnt auf der Bank, lauschten dem Wind und sahen in den Himmel. Sie genossen die Nähe des anderen und der Arzt würde nirgendwo lieber sein als hier mit Sherlock. Dieser entfernte sich ein wenig von ihm und sie sahen sich einige Augenblicke an, bis John bewusst wurde, wie nah sich ihre Gesichter waren. Er spürte den Atem von dem Lockenkopf schon auf seinen Lippen, ehe er ein Stück näher kam und ihn küsste.
Als sie sich aus dem sanften Kuss lösten, stahl sich ein Lächeln auf beide Gesichter.
„Du bist nicht der Einzige, der eifersüchtig sein kann“, sagte Sherlock ganz leise. John zog eine Augenbraue hoch.
„Ich konnte deine Dates nicht leiden und deine Freundinnen schon gar nicht.“
Sie grinsten sich an und legten ihre Lippen erneut aufeinander.
„Wenn du willst, musst du ab jetzt auf niemanden mehr eifersüchtig sein“, murmelte John und hatte Mühe, seinen Blick von den schönen Lippen direkt vor ihm zu lösen. Als er es schaffte, erkannte er Liebe, Freude und Rührung in den Augen seines Geliebten und er konnte nicht anders, als zu strahlen, was Sherlock sogleich erwiderte.
„Das klingt gut.“

Johnlock Oneshots Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt