Moriartys Gehilfe

147 7 0
                                    

Obwohl er aussah als würde er schlafen, war er hellwach. Die Zelle war dunkel, gleichmäßig fielen Tropfen von der Decke auf den steinigen Boden und das Geräusch würde den Insassen noch irgendwann wahnsinnig machen, doch er wirkte völlig entspannt. Mit einer Eisenstange schlug einer der beiden hageren Wächter mehrmals gegen die schwere Tür und das Geräusch von Eisen auf Eisen hallte in der kleinen Zelle so laut wieder, dass der Mann in ihr heftig zusammenzuckte und die Hände auf die Ohren presste.
„Der Chef hat Anweisungen gegeben, wir sollen ihn rausholen“, die Stimmen der Wächter klangen gedämpft und der gefangene Mann, welcher sich zwischenzeitlich aufgesetzt hatte, lehnte den Kopf an die harte Wand.
Er befand sich seit einigen Tagen hier und spürte, wie sein Verstand durchdrehte. Er brauchte dringend eine Beschäftigung, er musste raus aus diesem kleinen Raum, von dem er das Gefühl bekam, dass die Wände ihm stetig näher kamen. Die wenigen Worte, die er soeben gehört hatte, waren das bei weitem Interessanteste, was seine Ohren seit seiner Gefangennahme vernommen hatten.
Die Tür wurde aufgezogen und die seit langem nicht mehr geölten Angeln quietschten fürchterlich, doch das war angesichts der möglichen Abwechslung in dem tristen Alltag als Insasse dieser Zelle nur ein kleines Übel.
Einer der Wächter trat ein und zerrte den Mann mit den dunklen Locken hoch. Das helle Licht blendete ihn und er musste die Augen für einige Augenblicke schließen. Er hatte seit Tagen nicht mehr richtig gegessen und er fragte sich langsam, was mit seinem Gegenspieler passiert ist, dass er sich zu solchen Maßnahmen herabließ.
„Das ist echt ein beschissenes Spiel“, grummelte er und stolperte hinter den Männern her in den großen Raum, in dem der Chef auf ihn warten sollte. Doch als er hineingestoßen wurde und hart auf dem Boden aufschlug, war er allein.
Er brauchte nicht lange, um zu deduzieren wo er sich in etwa befand. Das Fenster mit den milchigen Scheiben verriet ihm viel über seinen Aufenthaltsort, denn in der Ferne konnte er seine Heimatstand London erkennen und der Rest war ein Kinderspiel für den erfahrenen Detektiv. Als die Tür aufschwang und die Geräusche von Sohlen auf dem Betonboden lauter wurden, wandte er sich von dem Fenster ab und blickte seinem Geiselnehmer ins Gesicht. Es war ihm vertraut, auch wenn er ihn erst wenige Male gesehen hatte. Doch die dunklen Augen, in denen der Wahnsinn funkelte und die ebenso dunklen, kurzen Haare konnte man schwer vergessen.
„Sherlock!“, rief er begeistert und man konnte ihm ansehen, wie sehr er sich auf das Folgende freute.
„Das nennen Sie Spiel? Ich weiß ja nicht wie Sie sonst spielen, aber normalerweise beinhaltet das keine Gefängniszellen“, beschwerte der Angesprochene sich. „Das ist schlecht für meinen Verstand und Sie wissen, dass ich ihn beschäftigen muss!“ Vorwurfsvoll sah er James Moriarty an, welcher die Arme erhob.
„Nun, das tut mir leid, aber ich schätze, ich bin mit einigen aufdringlichen Goldfischen beschäftigt gewesen“, sein Blick wanderte kurz zu einem kleinem Mann zu seiner linken, welcher den Blick stets gesenkt hielt.
Kurz sah Sherlock zu ihm rüber, er trug eine Waffe und schien beim Militär gewesen zu sein, doch mehr konnte er in den wenigen Augenblicken nicht deduzieren, da er sich wieder auf seinen Gegenüber konzentrierte.
