Wind of Change

342 34 1
                                    

Ich beschloss aufzustehen und mir erstmal das Anwesen anzugucken. Schließlich konnte ich mich nicht den ganzen Tag in meinem Zimmer einigeln.

Durch einen langen Gang gelangte ich letztlich auf eine Terrasse und von dort aus in den Garten, den man wohl eher als Park bezeichnen konnte.

Waren das dahinten wirklich Pferde auf der Weide?

Mein Herz begann schneller zu schlagen: Ich war geritten seit ich mit fünf Jahren das erste Mal auf einem Pferderücken gesessen hatte… bis vor einem halben Jahr. Da starb meine Stute. Meine wundervolle Samira, die ich mit 8 Jahren bekommen hatte. Auf dem alten Mädchen hatte ich alles gelernt. Wie mein Reitlehrer immer mit einem Lächeln angemerkt hatte, war sie eine Lebensversicherung auf vier Beinen gewesen.

Langsam näherte ich mich nun der Weide. Seit Samira war ich mit keinem anderen Pferd mehr in Kontakt gekommen, hatte keines außer ihr gewollt. Aber jetzt wo ich praktisch eine Fremde in dem Haus war, freute es mich, endlich wieder etwas Vertrautes zu sehen. Ich sehnte mich nach dem beruhigenden Gefühl der Tiere um mich herum. Also ging ich weiter, bis ich am Rand der Wiese ankam. Drei Pferde standen auf der Koppel:

Ein großer Fuchs mit sportlichem Exterieur, ein Schimmelpony mit dicker Mähne und Schmutzsprenklern über die ganze Kruppe verteilt und schließlich noch eine braune Stute. Sie stand am weitesten von mir entfernt und hatte den Kopf erhoben und die Nüstern ängstlich in meine Richtung gebläht.

Ich ließ mich auf dem Zaun nieder, beobachtete die drei einfach nur und genoss den vertrauten Duft.

Die Sonne senkte sich langsam und der Himmel bekam einen orangefarbenen Ton. Plötzlich wieherte der Fuchs und kam auf mich zu. Das Pony folgte und auch die braune Stute näherte sich vorsichtig. Ich drehte mich um und sah, dass mein Bruder den Weg entlang ging. Er war alleine und schien mich zu beobachten. Gerade als ich mich aus dem Staub machen wollte, stupste mich der Schimmel energisch an und ich zuckte leicht zusammen. Dann legte ich meine Hand auf sein weiches Fell und streichelte ihn sanft am Kopf.

„Kannst du mir helfen? Sie müssen in den Stall gebracht werden“, fragte mein Bruder. Die übliche Spur von Arroganz und Abwertung fehlte diesmal in seiner Stimme. Ich nickte stumm und er gab mir einen Strick.

„Nimm am besten Snowy“, er wies auf das Schimmelpony. Mein Blick aber blieb an der braunen Stute hängen, die sich möglichst weit weg von mir an den Zaun gequetscht hatte.

„Könnte ich sie vielleicht nehmen?“ ich blickte Cedric nicht in die Augen.

„Ähm…“ etwas unsicher sah er mich an.

„Bitte?“

Er atmete einmal tief durch „Ok, dann nimmst du Catch Me.“

Ich unerdrückte ein kleines Lächeln. Er überwand sich, um mir ein Zugeständnis zu machen. Vielleicht sollte ich ihm wenigstens den Hauch einer Chance geben, wenn er sich schon so bemühte.

„Sie ist ein bisschen schüchtern. Am besten probierst du es hiermit.“ Er gab mir einen Apfel und nahm den Fuchs und Snowy. Die Stute blieb wie versteinert stehen und bewegte sich keinen Zentimeter vom Fleck.

„Geh schon mal vor. Wir kommen nach.“ Murmelte ich meinem Bruder zu.

„Weißt du denn, wo die Ställe sind?“

Oh Mist. Sehr schlau, Adriana. Natürlich hatte ich daran gar nicht gedacht…

„Ich komm einfach noch mal“, rettete mich Cedric da und machte sich dann auf den Weg in Richtung des Hauses.

„Na komm, Kleine. Ich tue dir nichts und außerdem habe ich Bestechungsmaterial!“

Während ich eine gefühlte Ewigkeit auf sie einredete, merkte ich, wie sie sich nach und nach entkrampfte. Schließlich hatte ich sie so weit, dass ich den Strick einhaken konnte und gerade als wir durch Tor gingen, kam mein Bruder und entgegen.

„Ah ja. Sehr schön ihr zwei.“

Schweigend folgte ich ihm, bis er schließlich die Stille brach „Reitest du noch…seit…“

„Nein. Nicht mehr.“ Gab ich kurz angebunden zurück. Über Samira wollte ich jetzt beim besten Willen nicht reden.

„Hmm… weißt du, Catch Me könnte noch wen brauchen, der sich um sie kümmert. Ich habe sie letztes Jahr aus schlechter Haltung gekauft, aber ich habe kaum Zeit für sie.“

„Ich überleg's mir.“ Naja, eigentlich kannte ich die Antwort schon, aber ich wollte ihn noch ein bisschen hinhalten.

Nachdem ich die Kleine in ihre Box gestellt hatte, wandte sich Cedric erneut an mich.

„Man hat mir dir über die Schule gesprochen?“ Ich nickte. Ich war darüber aufgeklärt worden, dass ich ab jetzt eine exklusive Privatschule besuchen würd – natürlich mit ihm zusammen, damit er besser auf mich aufpassen konnte. Das ich nicht lachte.

„Du steigst direkt in der 11. Klasse ein, wir sehen dann, ob das klappte“, zwischen den Zeilen kam deutlich seine ernsthaften Zweifel daran hervor. Idiot!

„Es gibt eine Schuluni-“

„WAS?!“ platzte ich dazwischen. Das konnten die doch nicht ernst meinen.

„-form, die auf deinem Bett liegt. Weitere Garnituren davon hängen bei dir im Schrank. Schwarze Schuhe dazu, keine Sandalen.“

Ich seufzte.

„Gute Nacht, kleine Schwester.“

„Nacht.“

Damit verschwand ich auf mein Zimmer und tatsächlich: auf meinem Bett lag mein persönlicher Alptraum! Knielanger Rock, eine weiße, hochgeschlossene Bluse und passende Kniestrümpfe im gleichen Farbton. Mein Gott war ich bei Hanni und Nanni gelandet?

Nie im Leben würde ich das anziehen!

Zeit für ein bisschen kreatives Schaffen.

Zwei Stunden später betrachtete ich mein Werk im Spiegel. Na bitte. Mit ein bisschen Fantasie konnte man aus allem noch was machen.

Den Rock hatte ich bis auf Höhe meiner Oberschenkel gekürzt und am Saum ausgefranst. Außerdem wurde er von Löchern geziert, die ich mit schwarzem Stoff hinterlegt hatte. Das dunkle Blau des Rocks war gar nicht so übel. Passte perfekt zu meinen Haaren.

Die Bluse wurde nun von einem schwarzen Totenkopf geschmückt, der den ganzen Rücken bedeckte.

Zufrieden mit meinem Werk zog ich ein altes Schlabbershirt an und ging ins Bett. Müdigkeit überkam mich und ich schlief schnell ein.

Rebel Yell (Deutsch)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt