Kapitel 3

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Wir müssen eingeschlafen sein, denn als die Tür plötzlich aufgerissen wird, scheint über uns die Sonne herein. Eine Frau schiebt einen Wagen in den Raum, ein riesiger Leinensack auf Rädern, in dem sich Kartons stapeln. Ihr folgt eine zweite Frau mit einem kleineren Wagen, auf dem ich Tabletts und Spritzen sehen kann. Spritzen kennen die meisten von uns.

Wenn ein Baby geboren wird, gibt es auf dem Platz der Kolonie eine Zeremonie, in der ein Tesar dem Baby mit einer Spritze einen Chip implantiert. Der Chip enthält alles über uns, was den Tesaren wichtig erscheint: der Tag unserer Geburt, Mutter, Vater, Kolonie. Angeblich unseren Stammbaum zurück bis zum großen Krieg. Vater hat im Zorn mal gesagt, so behalten sie die Geburten unter Kontrolle. Keine Ahnung, ob das wirklich so ist und warum das wichtig wäre.

Ein Tesarenwächter mit Speer postiert sich an der Tür. Er blickt starr geradeaus in den Raum, den Kopf leicht erhoben. Die Tesare tragen niemals Kleidung, nur einen Gürtel um ihre Taillen in dem sie Ausleser und kleine Waffen tragen. Wenn Menschen Kleidung tragen, um bestimmte Stellen ihres Körpers zu verbergen, dann haben die Tesare das nicht nötig. Bei ihnen kann man keine Geschlechtsteile sehen. Und niedrige Temperaturen scheinen ihnen auch nichts auszumachen.

Die Frau, die den kleineren Wagen geschoben hat, zieht sich in die Nähe des Ausgangs zurück und senkt ergeben den Kopf. Sie ist eine Leibsklavin.

Die andere Frau, sie muss ungefähr im Alter von Mutter sein, mustert uns. Sie sieht hübsch aus, trägt nicht die eingebrannten Pfeile über ihrer Stirn. Das ist ungewöhnlich. Nur Kolonisten tragen kein Sklavenmal. Sie erhalten ihres erst, wenn sie in die Tesarenstädte geholt werden.

Das Haar der Frau ist hell, lang und glänzend glatt. So schönes Haar habe ich noch nie gesehen. Es schimmert im Sonnenlicht, das zum Fenster hereinscheint. Auch ihre Haut hat ein samtig weiches Aussehen. Und ihr Kittel sieht neu aus. Er ist so weiß wie frisch gefallener Schnee. Niemand in Kolonie D besitzt so schöne Kleidung. Nachdem sie jeden Einzelnen mit ihren grauen Augen untersucht hat, tippt sie etwas in einen Ausleser. Sie hält es dem Tesar vor das dunkelgrün schimmernde Gesicht. Der nickt und gluckst etwas.

»Ihr bleibt, wo ihr euch jetzt befindet. Wenn keiner unaufgefordert aufspringt, müsst ihr nichts befürchten«, sagt die Frau.

Es heißt, die Menschen, die ihr ganzes Leben bei den Tesaren verbringen, verlernen zu fühlen. Sie werden so wie die Tesare. Wenn ich diese Frau sehe, den eiskalten Blick, ihre monotone Stimme, dann glaube ich das. Trotzdem versucht sie sich an einem schiefen Lächeln. Es soll uns wahrscheinlich beruhigen. Bei mir hilft es nicht. Nervös lasse ich meinen Blick über die Spritzen gleiten. Bekommen wir noch einen Chip? Wozu soll der gut sein?

»Ich werde euch jetzt einzeln auffordern, nach vorne zu kommen. Ihr kommt her, erhaltet eine Injektion und eine dieser Schachteln.« Sie klopft mit der Hand auf den Wagen. Ihre Stimme klingt rau und dunkel. Sie passt gar nicht zu ihr. »Und dann setzt ihr euch wieder. Wenn ihr alles richtig macht, wird der Wächter nicht auf euch schießen.« Sie nickt dem Alien kurz zu, wohl als Zeichen, dass sie uns aufgeklärt hat. Vielleicht auch ein stummer Befehl zu feuern, wenn wir uns widersetzen. Ich runzle die Stirn. Was für ein Mensch steht auf der Seite der Tesaren? Jeder von uns sollte sie doch hassen?

»In den Kisten findet ihr Essen und Kleidung. Das Essen nehmt ihr sofort zu euch, die Kleidung zieht ihr an. Das Wasser in den Flaschen teilt ihr euch ein.« Sie dreht sich um und greift nach der ersten Spritze.

»Wozu die Injektion«, fragt einer der Jungen in meinem Alter. Er hat braunes struppiges Haar und ist so mager, dass sein Hals ganz lang wirkt und seine Augen tief in den Höhlen liegen. Mein Herz hämmert, weil ich damit rechne, dass der Tesar feuern wird, und weil ich hoffe, dass die Frau antwortet.

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