Kapitel 24

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Das warme Wasser floss sanft an meinem Körper hinab. Unter der Dusche versuchte ich für Klarheit im Chaos meines Kopfes zu sorgen. Ich biss mir auf die Lippe, was ich immer tat, wenn ich nachdenklich war. Unsanft wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, als es an der Haustür klingelte. Panisch drehte ich den Wasserhahn aus und warf mir ein Handtuch über. Wieso musste genau in solchen Situationen meine Mutter nicht da sein? Vorsichtig tapste ich die Treppe hinunter. Zaghaft spähte ich durch die Tür und hätte sie am liebsten wieder zugeknallt, als ich den mysteriösen Jungen von vorhin erblickte. Röte stieg meine Wangen empor. Ein Gefühl von Hitze durchstreifte meinen gesamten Körper.

"Hi, ich bin Luke. Der neue Nachbar." Sein Blick glitt an mir herab, wobei er leicht schmunzeln musste. Ich war vollkommen verdutzt und räusperte mich.

"Äh, ich bin Wilma.", erwiderte ich leicht begriffsstutzig und ringte mir ein Lächeln ab. Nun war ich diejenige, die ihn musterte. Muskeln zeichnete sich an seinem Shirt ab. Seine Haare waren dunkelbraun, fast schwarz und ein wenig unordentlich. Dunkle Wimpern umrahmten seine dunkelblauen Augen, die von grauen Sprenkeln verziert wurden.

"Sorry, dass ich einfach so reinplatze, aber wir hatten keine Milch mehr im Haus und weil ja heute Sonntag ist.", mit diesen Worten beendete er seinen Satz.

"Achso. Ja, klar. Willst du kurz reinkommen?", fragte ich freundlich und deutete hinter mich. Er nickte nur.

Ich rückte mein Handtuch zurecht, damit es ja nicht hinunterfallen würde und entnahm dem Kühlschrank zwei Liter Milch, die ich Luke überreichte .

"Eine wäre aber auch okay gewesen.", sagte er daraufhin leicht verlegen.

"Schon in Ordnung." Ich lächelte ihn an, doch er wich meinem Blick aus und sagte er müsse los. Keine zwei Sekunden später hörte ich die Tür ins Schloss fallen. Ich gab ein Gemisch aus ungläubigem Schnauben und Lachen von mir. Diese Wirkung wollte keine Frau bei einem Mann erzielen.

Für einige Minuten stand ich nur da. Ich starrte ins Leere, ohne jegliche Art von Gedanken. Als ich schließlich bemerkte, dass ich immer noch im Handtuch in der Küche stand, ging ich wieder hoch ins Bad.

Später am Abend herrschte Stille am Esstisch. Ich wusste einfach nicht, über was ich mit meiner Mutter reden sollte. Eine leise Stimme in meinem Kopf wiederholte immer wieder das Wort "Vision", doch ich versuchte sie so gut es ging zu unterdrücken.

"Und wie war dein Tag so?", fragte ich statt dessen. Bei dieser Frage erhellte sich deutlich die Miene meiner Mutter. Wie in Erinnerung schwelgend schaute sie zur Seite, doch dann fiel ihr ein, dass sie noch gar nicht meine Frage beantwortet hatte und schüttelte leicht den Kopf.

"Schön. Sehr schön sogar. Thomas hat mich in ein kleines Café ausgeführt und sich nach dir erkundigt."

"Und was hast du dann gesagt?", fragte ich mit hochgezogener Augenbraue.

"Nur, dass du ein total liebes Mädchen bist.", erwiderte meine Mutter mit einem entschuldigenden Lächeln.

"Und was noch?"

"Eigentlich nicht viel. Er war total begeistert von dir und will dich unbedingt mal kennenlernen." Meine Mutter strahlte mich an. Ich brachte es nicht übers Herz ihr zu sagen, dass ich gar keine Lust auf ein Treffen mit ihrem neuen "Lover" hatte.

"Okay. Ich bin ehrlich gesagt auch schon neugierig wie er so ist.", flötete ich anstelle dessen. Als hätte ich nichts Schöneres sagen können, stand meine Mutter auf und drückte mich zärtlich an sich.

"Danke, Wilma.", flüsterte sie leise in mein Ohr. Es war das erste Mal seit Langem, dass ich meiner Mutter einen Gefallen tat. Mit feuchten Augen setzte sie sich wieder gegenüber von mir. "Und wie war dein Tag, mein Schatz?"

"Ganz okay. Der neue Nachbar war kurz da, weil er keine Milch mehr hatte.", antwortete ich so beiläufig wie möglich. Auf komische Fragen konnte ich nur allzu gut verzichten.

"Aha. Und wie war er so?" Die Neugierde stand ihr ins Gesicht geschrieben.

"Ganz nett.", versuchte ich sie abzuwimmeln. Meine Mutter bemühte sich ein Grinsen zu verstecken, doch ich konnte es deutlich sehen. Ich war froh, dass keine weiteren Fragen folgten und ich getrost in mein Zimmer zurück gehen konnte.

Ich legte mich auf mein Bett und begann ein Buch zu lesen, als ich ein Geräusch vernahm. Es hörte sich an, als ob jemand Steine gegen meine Fensterscheibe werfen würde. Ich legte das Buch zur Seite und betrachtete eindringlich die Straße. Nichts schien auf irgendeine Weise verdächtig zu sein. Noch einmal vergewisserte ich mich, dass alles stimmte und legte mich wieder auf mein Bett.


Augen aus SmaragdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt