「1. Kapitel - Schlaflos」

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Ein Jahr zuvor

Müde rieb ich mir über die gereizten Augen und versuchte im Dunkeln möglichst nicht über meine eigenen Füße zu stolpern oder gegen die nächstbeste Wand zu laufen. Bis zum Wohnzimmer gelang mir dies auch einigermaßen, doch dann rannte ich mit voller Wucht gegen eine Wand. War die etwa neu? Ohne meine Hand ins Feuer zu legen, aber ich hätte schwören können, dass hier gestern noch keine gestanden hätte. Aber was wusste ich schon, wenn ich beinahe völlig orientierungslos durch die Dunkelheit watete.

Ich fluchte, während besagte Wand leise stöhnte und mir somit nun noch einen Herzanfall bescherte. Reflexartig schlug ich um mich und spürte kurz darauf eine Hand, die mich am Arm packte und ... mit sich riss. Schreiend gingen wir zu Boden, wobei ich glücklicherweise nicht zerquetscht wurde, sondern die Person unter mir. Ich landete einigermaßen weich. Wenigstens etwas!

Langsam rappelte ich mich auf und versuchte gar nicht erst abzuschätzen, wo mein Ellenbogen dabei hinstieß. Oder besser gesagt, worauf. Der qualvolle Schmerzenslaut, ließ es mich ohnehin erahnen. Nachdem ich wieder Boden unter den Füßen hatte, angelte ich blindlings nach meinem Handy und schaltete die Lampe ein. Hätte ich mal eher daran denken sollen! Zwei verschlafene Augen blitzten mir entgegen, als ich den weißen Lichtstrahl auf die Person vor mir lenkte, die sich nun ebenfalls schwankend erhob.

»Fuck, tut das weh!«, beschwerte sich Kian mit schmerzverzerrtem Gesicht und wäre fast wieder auf seinem Hintern gelandet, weil er über einen herumliegenden Schuh gestolpert wäre. Wie auch immer der jetzt hier hin kam ... Ich kickte ihn schuldbewusst unter die Couch und beobachtete, wie Kian taumelnd in die Küche lief, um Licht einzuschalten.

Das sah so lustig aus, dass ich mir ein Grinsen nicht verkneifen konnte. Prompt richtete sich ein vernichtender Blick auf mich.
»Claire!«
Abwehrend hob ich die Hände, während ich mich auf einen Barhocker gleiten ließ.
»Was denn? Du hast mich erschreckt und nicht umgekehrt.« Ha, ich wusste doch, dass da gestern noch keine Wand war!

Kian schnaubte verächtlich.
»Gut. Eventuell hätte ich nicht gleich um mich schlagen müssen«, lenkte ich ein und sah dabei zu, wie Kian mir einen Ach-was-wirklich-Blick schenkte. Demütig senkte ich den Kopf und hörte ihn kurz darauf ergeben seufzen.
»Wieso bist du eigentlich mitten in der Nacht auf? Soviel ich weiß, musst du morgen früh raus.« Ich zog eine Braue nach oben.
»Das Gleiche könnte ich dich fragen.«

Kian verschränkte die Arme vor der Brust und musterte mich prüfend. Automatisch wich ich seinem Blick aus und betrachtete mein leicht verzerrtes Ich, in der Spieglung des Kühlschrankes. Selbst von weitem, sah ich die dunklen Augenringe in dem viel zu blassen Gesicht. Das blonde Haar glich einem Vogelnest. Gelinde gesagt: Ich sah schrecklich aus.

»Ich wollte mir nur ein Glas Wasser holen. Das ist schon alles«, sagte ich schließlich, als mir der Blick des jungen Anwalts zu unangenehm wurde. Ich sah es ihm an der Nasenspitze an, dass er mir nicht glaubte.
»Gibst du mir bitte eins? Ich habe immer noch Durst«, fragte ich ihn deshalb, um meine Aussage weiter zu untermauern. Mit einem misstrauischen Blick kam er meiner Bitte nach und stellte mir ein randvolles Glas Leitungswasser vor die Nase. Dankend nahm ich es an und trank es zu Hälfte aus, obwohl ich nicht im geringsten durstig war.

»Wie hast du geschlafen?«, erkundigte sich der Schwarzhaarige scheinbar beiläufig und richtete seine eisblauen Augen auf mich. Eine Schauer kroch mir über den Rücken, während ich ein Lächeln aufsetzte.
»Sehr gut, Kian. Ich habe richtig schön geträumt«, sagte ich viel zu überschwänglich und schnell. Ich biss mir auf die Unterlippe, da ich mir selbst kein Wort glaubte.
Der schwarzhaarige Mann vor mir schluckte die Lüge auch nicht. Ich zuckte kurz darauf zusammen, als Kian eine Packung Schlaftabletten auf den Tisch warf. Ohne genauer hinzusehen, wusste ich, dass das die Packung von meinem Nachttisch war.

Feel My LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt