♕14 - Stolzer Wille♛

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Taehyung

Wenn ich mit jemandem hier und jetzt eine Wanderung machen könnte, würde ich womöglich all den Lasten entrinnen, die gerade meine Schultern strapazierten. Ich könnte der Finsternis entkommen, die sich langsam um mich hüllte und mich einnahm, während ich stillschweigend zuschaute und nichts dagegen unternehmen konnte, weil ich umzingelt von eisernen Mauern war.

Wir waren weit von Zuhause entfernt und demnach gab es niemanden in Alvarez, der Anordnungen zu einem Angriff geben konnte, denn all diese Befehle wurden zunächst mit meinem Vater besprochen und auch von ihm erlaubt, oder auch verboten. Stellte sich nun also die Frage, wer es wagte, die Atirianer auf ihrer gewonnenen Steppe anzugreifen und damit den Zorn des Königs zu erzürnen. In dem Moment, in dem ich glaubte, endlich einen bedeutenden Schritt gehen zu können. Und nun waren wir wieder bei null angelangt.

Frieden ist nichts, das man erzwingen kann, denn es gehören mehr als eine Person dazu. Wer die Geduld zum Warten und den Willen zur Tat nicht aufbringen kann, wird auch nichts bewirken. Aber Frieden ist nichts, das die einen können und die anderen nicht, die einen zusammen bringt und die anderen trennt. Frieden lässt sich lernen - mit dem Warten, das zum Frieden gehört und nur wer den Willen dazu zeigt, wird ihn erlernen können.

Ich lehnte mich mit dem Oberkörper leicht nach hinten und tippte mit den Fingern auf dem hölzernen Tisch vor mir herum. Ohne eine Aufgabe und einer Menge Zeit blieb mir nichts anderes übrig, als mich meinen Gedanken zu widmen. Seit dem Vorfall von gestern, der Nachricht, dass Soldaten in Brassdock angegriffen wurden, war die Stimmung hier mehr als angespannt, die Gemüter erhitzt.

Man behandelte uns schon von Anfang an als Menschen des feindlichen Reiches, doch hielt man sich bis dato mit den giftigen Blicken zurück, seit gestern änderte sich das. Hasserfüllt wurden wir gemustert, wenn wir den Gang entlang gingen und kein einziges Wort wurde noch mit uns gewechselt, als seien wir die Verantwortlichen für diesen Angriff. Der König war verantwortlich für sein Volk und sollte sich herausstellen, dass unsere Soldaten die Schuld daran tragen, wird das ein schlechtes Licht auf uns werfen.

Fast schon wie automatisch erhob ich mich von meinem Platz und öffnete die Holztür meines Gemachs, um dieses zu verlassen und endlich etwas anderes vor die Augen zu bekommen. Denselben Farbton und dieselbe, stickige Luft um mich herum zu haben ließ mich auf Dauer wahnsinnig werden. Aber Wahnsinn war nichts, das einen von Geburt an begleitete und deshalb sorgte ich dafür, dass er sich nicht in mir bildete, während ich mir den Kopf über die Zukunft zerbrach.

Mit leisen Schritten spazierte ich den Gang entlang und hoffte innerlich, keinem anderen über den Weg zu laufen und falls doch, dass es sich dabei dann zumindest um einen Verbündeten handelt. Eine erneute Bestätigung meiner Vermutungen brauchte ich nicht, davon gab es in den letzten 24 Stunden schon viel zu viele, als dass ich eine Neue benötigte.

Es war noch einigermaßen hell draußen, der Himmel war in einem angenehmen Königsblau getränkt und die Sonne war gerade dabei hinter den Bergen zu verschwinden. Kaum eine Wolke zierte den Himmel und als ich endlich den ersten Schritt in die Freiheit tat, spürte ich eine fast schon vermisste Brise Wind an meinem Gesicht. Es zeigte mir, dass die Welt da draußen noch am Leben war, noch lange nicht am Untergehen.

Es war das erste Mal, dass ich mein Gemach für mich alleine verließ und es war die erste Gelegenheit, den Palast ein wenig zu erkunden. Bogum hatte mir von einem Ort im hinteren Teil des Palastes erzählt und genau auf diesen steuerte ich zu. Ich erblickte Blumen und Bäume, die Natur hier war genauso atemberaubend schön wie bei uns Zuhause und trotzdem unterschied sie sich drastisch von unserer.

Ein Kiesweg sorgte dafür, dass wir mit unserem ungeschickten Trampeln kein Stück der Natur verletzten und ich ließ meinen Blick umhergleiten, während die angenehme Atmosphäre dafür sorgte, dass ich von dem Strom meiner Sorgen ablassen konnte.

Etwas weiter vorne war ein Teich, in dem aber kein einziger Fisch hauste und schnell kam mir wieder in den Sinn, welche Bedeutung dieser Teich für die Atirianer hatte.

»Der Teich ist ihre Verbindung zu Gott und den Toten. Wann auch immer sie sich alleine fühlen, suchen sie diesen Ort auf und legen ihre Hand in das heilige Wasser, um ihre Nähsten bei sich zu spüren und neue Kraft zu schöpfen.«

Religion war auch in diesem Reich ein weitverbreitetes Thema und diese Verbindung zu Gott konnte nur passieren, wenn man auch wirklich daran glaubte. Es ließ sich nicht mit Logik erklären, auch wenn Menschen häufig dazu neigten, Emotionen und Glaube damit abzustreiten. Nicht alles auf dieser Welt war logisch, nicht einmal der Hass war es. Aber wenn etwas Unlogisches wie der Hass herrschen konnte, selbst wenn Menschen nicht an so etwas glaubten, konnte der Frieden das doch genauso.

Aber welchen Schritt musste ich gehen, um die richtige Richtung einzuleiten?

»Warum zerbreche ich mir überhaupt schon wieder den Kopf darüber?«, murmelte ich leise vor mich hin und spähte einmal um mich herum, um mich zu vergewissern, dass niemand anders in der Nähe war. Kurz darauf ging ich in die Hocke und legte meine Hand an dem Rand des Teiches ab, darauf folgte ein tiefer Atemzug und vorsichtig ließ ich Finger für Finger in das heilige Gewässer eintauchen.

Ich schloss meine Augen und um mich herum wurde alles finster. Aber ich begann eine mir vertraute Aura zu spüren, als würde jemand seine Hand auf die meine legen und mir neue Kraft schenken. Diese Wärme kam mir so vertraut vor und ich musste sofort lächeln, als ich ein Licht vor mir erblickte und dieses sich zu einer Person formte.

»Bist du es?«, fragte ich an die Person vor mir, die sich ihre langen, aschbraunen Haare hinter die Schulter legte. Sie reagierte nicht, aber ihr warmes Lächeln war für Antwort genug für mich.

»In Tagen, die kommen, braucht einer den anderen. Eure Reise endet nicht hier, kleiner Bruder, sie fängt gerade erst an.«

Und plötzlich verblasste die Gestalt vor mir wieder und ich wurde zurück an den Ort gerissen, an dem ich eben noch entlang spaziert war. Die warme Aura war verschwunden, ich spürte lediglich noch die Stelle, an der ihre Hand ihren Platz fand. Aber ich lächelte, weil ich mich mit meinen Sorgen nicht mehr alleine fühlte, genauso wie Bogum es mir gesagt hatte und ich wusste, jemand würde über mich wachen und dafür sorgen, dass ich der Finsternis nicht verfalle.

Brotherhood メ VkookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt