♕22 - Götterdämmerung♛

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Taehyung

»Als die Menschheit den Zustand des puren Chaos erreicht hatte und all das verlor, was sie zu Menschen machten, schien die Lage schier aussichtslos zu sein. Die Finsternis erstreckte sich über das Feld, das Blut in der Luft benebelte die Sinne der Krieger und ließ sie verzweifelt nach Luft schnappen.«

»Schlag und Fall. Das Ende sollte nahen. Die leblosen Gestalten zierten den verwüsteten Boden und das Trampeln der Pferde ließ das Feld erzittern. Kriegsgeschrei rauschte durch die Ohren aller Lebenden, doch es war, als wäre es totenstill. Es war der Angstzustand, in dem man weder lebte noch starb. Ein Zustand, in dem man nicht mehr der Herr seiner Sinne war. Alles war benebelt, die Menschheit war dabei sich selbst zu vernichten.«

»Doch als die Finsternis drohte sie zu verschlucken, trat ein vereinzelter Lichtstrahl auf die Mitte des Feldes, auf dem sich beide Erzfeinde erbittert bekämpften. Und plötzlich hielt jeder von ihnen inne, keine Ausnahme. Sie alle fixierten diesen Punkt, als sei er nicht von dieser Welt. Als die Wolken langsam verschwanden, blickten sie alle in den strahlend blauen Himmel. Man sagt, eine Gottheit hätte sich ihnen gezeigt um das Unheil zu verhindern, das sie sich selbst auferlegt hatten. Und diese Gottheit-«

»Taehyung, was machst du da?«, unterbrach mich Samuel, dessen Anwesenheit ich noch nicht einmal bemerkt hatte. Ich klappte das Buch zu und seufzte, während ich es langsam über den Holztisch schob, mein Blick glitt dabei zu meinem Besucher.
»Lesen«, erwiderte ich trocken. Es ist alles, was einem übrig blieb, wenn sich draußen bereits der Mond an unserem Himmel erstreckte.

»Solltest du dich nicht zu Bett legen? Bedrückt dich etwas?«, fragte er mich dann und tatsächlich wich mein Blick von ihm auf meine Finger, die gerade den schwarzen Schwan umspielten, den Jeongguk mir geschenkt hatte. Ich nahm ihn in meine Handfläche, meine Lider fühlten sich schwerer an und ich versuchte, meine Gedanken irgendwie in Worte zu fassen.

»Es ist nichts«, murmelte ich leise, die Kerzen flackerte und ein Seufzen verließ meine Lippen. Samuel kam näher und ließ sich auf dem Holzstuhl neben mir nieder, seine Arme legte er auf den Tisch, mit dem linken stützte er seinen Kopf.
»Ich kenn dich vermutlich besser als jeder andere, als hör auf mir etwas vorzumachen«, erwiderte er, doch das überraschte mich noch nicht einmal wirklich. Samuel war schon immer eine Art Bezugsperson für mich gewesen und der einzige, der mich wie einen Mitmenschen behandelte statt wie den Kronprinzen.

Ich wusste, wer ich war und in welcher Machtposition ich stand, doch das bedeutete nicht, dass ich Gefallen daran hatte. Ich sah keine Menschen unter oder über mir, für waren alle gleich.

»Von allen Menschen würde das bei dir am wenigsten klappen, nicht wahr?«, antwortete ich leicht ironisch, jedoch hatte ich nicht die nötige Kraft, um meinen Aussagen noch mehr Ausdruck zu verleihen. Was eventuell auch seine Zweifel unterstrich.

»Was ist los?«, fragte er mich dann und stellte den Blickkontakt zwischen uns her, aber ich bemerkte, dass er für den Bruchteil einer Sekunde auf den Anhänger in meiner Hand starrte.
»Ich weiß nicht mehr, was richtig und was falsch ist. Ich fühle mich, als würde ich mich selbst verlieren. Und jedes Mal wenn ich denke, es würde sich bessern, geschieht etwas anderes, das mich dann wieder komplett aus der Bahn wirft«, versuchte ich den inneren Konflikt zu erklären, doch ich war mir unsicher, ob er überhaupt verstehen konnte, wovon ich sprach.

Jeder Mensch war gleich und doch so verschieden, von den Charakterzügen hin bis zu der Geschichte eines jeden. Und den Lasten, die ein jeder Mensch zu tragen hatte. Hier im Raum befanden sich derzeit zwei Individuen, deren Geschichte sich mit keinem Stück ähnelte und Menschen hatten Probleme damit, Dinge zu verstehen, die sie nicht kannten.

»Hat es mit eurer Reise nach Atirian zu tun?«, hakte er weiter nach und ich nickte leicht mit dem Kopf. »Es ist so vieles passiert, dass ich glaube, mit meiner früheren Denkweise nicht weiter zu kommen. Das Ganze erstreckt sich wie ein Berg vor mir. Der Weg schien klar, doch jetzt habe ich mich verloren und finde nicht zurück.« Denn es gab kein Zurück. Wege waren das, was man sich selbst erbaute, doch wenn das Erschaffene zu keinem Ziel führte und man das realisierte, verschwand die Strecke und man irrte mitten im Nichts herum. Und ich kannte weder Ziel noch Weg.

»Du musst mir nicht von dem erzählen, was passiert ist, weil ich glaube, dir da auch keine Hilfe sein zu können. Ich bin ein einfacher Mensch, der mit alldem nicht wirklich viel am Hut hat. Aber wenn dich etwas bedrückt und du den Weg nicht mehr findest, mach dir Gedanken darüber was genau dich bedrückt. Es gibt Wege, die einem nicht gut tun, aber manchmal muss man Schatten durchwandern um das Licht wieder sehen zu können«, antwortete er und meine Augen weiteten sich ein Stück.

Den Schatten durchwandern um das Licht wieder zu erblicken?

»Ich verstehe, was du meinst. Nur weiß ich nicht, wo ich anfangen soll. Welchen Schritt soll ich als erstes unternehmen?«, fragte ich ihn dann, doch mir war klar, dass er mir darauf keine Antwort geben konnte.
»Du kannst nicht immer darauf hoffen, dass die Dinge sich dir einfach so offenbaren. Denk nicht drüber nach, sondern mach einfach, was deine Instinkte dir sagen. Denn sie sind das einzige, worauf man sich im Krieg verlassen kann«, sagte er mir und erhob sich wieder von seinem Platz.

»Die Götter haben jedem von uns ein Schicksal auferlegt, doch es ist unsere Sache, was wir daraus machen. Merk dir das«, sprach er wieder und ich schnaufte einmal laut aus. Ich dachte so viel nach, dass ich anfing mich selbst zu verlieren. Und je mehr ich versuchte, mich in diesem Chaos wiederzufinden, desto schlimmer wurde es. Man konnte Dinge an dem Ort finden, an dem man sie verlor aber keine Wunden an dem Ort heilen, an dem man sie bekam.

Langsam erhob ich mich von dem knarrenden Stuhl. »Ich sollte zu Bett gehen, es ist spät«, sprach ich dann und er nickte mit dem Kopf.

»Danke dir«, sagte ich ihm noch und begann zögernd zu lächeln. »Dafür bin ich da«, widersprach er und schüttelte leicht seinen Kopf, doch ich sah ihn nicht als selbstverständlich und das wusste er. Anschließend wünschte ich ihm noch eine angenehme Nacht, ehe ich in mein Gemach spazierte und mich dort angekommen auf meinem Bett fallen ließ.

Meine Augen schlossen sich sanft und mein Körper kam zur Ruhe. Eine eisige Kälte machte sich breit.

Brotherhood メ VkookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt