19. Kapitel

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Die Predigt am Samstag war von einer düsteren Stimmung überlagert, die selbst die nach Teons Tod in den Schatten stellte. Nathaniels Stimme war leiser als sonst, seine Worte klangen ein wenig holprig und er schien sich zu beeilen, seine Vorlesung zu beenden. Wieder war keiner der Krankenhausmitarbeiter anwesend und Lerche vermisste Ella schmerzlich. Seit sie mit Jonah verlobt war, hatte sie das Gefühl von den anderen Frauen zwar bewundert, aber auch gemieden zu werden. Niemand wollte riskieren ihr gegenüber etwas falsches zu sagen und niemand konnte sie mehr richtig einschätzen.

Die traurige Stimmung der Kirchenversammlung lastete auf ihr und nun, mit Ella im Krankenhaus und Jonah mehrere Bankreihen von ihr entfernt, fühlte sie sich ein wenig einsam. Aber sie wusste auch, dass dieses Gefühl nicht zu vergleichen war mit dem Schmerz der anderen Kinder und der Angst der Eltern der Kranken. Als Nathaniel die Predigt beendete schloss sie artig die Augen, faltete die Hände und flüsterte: „Amen."

Als sie wieder nach vorn sah, hatten Nathaniel und Jonah die Plätze getauscht. Lerche spürte ihr Herz gegen ihre Brust drücken, als ihr klar wurde, was er wahrscheinlich verkünden würde. Und sie hoffte, völlig umsonst, sich zu irren.

„Meine Lieben." Jonah holte tief Luft, es schien ihm schwerzufallen, auszusprechen, was bereits in der Luft hing. „Benjamin und Mirabella sind heute Nacht verstorben. Johann liegt im Sterben."

Aus der hinteren Reihe hörte sie Schluchzen und ein ersticktes Wimmern, dann ein strenges: „Ruhe, wir sind in der Kirche." Lerche traute sich nicht, sich umzudrehen. Sie wollte die Tränen in den großen Augen der Kinder nicht sehen. Vor allem nicht in Kamillas.

Um sie herum versuchten die Leute möglichst unauffällig einen Blick auf die Familien der Toten zu erhaschen. Eine Frau in der fünften Reihe, entweder Mirabellas oder Benjamins Mutter, schluchzte hörbar auf und hielt sich an der Kirchenbank vor ihr fest. Ihr Mann saß ein wenig hilflos neben ihr, starrte nach vorn und versuchte scheinbar die Fassung zu waren.

„Ich möchte, dass wir Erwachsenen jetzt alle nach Hause gehen, uns umziehen und für die Beerdigung zurecht machen. In einer Stunde seid ihr bitte alle am Friedhof. Auch die Ärzte und Krankenschwestern, bis auf Beatrice und Ida werden teilnehmen." verkündete Jonah ruhig. „Ihr dürft gehen."

Lerche versuchte nach vorne hindurch zu kommen, zu Jonah. Aber sie war zu zeitig aufgestanden und befand sich nun mitten im Strom der Menschen, die die Kirche verließen. Es gab keine Chance hier hindurch zu kommen. Und Jonah schien keine Notiz von ihr zu nehmen und sie auch nicht zu vermissen. Sie gab es auf und verließ die Kirche allein.

Draußen war es zwar ein wenig wärmer als heute Morgen, aber es hatte auch zu regnen begonnen. Sie setzte die Kapuze ihrer Jacke auf und zog sie ins Gesicht. Der Himmel schien sich zu verdunkeln. In der Ferne konnte sie die Umrisse des östlichen Wachturmes nur noch erahnen, obwohl man ihn von hier aus normalerweise gut sehen konnte.


Schon von weitem sah sie den Wagen auf dem zwei kleine, in Tücher gewickelte Körper lagen und sofort sah sie wieder weg. Sie weinte nicht, aber ihr Gesicht fühlte sich dennoch kalt und nass an. Wahrscheinlich lag es am Regen. Lerche hatte ihr schwarzes Kleid angezogen, eine schwarze Strickjacke darüber und das dunkelste Paar Schuhe herausgesucht, das sie hatte. Die Schuhe waren definitiv ungeeignet für das Wetter, zu dünn und es würde nicht lange dauern, bis sie nasse Füße bekäme. Also versuchte sie auf dem Weg durch die Zuflucht möglichst allen Pfützen auszuweichen, die immer größer wurden und drohten die Straße zu verschlingen.

Erst hatte sie sogar versucht ihre Haare zu flechten, aber ihre Finger hatten gezittert und sie hatte immer wieder die falschen Strähnen übereinandergelegt, also gab sie auf. Außerdem hatte sie, kaum dass sie das Frauenhaus verließ, sowieso all ihre Locken unter die Kapuze gestopft.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jul 31, 2020 ⏰

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