2. Kapitel

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„Was meinst du ist da passiert? Denkst du Teon war..." „Ich weiß nicht, Ella." Lerche saß auf dem Fenstersims ihres Zimmers und sah hinaus. Sie hatten eines der wenigen Zimmer, deren Fenster nicht auf den Hinterhof, sondern auf den Weg vor dem Frauenhaus herausgingen. Weshalb sie hoffen durfte etwas Interessantes zu sehen. Lerche gierte geradezu nach Informationen. Was war passiert? Wie war es passiert?

Es gehörte sich nicht für eine Frau, solche Fragen zu stellen, das wusste sie. Und sie würde sie auch niemals laut stellen. Sie sollte eigentlich weinen. Das gehörte sich für Frauen. Sie waren schwach, sie waren emotional. Aber Lerche weinte nicht, stattdessen wartete sie darauf, dass vielleicht etwas passieren würde, was ihr mehr Klarheit geben konnte. Auch wenn sie nicht behaupten konnte, den Stich in ihrem Herzen nicht zu spüren. Es schmerzte.

Ihre Freundin hatte begonnen ihre, ohnehin schon sehr aufgeräumte, Kommode umzuräumen. Wahrscheinlich würde sie danach mit Lerches Sachen weitermachen. „Aber er war zwischen den Zäunen. Das bedeutet er muss irgendwie durch den ersten gekommen sein. Vielleicht ist er an einer Stelle darunter durchgekrochen." überlegte Lerche laut. Sie versuchte die Gedanken zu ordnen. „Aber wie ist er dann gestorben? War das ein..." Lerche hörte das vertraute Geräusch als Ella sich auf ihrem Bett niederließ. Sie traute sich nicht das Wort auszusprechen, also tat Lerche es: „Ein Dämon." Ella sog scharf die Luft ein. „Vielleicht."

Sie hatte niemals einen Dämon gesehen. Und das war auch gut so, nach dem zu urteilen, was die Hohen Herren, oder früher ihrer Lehrerin, über sie sagten. Zweifelsohne konnten sie einen Mann töten, der sich aus der Sicherheit der Zuflucht hinausbegeben hatte. Sie hätten ihn sogar hinaus locken können. Und Teon war nicht ganz normal gewesen, er war anfällig.

Schon seit einigen Wochen redete er darüber die Zuflucht zu verlassen. Sagte, dass er Jonah nicht glaubte, dass alles Unsinn sei. Anna hatte zuerst Magnus davon erzählt und der hatte es Lerche und Ella gesagt. Teon hatte wohl auch Panikanfälle und Anna musste aufpassen, dass er dann niemals das Haus verließ. Er aß auch immer weniger, wurde immer dünner. Sie hätten es melden müssen, sie alle wussten es und Ella war immer kurz davor gewesen. Aber sie hatten nicht das ganze Ausmaß gekannt. Anna hatte immer wieder behauptet, es würde besser werden, hatte gelächelt und allen erzählt ihr Mann hätte eine hartnäckige Grippe. Außerdem wussten sie, dass Teon keinen Exorzismus mehr überleben würde, wenn er wirklich so abgemagert war. Und dass die Alternative dazu ebenfalls sein Tod gewesen wäre.

Lerche hatte versucht eine andere Erklärung zu finden, eine die kein Todesurteil für den Mann ihrer Freundin erlauben würde. Sie hatte über Vergiftungen gelesen, die zu ähnlichen Symptomen führen konnten. Sie hatte sich tagelang von Anna aufzählen lassen, was Teon aß, aber keine Auffälligkeiten gefunden. Als Anna dann sagte, seine Anfälle würden immer weniger werden, war sie beruhigt. Zu Unrecht.

Ella schluchzte plötzlich und schnappte nach Luft „Wir hätten es Samuel sagen müssen oder Nathaniel oder... Jonah. Wir hätten das verhindern müssen, er war so ein lieber Mann, wir hätten..." „Und was wäre dann passiert? Ein Exorzismus, bei dem er gestorben wäre? Wir wussten doch sowieso nicht wie schlimm es tatsächlich war. Ich habe ihn nicht mehr gesehen, seit das angefangen hat. Du etwa?" „Nein, aber..." „Na, siehst du. Und was hättest du den Herren sagen wollen, Ella? Dass wir von Magnus gehört haben, dass es dem Mann seiner Schwester nicht gut geht, die aber meint es würde besser werden? Das ist lächerlich. Die beiden hätten es selbst melden müssen."

Ella schwieg. Dann sagte sie leise: „Ich denke Anna hatte einfach Angst. Angst um Teon. Sie wollte nicht, dass sie ihm wehtun. Sie hat einen Fehler gemacht, sie hätte Vertrauen haben müssen..." „Ja, hätte sie." antwortete Lerche leise.

Sie war zu harsch gewesen, das wusste sie. Sie hätte Ella nicht so anfahren sollen, die kurz darauf ins Bad verschwunden war. Sie hatte nur gefragt ob sie es hätten verhindern können. Sie hatte sich nur Sorgen gemacht, ob irgendetwas davon ihre Schuld war. Und diesen dunklen Gedanken hatte Lerche auch. Vielleicht hätte ein Exorzismus ihn doch gerettet? Vielleicht hätte Jonah etwas anderes gewusst? Vielleicht hätte sie wirklich mehr tun können? Aber was? Es war Annas Verantwortung gewesen, das wusste sie.

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