5. Kapitel

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Gestern war Magnus nicht mehr erschienen. Wahrscheinlich hatte er einfach zu viel mit dem Hof zu tun gehabt und es war zu spät geworden. Heute war allerdings Michael bereits den ganzen Morgen im Büro und brütete über diversen Plänen, zur Aufteilung der neu eingetroffenen Lebensmittel. Lerche hielt sich also im Hintergrund. Michael schätzte keine Ratschläge von ihr, das wusste sie nur zu gut. Also musste sie hoffen, dass er bald mit dem Planen fertig sein würde.

Zum widerholten Male versuchte sie den hartnäckigen Fleck unten rechts von der Fensterscheibe zu wischen. Fensterputzen. So eine langweilige Aufgabe. Sie hätte so viel lieber bei der Planung geholfen. Sie gab auf und ließ den Lappen in den Wassereimer fallen. Es war jetzt drei Tage her, dass Teon gestorben war. Sie sollte wirklich mal nach Anna sehen. Aber es gab im Moment keine Möglichkeit sich irgendwie vor der Arbeit zu drücken und zu ihrem Hof zu gehen. Als sie gerade noch einmal versuchen wollte, das Fenster doch noch sauber zu bekommen, fiel ihr Magnus auf. Er stand in einiger Entfernung im Hof. Sie begann zu winken und er hob die Hand zum Gruß, als er sie entdeckte.

Aber er konnte unmöglich reinkommen und mit ihr reden. Nicht so lange Michael da war. Lerche bedeute ihm mit einer Geste draußen zu warten. Magnus kam zur Tür. Hastig schüttelte sie den Kopf und kreuzte die Hände. Er sollte bloß draußen bleiben! „Warte." formte sie mit den Lippen. Dann stellte sie den Eimer ab und öffnete die Tür zu Michaels Büro. Er sah nur kurz auf und fuhr dann fort, Textpassagen zu markieren. „Ich gehe neues Wasser holen, ja?" sagte sie. „Sicher." Sie ging, legte den Lappen auf den Fenstersims und verließ das Gebäude mit dem Eimer. Sie musste ihn mit beiden Armen tragen.

Magnus wartete draußen auf sie. „Schlechtes Timing." begrüßte sie ihn. „Was ist ein Timing?" „Wenn man zu einer bestimmten Zeit etwas tut. Habe ich gelesen." Sie war nicht zufrieden mit der Erklärung und fügte an: „Man kann das Wort schlecht erklären." Magnus nahm ihr den Eimer ab und trug ihn in den Hinterhof zum Wasserhahn. „Ich wollte dich fragen, was ihr bei der Versammlung besprochen habt. Ging es um Teon?" Magnus sah sie nicht an. „Du weißt doch, dass ich dir das nicht erzählen kann." Sie kippte den Eimer aus und schob ihn unter den Wasserhahn. „Ach, komm schon. Du glaubst doch nicht, dass nicht sowieso einige ihren Frauen erzählen, was gesagt wurde, oder? Arthurs Frau ist immer bestens unterrichtet und ich glaube nicht, dass sie sich das alles zusammenreimt." Sie stellte den Wasserhahn an. „Aber du bist nicht meine Frau." Sie sah ihn flehend an. Er knickte sofort ein. „Schon gut. Ja, es ging um Teon. Aber größtenteils waren es nur einige Spekulationen und die Berichte, der beiden die ihn fanden. Nichts was dich interessieren würde. Die Herren haben dem auch nichts mehr hinzugefügt." „Was ist mit der Beerdigung?" „Nun, sie haben gesagt, sie hätten ihn verbrannt." Lerche stutzte.

„Moment, heißt das Jonah hat gelogen?"

flüsterte sie. „Nein. Samuel hat es gesagt, ich denke nicht, dass er davon wusste." Das unausgesprochene hing zwischen ihnen: Aber Jonah hat ihn nicht korrigiert. „Warum hat Jonah nichts gesagt? Hast du es getan?" „Nein, natürlich nicht. Ich spreche nichts aus, was Jonah nicht aussprechen will. Ich weiß nicht, vielleicht wollte er einfach nicht, dass weiter auf Anna herumgehackt wird, keine Ahnung." Sie nickte und stellte den Wasserhahn ab. „Danke. Ich sollte wieder reingehen, nicht dass Michael..." „Wie geht es Elisabeth?" unterbrach er sie schnell.

