Das Ende der Skala

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Teil 2 von „Eine Skala von eins bis zehn“
Auf Wunsch von @FelleyDraws😊

Sherlock hatte John seit seiner Andeutung nicht wieder besucht. Es war ihm unangenehm und im Nachhinein ärgerte er sich über seine Worte, die schon viel zu viel verraten hatten. John würde heute entlassen werden und in die Baker Street zurückkehren, was bedeutete, dass er ihm nicht länger aus dem Weg konnte.
Nervös ging der Detektiv im Wohnzimmer der Wohnung auf und ab, er wünschte sich schnell einen Fall oder etwas anderes Interessantes, was ihn raus aus dem Haus und weg von John bringen würde. Doch sein Handy rührte sich nicht, offenbar konnte das Scotland Yard ausnahmsweise mal einen Fall selbst lösen und benötigte nicht die Hilfe des eigens ernannten Consulting Detective.
Als die Tür unten aufging und er Mrs. Hudsons erheiterte Stimme vernahm, wusste er, dass John eingetroffen ist. Er musste sich schleunigst etwas einfallen lassen, an eine Flucht war jetzt nicht mehr zu denken. Eilig ließ er sich in seinen Sessel fallen und schloss die Augen. Er versuchte möglichst konzentriert zu wirken, damit sein Freund dachte, dass er sich wieder in seinen Gedächtnispalast verzogen hatte. Er war zu nervös, als dass er es tatsächlich hineinschaffte, aber es reichte, um zumindest so auszusehen, als wäre er geistig gerade weit weg. Die Tür ging auf und der Arzt trat ein. Sein Blick ruhte sofort auf dem Lockenkopf, welcher seine Augen noch etwas fester zudrückte. Er würde ihn so gerne ansehen, erkennen, dass es ihm wieder gut ging und er gesund war, doch er wagte es nicht.
„Sherlock?“, fragte er sanft und der Angesprochene konnte hören, wie sein Mitbewohner die Jacke aufhing und näher trat. Er vernahm den vertrauten Geruch des Aftershaves, welches sein Freund nutzte und musste sich davon abhalten, ihn tief einzuatmen.
„Sherlock“, leicht stupste John ihn an und Sherlock musste sich beherrschen, nicht zusammenzuzucken.
„Ich weiß, dass du nicht in deinem Gedächtnispalast bist. Das sieht ganz anders aus. Du bist ein mieser Schauspieler!“, an seiner Stimme konnte er hören, dass er lächelte. Diesen Vorwurf wollte Sherlock dann doch nicht auf sich sitzen lassen und er öffnete empört die Augen, was John zum Grinsen brachte.
„Na geht doch, man braucht dich nur anzuzweifeln und schon bist du zur Stelle“
Der Detektiv hatte dieses Lächeln so vermisst und würde sich gerne vorbeugen, um diese verlockenden Lippen zu küssen, bis ihm schlagartig einfiel, wieso er ihn gemieden hatte. Sein Lächeln verrutschte, ruckartig stand er auf und kehrte seinem Partner, welcher die Augenbrauen etwas zusammenzog, den Rücken zu. Nach einem kurzen Räuspern sagte er erstmals nach drei Tagen etwas zu ihm. „Ich bin kein schlechter Schauspieler.“
Er wollte schleunigst in sein Zimmer gehen, doch John hielt ihn an der Schulter fest.
„Ich wollte mit dir sprechen“, sagte er und der Detektiv schloss für einen Moment die Augen. Bitte nicht, flehte er innerlich, doch er wartete ab, was der kleinere Mann sagen würde.
Die kurze Stille wurde von dem Klingeln an der Haustür unterbrochen und er brauchte gerade einmal zwei Sekunden, um die schnellen Schritte auf der Treppe als die von Lestrade zu identifizieren.
Die Wohnungstür flog auf und schwer atmend stand der Inspector vor ihnen.
„Ein neuer Fall, hervorragend!“, Sherlock eilte zur Tür und schnappte sich seinen Mantel, um schnellstmöglich aus der Baker Street zu verschwinden.
„John, du bist verletzt, du bleibst hier“, wandte er sich noch kurz an seinen Freund, welcher ihn empört ansah, ehe er entschlossen seine Jacke griff.
„Oh nein Sherlock, du gehst diesem Gespräch nicht einfach aus dem Weg!“, murmelte er, doch der Detektiv ist schon die Treppen hinuntergelaufen und nach draußen verschwunden.
John seufzte und schüttelte kurz mit dem Kopf. Erst so etwas zu ihm zu sagen und ihm dann aus dem Weg zu gehen, hielt er für nicht angebracht. Außerdem wollte ihm dieser Satz nicht mehr aus dem Kopf gehen, immer und immer wieder hörte er Sherlocks Stimme und konnte seine Lippen sehen, die die Worte formten, die ihm so viel bedeuteten.
Die Zehn auf der Skala hätte nicht gereicht, um auszudrücken, wie viel ich für dich empfinde.

Der Fall handelte von einem Mord, er war nicht ungewöhnlicher als die anderen Morde, bei denen Lestrade den Detektiv hinzugezogen hatte. Und obwohl es einen Haufen eindeutiger Hinweise gab, konnte dieser sich nicht richtig konzentrieren. Andauernd spürte er Johns Blick auf sich ruhen, was maßgeblich dazu beitrug, dass er viel Wichtiges übersah.
„Und? Schon was gefunden?“, neugierig beugte sich der grauhaarige Inspector neben den auf dem Boden knienden Mann und sah zu der Leiche. Kam es Sherlock nur so vor, oder war der beste Mann des Yards heute noch nerviger als sonst?
„Ähm also die Tatwaffe wurde offenkundig von dem Mörder mitgenommen“, sagte er und räusperte sich. Er war überhaupt nicht bei der Sache und John runzelte die Stirn. Greg dagegen war sich nicht sicher, ob der Detektiv ihn verarschte.
„Sherlock, wir haben die Tatwaffe neben dem Opfer gefunden und konfisziert“, erinnerte er ihn und der dunkelhaarige Mann hielt inne. Das war jetzt peinlich.
„Natürlich, richtig, das habe ich- das habe ich wohl vergessen“, er drehte sich im Kreis und hielt die Hände vor sich, als würde er seine Gedanken sortieren müssen. Dann blieb er stehen und sah mit geschlossenen Augen nach rechts, während er mit seiner linken Hand in Richtung John deutete, ohne ihm eines Blickes zu würdigen.
„Schicken Sie ihn raus, ich kann mich nicht konzentrieren“, nuschelte er. Greg und John wechselten einen verwirrten Blick, ehe der Arzt langsam nickte, den Blick senkte und den Raum verließ. Sherlock holte einige Male tief Luft, ehe er seinen Freund aus seinen Gedanken verbannte und augenblicklich eine Menge Details erkannte, die er zuvor geflissentlich übersehen hatte.
Nur zwei Minuten später war er fertig mit dem Fall und verließ den Raum wieder. Auch Lestrade war jetzt zufrieden und gab seinen Untergeordneten einige Anweisung, ehe diese geschäftig davonliefen, um ihren Aufgaben nachzugehen. John hatte geduldig vor der Tür gewartet und zog die Augenbrauen hoch, als sein Mitbewohner vor ihm erschien.
„Du brauchtest ganze zwei Minuten?“, fragte er ungläubig und warf einen Blick auf seine Armbanduhr.
„Du hast zuerst nicht einmal gerafft, dass sie Tatwaffe von dem Yard mitgenommen wurde und kaum bin ich weg löst du den Fall in zwei Minuten?“, fassungslos starrte er ihn an und Sherlock wusste darauf nichts zu erwidern.
„Du hast mich abgelenkt“, sagte er kurz angebunden und machte sich dann auf den Weg nach draußen, um sich ein Taxi zurück in die Baker Street zu nehmen. John folgte ihm und packte ihn dann grob an der Schulter, damit er endlich stehen blieb.
„Sherlock, du kannst nicht den ganzen Tag vor mir weglaufen! Seit der Sache im Krankenhaus meidest du mich. Wieso sagst du erst so etwas zu mir und willst mich dann nicht mehr sehen?“ Der Holmes-Bruder stand ungeduldig am Straßenrand und hoffte auf ein Taxi, doch er wusste, dass sein Freund Recht hatte.
„Gut, dann gehen wir eben zu Fuß und reden“, sagte er und ging zügig los. Er wusste, dass sein Tempo angesichts der kurzen Beine seines Freundes nicht besonders rücksichtsvoll war, doch er wollte dieses Gespräch schnellstmöglich hinter sich bringen. Er wusste, dass es ein Fehler gewesen ist, seine Gefühle für ihn anzudeuten, denn nun wollte er natürlich die ganze Wahrheit wissen.
„Wieso bist du mich nicht mehr besuchen gekommen, nach diesem Tag?“, war die erste Frage.
„Ich bin beschäftigt gewesen“, antwortete er knapp. Man konnte seinem Gesprächspartner ansehen, dass er ihm kein Wort glaubte.
„Welche Nummer auf der Skala hätte deine Gefühle für mich ausgedrückt?“
„Eine solide Zehn.“
„Ich dachte die Skala habe nicht gereicht?“, herausfordernd sah John ihn an.
„Na gut, sagen wir Zehneinhalb“, als er das Gesicht seines Freundes sah, musste er unwillkürlich lächeln.
„Hör zu, es tut mir leid, dass ich dich so gemieden habe. Aber ich hatte keine Ahnung, wie ich mich nach der Sache im Krankenhaus verhalten sollte“, er verlangsamte sein Tempo nicht, doch er öffnete sich langsam und das reichte dem Arzt schon.
„Du hättest mich einfach besuchen können. Du hast mir gefehlt“, gab er ehrlich zu und überrascht sah Sherlock ihn an.
„Ich bin mal so frei zu behaupten, dass du schon die ganze Zeit etwas sagen möchtest, es dich aber nicht traust. Vielleicht sollte ich mal den ersten Schritt machen“, John lächelte, aber er wagte es nicht, seinen Freund anzusehen.
„Hätte man mich das gefragt, hätte ich vermutlich Elf oder Zwölf gesagt. Weißt du, nach meiner Definition war zehn etwas wie Brüder. Aber ich empfinde mehr für dich als bloß Freundschaft oder Bruderschaft“, sie sahen sich nicht an, doch Sherlock lächelte nun breit und im Gehen ergriff er die Hand seines Freundes und verschränkte ihre Finger. Hand in Hand gingen sie ohne ein weiteres Wort weiter, bis sie nach fünfzehn Minuten vor ihrer Haustür standen. Sie betraten das Haus und gingen die Treppen hinauf, dafür mussten sie jedoch ihre Hände loslassen.
Als sie ihre Wohnung erreichten, legten sie ihre Mäntel ab und standen kurz unschlüssig herum, ehe Sherlock entschlossen auf seinen Freund zuging und ihn heranzog, um seine Lippen auf die von John zu legen. Dieser war ein wenig überrumpelt von dem plötzlichen Kuss, doch er erwiderte ihn mit Freude.
Als sie sich lösten grinste der Detektiv seinen Blogger schelmisch an.
„Die Zehneinhalb waren gelogen. Es sind Zehn Komma Sechs.“
„Ach halt die Klappe du Idiot“, murmelte John und sein Blick sprang wieder zu den Lippen seines besten Freundes, der soeben zu wesentlich mehr als bloß das geworden ist.
„Zwing mich doch“, raunte Sherlock herausfordernd und das ließ der Arzt sich nicht zweimal sagen. Fast etwas stürmisch versiegelte er ihre Lippen erneut.
„Verdammt, ich glaube ich liebe dich“, kam es schwer atmend von dem Lockenkopf. Seine Haare waren zerzauster als sonst, da John mit seinen Händen durch sie gefahren ist.
„Na das hoffe ich doch“, erwiderte dieser ebenso außer Atem und sie grinsten sich einen Moment lang an, ehe sie sich zum dritten Mal küssten.
Und an diesem Abend sollte es nicht nur bei diesen drei Küssen bleiben.

Johnlock Oneshots Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt