Kapitel 16

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Gilberts Fussspuren hatten zu einem kleinen See geführt, nicht weit von seinem Haus entfernt. Adelaide hatte ihn nur eine kurze Zeit gesucht, bis sie ihn auf einem Baumstamm sitzend,  ins gefrorenem Wasser starrend entdeckte. Sie konnte den Schmerz, in dem er war, sichtbar sehen; die Art, wie er gekrümmt da sass und die Hände durch seine Locken fuhren. Sie runzelte die Stirn und beschloss, auf ihn zuzugehen.

"Es ist ein bisschen kalt zum Schwimmen, findest du nicht?" fragte Adelaide ihn, und Gilbert drehte etwas den Kopf um festzustellen, dass sie da war. Sie seufzte, setzte sich neben ihn und legte ihre zerbrechliche Hand auf die kalte Rinde neben seine. Wärme prallte gegen Kälte als sich ihre Hände berührten und Adelaide legte ihren Kopf sanft auf seine Schulter.

"Wie- wie hast du das durchgestanden?" Stammelte Gilbert mit angespannter Stimme. Er bezog sich auf die Zeit, in der ihr Vater vor nicht allzu langer Zeit gestorben war.

Adelaide schwieg einige Sekunden, bevor sie sprach.

"Es war schwer, ich dachte, mein Leben wäre vorbei. Ich hatte das Gefühl, dass ich nichts mehr zum Leben habe, zumal meine Mutter es sich zum Ziel gesetzt hat, mich auszuschliessen." Gilbert sah mit gesenktem Blick auf das Mädchen, das sich an ihn gelehnt hatte.

Vielleicht war sie sein Grund zu leben.

Sie spürte seine Augen auf sich und blickte auf, um tiefbraune Augen zu sehen, die voller Schmerzen waren. Aber sie war sich nicht sicher, ob ihre Grünen genauso viel Gefühl in sich hatten wie seine.

"Ich fühle mich so, als wäre das nicht real; als wäre ich betäubt." Adelaide suchte seine Augen ab, als er wieder sprach, und sah, das sie sich mit Tränen füllten. Sie konnte nicht die richtigen Worte finden, also schaute sie weg und liess ihren Kopf zurück auf seine Schulter fallen.

Nach einigen weiteren Minuten der Stille nahm Gilbert seinen Arm von dem kleinen Mädchen und stand auf. Er sah sie nicht an, denn er wollte nicht, dass sie ihn weinen sah.

"Ich- ich muss gehen. Danke, Ad. Ich schätze, ich werde später mit dir reden." Gilbert lächelte sanft und traurig, bevor er im Wald verschwand. Als er ausser Sichtweite war, liess Adelaide ihre Tränen fliessen. Natürlich konnten die Dinge nicht länger als eine Woche gut sein, das Leben schien sich im Moment nicht für sie zu interessieren.

Adelaide warf einen Blick auf den See und bewunderte, wie schön das gefrorene Eis aussah. Es war nur eine dünne Schicht - unter jedem Druck würde es brechen. Was auch immer durch das Eis brechen würde, würde sinken und wahrscheinlich nicht in der Lage sein, wieder nach oben zu finden.

Mit gerunzelter Stirn warf Adelaide mit aller Kraft einen kleinen Stein vom Boden in die Mitte des Sees. Um den Stein bildeten sich kleine Risse, als er die oberste Eisschicht durchbohrte. Innerhalb weniger Sekunden fiel der Stein schliesslich ins Wasser. Adelaide lächelte und wischte die Tränen aus dem Gesicht.

Sie warf einen letzten Blick auf das neue kleine Loch im Eis und lief nach Hause.

wondrous (Gilbert Blythe fanfic) german translationWo Geschichten leben. Entdecke jetzt