„Ella?" Lerche zog eine Augenbraue hoch „Es geht ihr gut. Sie durfte letztens endlich mal eine richtige Wunde nähen. Du weißt, dieser Mann, der sich in den Arm geschnitten hatte..." sie unterbrach kurz um den Eimer wieder hochzuheben und den Rückweg anzutreten „Das wurde auch Zeit. Sie ist schließlich wirklich gut und sie freut sich, wenn sie helfen kann." Magnus nickte gedankenverloren. Er ließ sie allein weiter zur Tür gehen. Lerche verabschiedete sich und ging zurück auf den Flur, wo noch mehrere ungeputzte Fenster auf sie warteten.

Am nächsten Tag erschien Michael nicht zur Arbeit und am darauffolgenden auch nicht. Nicht, dass es sie störte, Lerche genoss ihre Freiheit und hatte mit dem Sortieren weiter gemacht. Sie sah ihn bei den Predigten, wie er grimmig dreinblickend die Kirche durchschritt. Anfangs hatte sie vermutet er sei krank, obwohl Ella eingeworfen hatte, dass er sich nicht im Krankenhaus meldete. Doch er sah gesund aus. Was man nicht von Anna sagen konnte. Ihre Augen waren nicht mehr ständig rot und sie sah auch nicht mehr unnatürlich blass aus. Aber etwas an ihr hatte sich verändert. Es war wie ein Schleier, der stetig über ihr hing und sie von der Außenwelt trennte. Ella war mehr als besorgt und hatte entschieden, dass sie den Samstag bei Anna verbringen würden. In der Hoffnung ihr irgendwie helfen zu können.

Als der Freitag sich dem Ende zu neigte, realisierte Lerche, dass Michael wahrscheinlich nicht mehr im Verwaltungsgebäude auftauchen würde. Sie hatte die Sortierarbeit beendet und suchte nun seit beinahe einer Stunde etwas, was sie bis zum Abend tun konnte. Im Moment stellte sie einfach nur Dinge um und wieder zurück an ihren alten Platz, wenn ihr diese neue Ordnung nicht gefiel. Sie sortierte einige alte Stifte aus und warf sie in den Papierkorb. Wenn er nicht mehr kam, dann konnte das nur eines heißen: Jonah hatte ihn gefeuert. Vermutlich hatte er einen oder mehrere Fehler begangen, von denen sie nichts mitbekommen hatte. Das würde zu ihm passen. So oft wie er ihre Unterstützung benötigte. Es kam selten vor, dass ein Sekretär entlassen wurde, sie hatte es erst einmal erlebt, aber es war nicht unmöglich. Für sie bedeute das, sie würde einen neuen Vorgesetzten bekommen. Lerche ließ ihre Finger über den Schreibtisch gleiten und ertappte sich bei dem Wunsch es würde ihrer sein. Ihr Schreibtisch. Ihre Arbeit, die sie ohnehin schon die meiste Zeit getan hatte. Endlich die Anerkennung, die Michael für ihre Arbeit bekommen hatte, selbst bekommen.

Aber das war natürlich Unsinn. Eine Frau würde kein Sekretär werden, das hatte es noch nie gegeben. Es war nicht die Aufgabe einer Frau solch eine Position zu übernehmen. Ohnehin würde sie aufhören müssen zu arbeiten, wenn sie heiratete. Der Gedanke daran, ließ sie einen Kloß im Hals spüren. Die Versammlung und die Hohen Herren würden einen Ehemann für sie bestimmen, so wie sie es irgendwann für die meisten Frauen taten. Dieser Mann würde gefragt werden ob er einverstanden war. Und sie konnte nur hoffen, dass er anständig war. Nicht wie ihr Vater, dachte sie giftig und schämte sich sofort für diesen Gedanken. „Verzeihung, Verzeihung, das wollte ich nicht." flüsterte sie. Aber sie war nicht gänzlich überzeugt, dass sie es auch so meinte.

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