„Sie werden sich vielleicht wundern, was mit mir passiert ist, aber ich bin leider zu beschäftigt für unsere Spielchen. Eigentlich finde ich Sie langsam verdammt anstrengend, da sie mir andauernd meine Aufträge vermiesen. Deswegen habe ich beschlossen, meinen einzig interessanten Gegner aus dem Weg zu räumen“, er nickte langsam und zog die Augenbrauen in die Stirn, während sich sein Blick in der Ferne verlor, als würde er selbst verarbeiten müssen, dass er Sherlock bald nicht mehr entgegentreten müsse.
„Und da dachte ich mir, dass diese Aufgabe von meinem neuesten Goldfisch in meinem Aquarium übernommen werden könnte“, er deutete mit einer ausholenden Bewegung auf den Mann, den Sherlock schon kurz gemustert hatte und es kam ihm vor, als würde er noch ein Stück kleiner werden.
„Sie machen es nicht selbst? Siegen nicht selbst über mich?“, fragte er nach und war fast ein wenig enttäuscht von dem Mann, den er als anspruchsvollsten Kriminellen empfunden hatte.
„Aber nicht doch! Sie müssten doch langsam wissen, dass ich mir die Hände nicht schmutzig mache. Außerdem hatte ich eigentlich etwas Großes für Sie geplant, etwas aufregendes. Irgendetwas mit einem Fall“, Sherlock war sich der Doppeldeutigkeit dieser Andeutung bewusst, doch er ging nicht weiter darauf ein.
„Jooohnny, wärst du so gut?“, flötete Moriarty und der Mann trat zögerlich vor. Er sah weiterhin nicht auf, sondern starrte stumm auf die Waffe in seiner Hand. Er wusste zweifellos wie man sie bediente, die Frage war nur, ob er es auch wollte.
„Gehen Sie in die Knie“, befahl der dunkelhaarige Mann dem Detektiv, welcher ihn trotzig ansah.
„Bitte!“, er schob die Unterlippe vor und da dieser keine wirkliche Wahl hatte, tat er, wie ihm geheißen. Was hatte er schon zu verlieren?
Er kniete vor dem Mann nieder und sah starr geradeaus. Ihm entging nicht, dass die Finger des Schützen leicht zitterten und das wunderte ihn, denn die bisherigen Handlanger Moriartys wirkten weniger zurückhaltend, wenn es um die Ermordung von Leuten ging.
„Erledige ihn, mach schon“, etwas ungeduldig wippte er hin und her und schien mit seinen Augen Löcher in den Rücken seines Untergeordneten zu brennen.
Der blonde Mann sah endlich auf und als ihre Blicke sich trafen, hielt die Welt für einige Augenblicke an. In den blauen Augen des recht kleinen Mannes standen so viele Emotionen – Unsicherheit, Angst, Mitleid, Wut. Doch interessant war vor allem die Emotion, die Sherlock in ihnen nicht finden konnte. Mordlust. Er wollte ihn nicht töten und das sagten vorallem diese schönen Augen aus. Der Detektiv fühlte sich seltsam verbunden mit dem Mann, durch dessen Hand er vermutlich in wenigen Augenblicken fallen würde, doch dessen war er sich nicht mehr so sicher.
„Jetzt mach schon!“, brüllte James den Unbekannten an, welcher die Waffe etwas sinken ließ. Mit schnellen, energischen Schritten eilte der Consulting Criminal auf ihn zu, riss ihm grob die Desert Eagle aus der Hand und zielte selbst auf Sherlock. Obwohl der Neue an Moriartys Seite nicht viel kleiner war als er, wirkte die Handfeuerwaffe in der Hand seines Vorgesetzten nicht so unverhältnismäßig groß wie bei ihm.
Im Gegensatz zu den blauen Augen, standen in diesen dunkelbraunen Augen vor Sherlock definitiv Mordlust und der übliche Funken Wahnsinn, der ihm nicht neu war. Doch als der Finger schon über dem Abzug zuckte, schien er es sich doch anders zu überlegen.
„Watson, bring ihn in seine Zelle. Und wenn ich noch einmal mitbekomme, wie du einen Befehl nicht ausführst, mache ich dich diesmal wirklich mit der Kugel meiner Waffe bekannt“, drohte er ihm und er nickte schnell mit erneut gesenktem Kopf, ehe er zu dem noch immer knienden Sherlock ging, ihn bedeutend sanfter als seine Kollegen hochzog und zu der Zelle brachte.
