Kapitel 15

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Über Nacht bekommt Roland Fieber. Er schiebt es auf die Hundebisse. Auch Luca denkt sofort an die Hunde. »Wahrscheinlich haben sie Keime übertragen. Hoffen wir, dass es keine Tollwut ist.« Er gibt Roland etwas von dem Medikament, das wir für Kayla bekommen haben, und reinigt noch einmal alle Wunden.

»Wir sollten abwechselnd Wache schieben«, schlägt Luca vor. »So bekommen wir alle etwas Schlaf.«

Ich erkläre mich einverstanden, die zweite Schicht zu übernehmen und lege mich neben Kayla auf ein Lager aus Decken. Eine Weile lausche ich Kaylas gleichmäßigem Atem. Aber ich kann nicht einschlafen.

Ich muss an morgen denken, wenn Roland Kontakt zu seinen Leuten aufnimmt, um ein Treffen auszumachen. Wie sie wohl auf uns reagieren werden? Werden sie bereit sein, noch mehr Esser in ihrem Kreis aufzunehmen? Wir sind Fremde für sie. Was soll ich tun, wenn sie Kayla und mich nicht wollen? Aber wenn sie alle so sind wie Roland und Luca, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass sie uns abweisen. Ich muss eine Bleibe für Kayla und mich finden. Sie braucht ein Zuhause. Wenn wir nur hätten, in Kolonie D bleiben können. Ich hätte uns schon Essen besorgt – irgendwie. Wenigstens hätten wir einen Ort für uns gehabt, ein Bett, einen Ofen, der manchmal sogar warm war. Aber wie lange noch?

Es fühlt sich richtig an, hier draußen außerhalb der Kolonie zu sein. Aber es fühlt sich nicht besser an. In der Kolonie war es leichter. Wir hatten nicht viel zu fürchten, nur die Laster der Tesare. Aber nicht einmal die haben wir wirklich gefürchtet, denn sie haben nicht nur Menschen mitgenommen, sie haben auch Nahrung gebracht. Also haben wir sie genauso sehr herbeigesehnt, wie wir sie gefürchtet haben. Sonst hatten wir nicht viel auszustehen in Kolonie D. Ganz anders ist unser Leben hier draußen. Jeden Tag ein Kampf ums Überleben. Jeden Tag Angst vor den Tesaren. Luca hat recht, das Leben der Rebellen ist schwerer als das der Kolonisten. Verluste gibt es auf beiden Seiten, aber die Rebellen müssen wirklich Kämpfen, während die Kolonisten einfach nur abwarten; auf den nächsten Tag, auf die nächste Lieferung, auf den nächsten Winter. Und dann sehe ich Kaylas glückliches Lächeln und denke, allein dafür lohnt sich all dies. Kayla möchte es genau so, da bin ich sicher.

Leise stehe ich auf, schleiche am schlafenden Kaninchen vorbei und setze mich zu Luca, der vor einem Alfratol-Feuer sitzt und in die Flammen starrt.

»Du solltest doch schlafen«, murmelt er, ohne mich anzusehen. Ich schlüpfe zu ihm unter die Decke.

»Ich kann nicht. Schlaf du doch und lös mich später ab. Du siehst erschöpft aus.«

»Ich kann auch nicht.« Er schaut mir in die Augen. Die Flammen spiegeln sich in seinen. Die Zeit bleibt stehen. In den letzten Tagen sind wir uns sehr nahe gekommen. Habe ich anfangs noch Zweifel an ihm gehabt, stehe ich jetzt vollkommen hinter ihm. Hat er mich vor Kurzem noch wütend gemacht, so fühle ich mich jetzt umso sicherer in seiner Nähe. So nahe neben ihm zu sitzen, hat etwas Vertrautes, so als würden wir uns schon sehr lange kennen. Dabei weiß ich kaum etwas über ihn, nur, dass er es geschafft hat, uns die Freiheit zu schenken. Er ist mutig, fähig zu Handeln, ohne darüber nachzudenken und ich bewundere ihn.

»Woran denkst du?« Hoffentlich nicht an seine Familie. Ich bin nicht gut im Trost spenden. Außerdem gibt es sowieso nichts, was ich hätte sagen können. Aber wer bin ich denn? Natürlich wird er an seine Familie denken. Ich muss doch auch an Mutter denken, auch wenn ich andauernd versuche, mich abzulenken, damit die Realität mich nicht einholen kann. »Es tut mir leid, deine Familie ... Du weißt schon.«

»Mir auch.« Luca lacht bitter auf.

Ich lege meinen Kopf auf seine Schulter. »Was glaubst du, ist geschehen?«

»Ich weiß es nicht.« Luca greift nach meiner Hand, schlingt seine Finger um meine. Da ist wieder dieses warme Gefühl. Es macht mir Angst, weil ich es so schön finde, weil ich es nie wieder loslassen möchte. Weil ich Luca nie wieder loslassen möchte.

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