「46. Kapitel - Einsicht und Besserung」

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Der Geruch nach menschlichen Ausdünstungen gepaart mit einer Menge Alkohl stieg mir in die Nase, als ich die düstere Bar betrat, die auch nicht die vielen kleinen Lampen zu erhellen vermochten. Der Boden aus groben Holzbrettern war abgewetzt und verschoben, sodass ich mit meinen hohen Absätzen aufpassen musste, nicht hängen zu bleiben. Die Wände bestanden aus rohem Backstein und die Decke des Lokal war aus irgend einem Grund schwarz gestrichen worden. Ich kam nicht umhin zu bemerken, wie fehl ich in meinem weißen Kleid an diesem Ort wirkte. Kein Wunder, dass mich jedes männliche Objekt im Umkreis von drei Metern genauer unter die Lupe nahm. Ich versuchte die Blicke der überwiegend betrunkenen Männer zu ignorieren und ließ mich auf einen Hocker an der Bar gleiten.

»Einen doppelten Scotch, bitte«, wandte ich mich kraftlos an den ergrauten Mann hinter der Theke und stützte die Stirn auf der Hand. Wortlos reichte er mir den Drink, den ich mit wenigen Schlucken leerte. Der Alkohol brannte furchtbar in meiner Kehle, sodass ich ein Husten mühsam unterdrücken musste. Wenigstens hatte ich kurzzeitig die Geschehnisse des heutigen Abends verdrängen können.
»Noch einmal das Gleiche«, murmelte ich niedergeschlagen und schob den Mann zeitgleich zehn Dollar über den Thresen. Er setzte mir das volle Glas vor die Nase, ohne den Geldschein überhaupt beachtet zu haben.
»Lassen Sie gut sein, Miss. Geht auf's Haus.«

»Danke«, entgegnete ich ehrlich und versuchte mich an einem Lächeln, was wohl eher einer schrecklichen Grimasse glich. Schließlich gab ich es auf, ließ die Schultern hängen und seufzte schwer.
»Kommt wohl nicht oft vor, oder? Eine Frau, die nachts ganz allein durch die Tür gestolpert kommt, um ihre Sorgen in Scotch zu ertränken.« Ich hob mein Glas und betrachtete nachdenklich die dunkle Flüssigkeit darin. Der Mann an der Bar lachte leise und schüttelte den Kopf.
»Sie haben Recht, Miss. Meistens nehmen diese Frauen meinen billigsten Vodka und sehen nicht halb so schön aus, wie sie es sind.« Ich verzog den Mund, brachte aber kein Lachen zustande. Stattdessen traten Tränen in meine Augen, die ich versuchte mit einem Nippen an meinem Drink zu kaschieren. Dann wartete ich darauf, dass sich ein beruhigender Nebel in meinem Kopf ausbreitete. Bei Scotch dauerte es gewöhnlich nicht allzu lange. Diese Sorte Alkohol rürhte ich normalerweise nicht an.

»Hören Sie, Miss«, sprach der Barkeeper mit einfühlsamer Stimme weiter, »Ich bin kein Mann, der weisen Worte oder der tolle Ratschläge verteilt, aber wenn ich eins gelernt habe, dann, dass ich ein durchaus ein guter Zuhörer bin. Wenn Sie also ein williges Opfer suchen: Ich bin die gesamte Nacht da.« Ich sah auf und blickte den Mann ins Gesicht. Sein silbernes Haar wurde langsam shütter, das Gesicht faltiger und seine Figur ging langsam aber sicher in die Breite. Ich schätzte ihn auf Mitte fünfzig.
»Hatten Sie jemals das Gefühl, dass alles um Sie herum zusammenbricht? Dass alles, was Sie für wahr hielten sich in Staub verwandelt?«

Kurz zögerte der Mann.
»Nein«, gestand er schließlich, »für mich fühlte es sich eher an, als würde ich in ein bodenloses Loch und in tiefe Dunkelheit stürzen.« Es folgte bedrückende Stille, die ich mit einem großzügigen Schluck Scotch überdauerte.
»Ich habe meinen ersten Sohn verloren«, flüsterte der Ältere schließlich und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. »Todgeburt. Die Ärzte konnten nichts für ihn tun, außer die Sterbedokumente auszufüllen.«
»Es tut mir leid«, antwortete ich voller Mitgefühl und konnte mir nicht im Entferntesten seinen Schmerz und die Qualen vorstellen, die diese Hiopsbotschaft in ihm ausgelöst haben musste.

Doch als ich dem Barkeeper ins Gesicht blickte, lächelte er wieder.
»Ist schon gut. All das liegt lange Zeit zurück. Heute habe ich eine wundervolle Tochter und zwei liebreizende Enkelkinder.« Er hielt kurz inne, damit ich die gewonnenen Informationen verarbeiten konnte, ehe er hinzufügte: »Was ich damit meine ist, dass wir in unserem Leben verschiedenen Prüfungen ausgesetzt sind. Vielleicht können wir nicht jede perfekt bestehen – niemand ist unfehlbar –, aber das Wichtigste dabei ist, dass wir niemals aufgeben und kämpfen. Und für die, die wir lieben, lohnt sich jeder Kampf. Die Vergangenheit hat keinerlei Bedeutung. Alles, was zählt ist die Zukunft und wie wir sie gestalten.«

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