8. Kapitel

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Lerche hatte sämtliche alten Stifte, Notizzettel und Karteikarten kurzerhand weggeworfen. Die Ordnung der Kisten würde sie erst einmal so beibehalten. Falls sie etwas störte, konnte sie es jederzeit ändern. Es war beinahe Mittag, als sie fertig war, das Büro einzurichten. Ihr Büro. Sie ließ sich hinter dem Schreibtisch nieder, ihrem Schreibtisch, und gönnte sich einen Moment Zufriedenheit. Hier war sie. Allen Umständen zum Trotz. Das Gefühl angekommen zu sein, überwältigte sie. Sie würde niemandem mehr hinterherlaufen. Sie würde selbst den Weg bestimmen. Lerche legte ihre Hände auf den Schreibtisch und schloss die Augen.

Dann fiel es ihr wieder ein. Magnus hatte um Ellas Hand bitten wollen und es vielleicht auch gestern Abend getan. Aber es kam ihr nicht real vor. Das konnte er nicht getan haben, nicht jetzt wo alles so gut lief. Nicht jetzt, wo sie so viel Einfluss hatte. Er würde sich doch nicht gegen sie stellen. Er war ihr Freund und noch wichtiger: er war Ellas Freund. Sie schob einen Stapel Papiere über neue Essenslieferungen nach rechts. Sie würde den Schreibtisch aufteilen; links für erledigt, rechts für unerledigt. Und wenn sie schnell mit dem Aufteilen war, dann würde sie noch bei Magnus vorbeigehen. Lerche lächelte. Heute war ein guter Tag.

Obwohl sie es sich kaum eingestehen wollte, hatte sie sich an Michaels alten Unterlagen orientieren müssen, um auf einigermaßen verlässliche Zahlen zu kommen. Erst hatte sie sich dagegen gesträubt und sich eingeredet sie könne das selbst. Aber nachdem sie keine andere Methode gefunden hatte um den Verbraucht an Lebensmitteln pro Haus zu schätzen, hatte sie sich doch an den vorhandenen Zahlen orientiert. Es wäre kindisch gewesen Fehler zu machen, nur wegen ihres Stolzes. Und sie war nun eine Sekretärin, kein Kind mehr.

Irgendwann war Ember vorbeigekommen und hatte ihr eine Kanne Tee angeboten. Lerche hatte dankend angenommen, aber dann die Hälfte ihres Glases über den Schreibtisch verschüttet. Sie hatte sich über ihre Ungeschicktheit geärgert und dann einen Lappen geholt. Auf dem Gang kam ihr Lucas entgegen. Als er den Lappen in ihrer Hand sah, zog er fragend die Augenbrauen hoch und grinste dann spöttisch, als hätte er die Antwort auf die unausgesprochene Frage selbst gefunden. Lerche war irritiert, bis sie den Fehler bemerkte. Natürlich, sie hätte Ember dafür holen können. Sie musste nicht mehr selbst saubermachen. Aber bei dem Gedanken war ihr nicht ganz wohl, also tat sie trotzdem. Sollte Lucas doch grinsen. Er war immerhin nicht als erste Frau zum Sekretär befördert worden.

Als sie endlich das Verwaltungsgebäude verließ, tauchte die Sonne bereits alles in ein rötliches Licht. Es würde nicht lange dauern bis zum Abendgebet, sie hatte vielleicht noch 30 Minuten. Trotzdem, in der Zeit sollte sie es zu Magnus schaffen, sein Hof war nicht allzu weit entfernt.

Lerche wählte extra einen abgelegenen Weg durch die Maisfelder, in der Hoffnung nicht entdeckt zu werden. Die gelblichen Blätter striffen ihre Arme und sie musste immer wieder größeren Steinen ausweichen. Einmal hatte sie den Fehler gemacht, diesen Weg auch im November zu benutzen. Der Schlamm hatte ihr komplettes Kleid nachhaltig ruiniert. Aber jetzt im Spätsommer, war es ein netter kleiner Schleichweg.

Sie hielt sich weiter dicht am Feldrand, anstatt dem Weg zwischen zwei anderen Höfen hindurch zu folgen. Es war nicht direkt verboten, dass sie zu Magnus ging. Außerdem hatte sie nun die beste Ausrede überhaupt und hätte es jederzeit als notwendigen Besuch deklarieren können. Trotzdem musste sie ihr Glück nicht herausfordern. Immerhin waren sie beide unverheiratet und es wäre ein leichtes gewesen ihnen eine verbotene Beziehung anzudichten.

Falls ihnen jemand etwas Böses wollte. Und sie hatte für genügend Wirbel gesorgt, um das heraufzubeschwören.

Hinter dem Schafsstall blieb sie stehen und lauschte auf etwaige Stimmen. Aber außer dem leichten Blöcken der Schafe, hörte sie nichts. Magnus musste sie bereits von der Weide geholt haben. Sie sah durch ein offenes Fenster in den Stall hinein. Sofort kamen einige Schafe neugierig angelaufen und streckten ihr die Nasen entgegen.

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