Kapitel 11

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Kayla liegt auf ihren Decken in dem kleinen Kellerraum. Sie schläft fest, als wir kommen. Ihr Gesicht glüht rot und Schweiß hält ihre Haare in ihrer Stirn fest. Sie fröstelt. Ich hülle sie noch fester in ihre groben Wolldecken. Luca entzündet einen Topf mit der klaren Flüssigkeit aus dem Kanister. William hat uns Medizin mitgegeben und genau erklärt, welche Fläschchen für welche Krankheitssymptome sind. Die Frau hatte ein ganzes Zimmer voll mit Medikamenten. Als Luca die vielen Regale, gefüllt mit braunen und durchsichtigen Gläsern gesehen hat, traten ihm Tränen in die Augen. Bestimmt hat er daran gedacht, wie vielen Menschen mit diesen Fläschchen geholfen werden könnte.

Ich menge der Flasche mit dem weißen Pulver Wasser bei und schüttele sie, so wie der alte Mann es mir erklärt hat. Danach gebe ich etwas davon in einen kleinen Becher und flöße es Kayla ein. Das Antibiotikum soll Infektionen bekämpfen, soweit, Kayla an einer leidet. Ich hoffe, dass sie das tut, denn William hat gesagt, es würde schnell anschlagen, wenn es so wäre. Danach gebe ich ihr noch etwas gegen das Fieber und nur für alle Fälle auch etwas gegen Schmerzen.

Luca kocht in der Zeit schweigend Wasser ab und macht Tee aus verschiedenen würzig riechenden Kräutern, die William uns in einer kleinen Plastikbüchse mitgegeben hat. Der Kräuterduft verteilt sich in dem kleinen Raum und ich schließe seufzend die Augen. Er erinnert mich ein wenig an zu Hause. Wenn Mutter ihre Kräuter zum Trocknen in unserer kleinen Hütte ausgelegt hat, dann hat es ganz ähnlich gerochen. Wir geben Kayla abwechselnd von dem Tee. Sie ist sehr schwach und ich habe Angst. In diesem Zustand können wir nirgends mehr mit ihr hin.

Wir werden hierbleiben müssen. Aber das ist nicht so schlimm. Hier ist es trocken, warm und wir haben genug zu essen und zu trinken. Das ist es auch nicht, was mir Angst macht. Ich habe Angst davor, von meinem Platz auf dieser Seite des kleinen Feuers aufzustehen, und zu Kayla hinüberzugehen. Jedes Mal, wenn ich das tun muss, schließe ich erst die Augen und bete, dass sie noch atmet. Ich muss immer an Vater denken, bei ihm hat auch alles mit hohem Fieber begonnen. Und jedes Mal spült es mir eine Welle der Erleichterung durch den Körper, wenn sie schwach, aber sichtbar ihren Brustkorb hebt.

Luca sitzt neben mir. Mit einem Stein reibt er über die Klinge seines Messers. Seit wir den Alten verlassen haben, hat er kein Wort mehr gesagt. Er sitzt einfach nur dort, schaut in das Flammenspiel des Feuers und zieht den Stein über das Metall. Lange Zeit ist das, das einzige Geräusch in unserem Versteck; schaaah, schaaah, schaaah.

Ich beobachte ihn dabei, wie seine Hand diese Bewegung in vollkommener Gleichmäßigkeit immer und immer wieder durchführt. Dabei werden meine Augen schwer und irgendwann bin ich eingeschlafen.

Ich träume von dem Tag, an dem ich Luca das erste Mal gesehen habe. Die Hupe hat uns alle auf den Versammlungsplatz gerufen. Ich war damals vierzehn Sommer alt und zu dieser Zeit kamen die Lieferwagen der Tesare noch alle drei bis vier Monate mit allem, was wir zum Überleben brauchten, oder mit allem, was uns gerade so am Leben halten konnte. Auch dieser LKW hatte Lebensmittel, ein paar Säcke Kleidung und Schuhe mitgebracht.

Ich stand mit ein paar Mädchen und Jungen in meinem Alter auf dem Platz und wir unterhielten uns über den Oberaufseher, der offensichtlich Interesse an der Frau unseres Nachbarn hegte, denn er brachte ihr in letzter Zeit gerne mal einen Sack Zucker oder Mehl extra. Einige Einwohner unserer Kolonie waren deswegen ein bisschen neidisch, weil gerade Zucker etwas war, was wir nur selten bekamen. Aber das war, bevor der Hunger uns alle zu argwöhnischen Konkurrenten machte. Zu dieser Zeit gab es noch so etwas wie ein freundschaftliches Zusammenleben in der Kolonie. Aber je knapper die Nahrungsmittel wurden, je seltener die Lieferungen, desto mehr brach der Zusammenhalt auseinander.

Als die Ladeklappe des Lasters geöffnet wurde, kam erst Luca in Sicht. Seine Hände und Füße waren gefesselt. Er hob die Arme über den Kopf und versuchte seine Augen vor dem Sonnenlicht zu schützen. Der Leibsklave, der unten darauf wartete, dass Luca herauskommen würde, sagte etwas zu ihm. Luca trat ruhig an den Rand der Ladeluke und sprang geschmeidig herunter. Er hatte zerrissene Hosen an, die kaum noch zusammenhielten. Seine Haare waren verfilzt, in seinem Gesicht klebte Blut. Sein Oberkörper war nackt und auf Brust und Rücken konnte man lange rote Striemen sehen. Ich erkannte sofort, dass er ausgepeitscht worden war.

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