Auf dem Weg schwiegen sie, doch es war kein unangenehmes Schweigen. Der Detektiv spürte noch immer die Hand Watsons auf seiner Schulter ruhen und zu seinem eigenen Erschrecken gefiel ihm diese kleine Berührung, die nicht von Gewalt oder bösen Hintergedanken zeugte.
Als sie die vertraute Zelle erreichten, hielten sie an und die Wachmänner räumten ihre Posten. Der Kleinere führte den Größeren in den kleinen, dunklen Raum, doch er verließ ihn nicht direkt wieder.
„Danke, dass Sie mich nicht erschossen haben“, murmelte Sherlock ihm etwas verlegen zu und sein Gesprächspartner nickte.
„Sie sind im Krieg gewesen. Afghanistan oder Irak?“
Der Mann blinzelte ein paar Mal vor Verblüffung, er hatte nicht damit gerechnet, dass Sherlock dies wusste.
„Afghanistan. Ich bin Militärarzt gewesen“, stotterte er und der Detektiv lächelte. Es erinnerte sich nicht mehr daran, wann er das letzte Mal ehrlich gelächelt hatte. Dieser Mann vor ihm bewirkte beinahe Unmögliches und er war sich nicht sicher, wann er sich zuletzt so wohl in der Anwesenheit eines anderen Menschen gefühlt hatte.
„Wie heißen Sie?“
„Ich bin Sherlock Holmes, einziger Consulting Detective der Welt und Widersacher von James Moriarty“, seine Antwort war umfangreicher als von dem Fragensteller erwartet, doch er lächelte.
„Und Sie sind … Johnny?“
Das Lächeln verrutschte und er seufzte.
„Nein, ich heiße eigentlich John. John Watson, um genau zu sein. Aber seit er mich beim Schnüffeln erwischt hat und mir die Wahl zwischen einem Job als Handlanger oder einer Kugel im Kopf gelassen hat, nennt er mich bevorzugt Johnny“, man hörte ihm an, dass ihm dieser Spitzname überhaupt nicht gefiel.
„Was führt einen ehemaligen Militärarzt dazu, einen Mann wie Moriarty auszuspionieren?“, Sherlock runzelte die Stirn, er verstand diesen Zusammenhang nicht.
„Mein Freund Greg Lestrade ist beim Scotland Yard und versucht schon lange Moriarty festzusetzen. Ich habe gerade … sagen wir mal wenig zu tun und mich bereit erklärt, etwas auszuhelfen. Dann bin ich hier gelandet“, er breitete kurz die Arme aus, ehe er sie wieder fallen ließ.
„Greg? Ich dachte er heißt Graham“, erwiderte Sherlock und zog die Augenbrauen zusammen.
John sah ihn für einen Moment irritiert an, ehe er den Kopf schüttelte.
„Nein, er heißt ganz sicher Greg“, amüsiert aber leicht ungläubig lächelte er den Detektiv an, welcher dieses ein wenig peinlich berührt erwiderte.
„Ich nenne ihn immer beim falschen Namen, aber mittlerweile ist es mir auch egal“, er zuckte mit den Schultern.
„So wie es aussieht sollten wir hier verschwinden“ Er trat an die noch geöffnete Tür und sah vorsichtig hinaus.
„Ich weiß, durch welchen Weg sie mich hier rein gebracht haben, aber es ist gut jemanden dabei zu haben, der noch andere Wege kennt“, dabei fiel sein Blick auf Watson, der ihn verblüfft ansah.
„Sie wollen fliehen? Jetzt?“
„Nun, offenkundig schon. Die Tür dieser fürchterlichen Zelle ist unbewacht, was uns schonmal einen großen Vorteil verschafft. Wir müssen den ersten Gang nach links nehmen, dort stehen zwei weitere Wachen, die jedoch leicht zu bewältigen sein sollten. Dann geht es geradeaus, einmal nach rechts, wo wir erneut auf Wachen stoßen werden, wieder zweimal nach links, die Leiter hoch und dann sollten wir da sein. Ich wüsste nicht wo das Problem liegt. Es sei denn“, er drehte sich um und sah John prüfend an.
„Es sei denn, Sie wollen überhaupt nicht fliehen“, beendete er seinen Satz.
„Doch, ich will hier unbedingt raus. Aber gerne lebend“, fügte er schnell hinzu.
Sherlock nickte.
„Jetzt oder nie, John“, mit diesen Worten stürmte er los.
„Verdammt, wir sind so tot“, murmelte John kopfschüttelnd, ehe er seinem neuen Freund in die Freiheit folgte. Oder zumindest hoffte er, dass sie die Freiheit erreichen würden, denn wie Sherlock es vorhergesagt hatte, standen an dem Gang zwei Wächter, die nicht ganz so leicht zu bewältigen waren wie erwartet. Sie schafften es zwar mühselig, hatten jedoch die Aufmerksamkeit von so ziemlich jedem auf sich gezogen, was ihnen die Flucht erschwerte.
Nur wenig später wurden sie von jedem, der mitbekommen hatte was vor sich ging, verfolgt.
„Jetzt rechts, haben Sie gesagt?“, rief John und sein panischer Unterton war unüberhörbar.
Sherlock, der vorauslief, nickte und rannte weiter. Jetzt kam es auf Schnelligkeit an und es dauerte nicht lange, bis sie die Leiter sahen, die sie aus dem Keller bringen würde.
„Hoch mit Ihnen“, drängte der Detektiv und John zögerte einen Augenblick, ehe er dem strengen Blick nachgab und eilig die Sprossen erklomm. Er hörte, wie unter ihm einige Schläge ausgetauscht wurden und er sah hinab, wo Sherlock gerade einen Kinnhaken kassierte, zurücktaumelte und mit dem Rücken gegen die Leiter stieß, die unter dem Aufprall erzitterte. John wusste, dass er etwas tun musste, um seinem Begleiter zu helfen. Er tastete die brüchige Wand ab und fand ein Stück über ihm einen losen Ziegelstein, den er sofort packte, herauszog und mit ihn auf den Handlanger Moriartys zielte. Mit einem unschönen Geräusch traf der Stein auf den Schädel und der Getroffene ging augenblicklich zu Boden.
„Guter Wurf, John. Und jetzt raus hier“, eilig kletterten beide die Leiter hoch, drückten die Tür auf, verließen die Fabrik und liefen einige hundert Meter weiter.
„Sie werden uns gleich folgen, wir sollten ein Taxi nehmen“, Sherlock klappte den Kragen seines Mantels hoch und streckte die Hand heraus.
„Ein Taxi? Ich könnte auch Greg anrufen“, schlug John vor und sah unruhig zu der leer stehenden Fabrikhalle zurück.
„Nein, dauert zu lange“, gab der Lockenkopf knapp zurück.
„Aber bis wir hier ein Taxi bekommen, haben sie uns schon längst“, er hielt inne und kniff die Augen etwas zusammen, als er das schwarze Auto sah, welches sich ihnen näherte.
„Das gibt’s doch nicht“, murmelte er, als das Taxi hielt und sie eilig einstiegen.

„Wo wohnen Sie?“, Sherlock musterte John fragend, welcher den Blick abwandte und sich leise räusperte.
„Nun, da ich meine Miete nicht länger bezahlen konnte, wurde mir gekündigt. Ich bin noch auf der Suche nach einer neuen Bleibe und wohne vorübergehend bei meiner Schwester“, antwortete er und rutschte auf dem abgenutzten Ledersitz herum.
„Das trifft sich hervorragend, ich bin noch auf der Suche nach einem Mitbewohner. Ich habe gerade erst eine schöne Wohnung in London bezogen, sie würde Ihnen sicher gefallen“, Sherlock sah aus dem Fenster und wartete geduldig auf eine Antwort seitens John.
„Sie suchen doch einen Mitbewohner oder? Ansonsten hätten Sie mir nicht von dem Hintergrund ihres Wohnortes erzählt“
John sah ihn einen Augenblick lang an.
„Ja, das trifft sich hervorragend“, er lächelte erneut und immer wenn er es tat, konnte Sherlock nicht anders, als auch zu lächeln.
„Sehr gut“, er lehnte sich zu dem Taxifahrer vor.
„Die Adresse ist 221B Baker Street.“

Ein später, dafür längerer Oneshot! Ich hoffe, dass er euch gefallen hat😊

Johnlock Oneshots Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt