「12. Kapitel - Wiedergefundener Schmerz」

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Ich spürte mein Herz erneut splittern. Spürte erneut diese unbändige Verzweiflung, Trauer und Wut über mich hereinbrechen, die ich die letzten Monate über zu Verdrängen und zu Vergessen gelernt hatte. Das war alles umsonst gewesen, wie ich jetzt feststellen musste. Die wulstigen Narben rissen erneut auf und ließen blutige Wunden auf meiner geschundenen Seele zurück. Das alles schaffte er innerhalb einer Sekunde und ohne ein Wort zu sagen. Allein seine goldene Augen reichten für meine endgültige Vernichtung aus, wobei mir tausende Fragen durch den Kopf schossen.

Wie hatte er mich finden können? War es purer Zufall? Was wollte er von mir? Wieso musste er mich erneut brechen? Warum ließ er mich nicht einfach in Ruhe? Hatte es nicht gereicht mir einmal weh zu tun?

»Claire«, hörte ich meinen ehemaligen Professor mit deutlich ungläubiger Stimme murmeln, wobei sich mir prompt die Nackenhaare aufstellten. Es erschien mir beinahe so, als würde er es selbst kaum fassen können, dass ich nun vor ihm stand. Seine Augen waren leicht geweitet, wobei er mich durchgehend fokussierte, als könnte ich mich jeden Moment in Luft auflösen. Adrian streckte vorsichtig eine Hand nach mir aus, wobei ich automatisch den Rückzug antrat. Fass mich nicht an! Er zuckte sichtlich zusammen, als er meine deutliche Ablehnung zu spüren bekam.

In meinem Inneren tobte ein Sturm aus verschiedenen Gefühlen. Wut wechselte zu Trauer, Trauer wechselte kurzzeitig zu unbegründeter Angst und schließlich dominierte erneut der Zorn in meinen Adern. Heiß flackerte Hass in meinen Augen auf, was Adrian zweifellos zu bemerken schien.
Sein Körper war zum Zerreißen gespannt, sein Lippen zu einer dünnen Linie zusammgepresst und in seinem Blick stand eindeutig Schmerz und Verzweiflung.

Wir schwiegen beide, da es nichts gab, was wir in diesem Moment hätten sagen können. Wie erstarrt standen wir da und betrachteten unseren Gegenüber.
Mir fiel auf, dass Adrian so aussah, wie ich mich innerlich gerade fühlte: schrecklich. Sein Gesicht war fahl, dunkle Augenringe ließen ihn erschöpft und ausgelaugt wirken. Seine ansonsten so glatte und gepflegte Haut zierte ein unordentlicher Fünftagebart. Eventuell waren es auch noch mehr Tage. Er schien außerdem schlecht oder gar nicht geschlafen zu haben. Was interessiert es dich überhaupt?

Wütend musste ich feststellen, dass mir sein Leid nicht die geringste Genugtuung verschaffte. Nein, ich machte mir tatsächlich Sorgen um ihn. Und dieses Recht hatte er nicht. Er verdiente meine Sorge einfach nicht. Schließlich hatte er mich weggeworfen, wie ein benutztes Handtuch.

»Claire«, wiederholte er meinen Namen erneut, was mir nun die Tränen in die Augen trieb. Seine Gestalt verschwamm zu einer einzigen grauen Masse und ich wischte mir wütend über die Augen. Meine Hand zitterte dabei.

»Ist bei Ihnen alles in Ordnung?«, erklang plötzlich die Stimme des älteren Mannes hinter Adrian, der mich besorgt musterte und mich somit aus meiner Schockstarre riss. »Brauchen Sie Hilfe?« Er kam auf mich zu und schob sich an Adrian vorbei, der nicht daran dachte auszuweichen. Sein Blick war weiterhin fest auf mich gerichtet.
Ich nickte bedächtig und überlegte mir in sekundenschnelle einen Plan. Ich verdrängte schnell den höllischen Schmerz in meiner Brust und ignorierte den Knoten in meinem Magen. Stattdessen rang ich mir ein falsches Lächeln ab.

»Ja, würden Sie mir bitte die Auslage mit den neuen Bestseller zeigen? Jeder redet davon und ich bin leider noch nicht dazu gekommen mir ein Exemplar zu kaufen«, sagte ich überzeugend und mit erstaunlich fester Stimme. Der Ladenbesitzer musterte mich überrascht, nur, um dann Adrian einen skeptischen Blick zu zuwerfen. Letzterer betrachte mich nicht minder verwirrt.
»Selbstverständlich, Miss«, antwortete der Herr nach kurzem Zögern und führte mich zu besagten Büchern.

Natürlich folgte mir mein schlimmster Albtraum dabei. Es schien mir nur eine Frage der Zeit, bis er mich packen würde, um mit mir zu reden. Ich wusste nicht worüber und ich wollte es auch nicht wissen. Doch seine hartnäckigen Versuche mich telefonisch zu erreichen, ließen mir keinen Zweifel. Sein Gesicht strahlte wilde Entschlossenheit aus, als ich mich kurzzeitig zu ihm umdrehte.

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