Kapitel 12

117 12 0
                                    


Wir schleichen uns in den frühen Morgenstunden durch die Straßen der Stadt. Verborgen in den Schatten kommen wir schnell voran. Unser Treffpunkt befindet sich genau auf der anderen Seite der Tesarenstadt, weswegen Luca es besser fand, so früh wie möglich loszugehen, weil man nie wissen kann, wer oder was einem über den Weg läuft.

In den Straßen ist es noch ruhig. Ein paar Leibsklaven gehen ihrer Arbeit nach. Wir begegnen sogar einem Wächter, der keine Notiz von uns nimmt. Vielleicht glaubt er, wir wären auch Leibsklaven.

Als eine Gruppe Tesare an uns vorbeimarschiert, verstecken wir uns in einem Kellereingang. Vorsichtig spähen wir über den Rand einer kleinen Mauer. In Gleichschritt bewegen sich die Aliens an uns vorbei, ihre Speere an ihre Seiten gedrückt.

»Sie exerzieren«, flüstert Luca.

»Was?«, fragt Kayla.

Der Kopf eines Tesars geht zu uns herum. Wir ducken uns hinter die Mauer, die die Treppe vor der Straße abschirmt. »Scht«, mache ich. Kayla zieht entschuldigend die Schultern hoch.

Als die Schritte der Tesare nicht mehr zu hören sind, wagen wir uns wieder hervor.

Ein Auto fährt an uns vorbei und Kayla wirft ihm einen sehnsüchtigen Blick zu. Auch meine Füße schmerzen. In den letzten Tagen haben sie mich weiter getragen, als in all den Jahren davor.

Mit Tagesanbruch kommen auch die letzten Tesare aus ihren Häusern. Jetzt kommen wir nur noch langsam voran. Immer und immer wieder müssen wir in dunkle Gassen ausweichen. Kayla verlassen viel zu schnell die Kräfte. Sie keucht, ihre Augen werden wieder glasig und Luca muss sie tragen. Das behindert ihn in seiner Bewegungsfreiheit und er kann nur noch deutlich langsamer reagieren, wenn uns Wächter zu nahe kommen.

Diese Stadt scheint riesig zu sein. Auf ein Haus folgt das nächste. Auf eine Straße drei andere. Kurz vor Mittag sind die Straßen so bevölkert, dass wir kaum noch vorankommen. Wir müssen uns einen Unterschlupf suchen, wenn wir verhindern wollen, dass ein Tesar bemerkt, dass wir keine Leibsklaven sind. Einer von ihnen bräuchte nur seinen Ausleser heben und er wüsste, dass wir Flüchtlinge sind. Geflohen aus einem Lager bei den Minen.

Wir weichen auf kleine dunkle Gassen aus. Überall stinkt es nach Tesar. Da stehen große Behälter mit einer grünen breiigen Flüssigkeit darin. Der Geruch raubt mir den Atem. Ich muss würgen. »Was zur Hölle ist das?«, keuche ich atemlos. Am liebsten würde ich wieder auf die sauberen Straßen ausweichen.

»Das ist das Zeug in dem sie baden«, sagt Luca und hält sich die Hand vor die Nase. »Dafür lassen sie euch das Karam anbauen.«

Das Karam ist eine Wasserpflanze. Das Feld, auf dem wir es in Kolonie D angebaut haben, wurde ununterbrochen bewässert. Bis zu den Waden stehen die Feldarbeiter im Sommer im Wasser. Aus dem Wasser schauen dunkelgrüne Blätter, unter der Wasseroberfläche ist die Pflanze dunkelgelb und schleimig. Aber es stinkt nicht so wie das Zeug, das sich in den Fässern befindet. Wahrscheinlich, weil sich das Karam in den Behältern schon zersetzt.

»Wozu baden die nur da drin?«, murmelt Kayla. Sie hat auch mit dem Gestank zu kämpfen. »Da muss man sich nicht fragen, warum die Tesare so müffeln.«

Luca lacht, dann schaut er mich an und schüttelt den Kopf. »Ich mag sie einfach. Sie sagt, was sie denkt.« An Kayla gewandt sagt er. »Wir wissen es nicht. Bisher können wir nur Vermutungen anstellen. Wir wissen zum Beispiel, dass sie ihren Nachwuchs in Becken voll mit diesem Zeug bekommen. Nachdem ihre Jungen aus den Eiern geschlüpft sind, verbringen sie die ersten Lebensmonate dort drin. Sie müssen nicht mal zum Atmen hochkommen.«

»Du meinst, sie müssen keine Luft holen?« Kayla ist sichtlich begeistert. »Ich kann meinen Kopf länger als Brenna unter Wasser halten.«

»Wenn sie Wasserlebewesen sind, warum leben sie dann in Menschenstädten und nicht dort, wo Wasser ist?« Ich atme tief ein, als wir in eine Gasse abbiegen, in der keine Karambehälter stehen.

TesarenlandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt