Kayla wacht auf, und es ist, als wäre nichts gewesen. Sie steht auf, schwatzt munter auf Luca ein. Stellt ihm unentwegt Fragen über die Tesarenkinder, die Luca nicht beantworten kann. »Was sie wohl spielen? Und was essen sie? Sehen sie nicht niedlich aus? Hast du die großen Augen gesehen. Oh ich hätte mich zu gerne mit ihm unterhalten. Schade, dass er mich nicht verstehen würde.« Sie beißt herzhaft in einen Trockenkeks und trinkt Kräutertee. »Ob sie ihre Sprache auch erst lernen müssen wie Menschenbabys? Ich glaube nicht«, murmelt sie weiter. »Klingt ja doch alles gleich, was sie sagen.«
Ich wundere mich über das Auf und Ab ihres Zustandes. Mal geht es ihr schlecht, dann wieder geht es ihr gut. Mutter hat mal gesagt, Kinder stecken vieles anders weg. Während wir Erwachsenen uns quälen, uns in eine Krankheit richtig reinsteigern, ignorieren die Kleinen ihr Symptome gerne. Sie spielen noch fröhlich, wenn Große schon lange das Bett hüten. Aber wenn Kinder wirklich flach liegen, dann kann man davon ausgehen, dass sie schwer krank sind. Wahrscheinlich ist es nur die Erschöpfung, die sie immer wieder ihre Kräfte kostet. Nach einigen Stunden Pause, scheint sie immer wieder munter zu sein. Vielleicht dämmen aber auch die Medikamente ihre Symptome, denn das Blut, das vorhin noch aus ihr herausquoll, erscheint mir nicht wie eine Verbesserung ihres Zustandes. Ich beobachte Kayla genau und versuche, aus ihr schlau zu werden. Aber mir fällt nichts Besorgniserregendes mehr an ihr auf.
Luca grinst sie breit an. »Genau genommen ist ihre Sprache sehr hoch entwickelt. Für uns klingt es nur so, als würden sie unkontrolliert gluckern. Aber jedes Gluckern ist ein Wort wie bei uns auch.«
»Meinst du?« Sie beäugt Luca zweifelnd, dann nickt sie. Ich versuche, Luca mit ihren Augen zu sehen. Den älteren Jungen, der mehr über Tesare und die Menschen weiß, als sonst jemand, den sie kennt. Der Junge, der ihr heiße Schokolade gezeigt hat, der sie sich hat das erste Mal in einem Spiegel betrachten lassen. Und da erkenne ich, ich bin ihm für all das, was er ihr gegeben hat dankbar. Er hat sie für einen kurzen Augenblick ein fast normales Kind sein lassen. Er hat ihr geschenkt, was Mutter sich, für uns gewünscht hätte. Selbst wenn unsere Reise hier endet, er hat ihr und mir etwas Wundervolles geschenkt.
Von draußen dringen laute Rufe zu uns. Mühevoll erhebe ich mich von der Matratze. Meine Muskeln schmerzen. Die letzten Tage haben meine Beine mich weiter tragen müssen, als jemals zuvor. Kolonie D hat man in weniger als zwei Stunden einmal umrundet. So weite Strecken habe ich noch nie laufen müssen.
Ich trete an das Fenster heran, dehne meine Arme über meinem Kopf und seufze laut. Draußen scheint die Sonne. Sie schickt ihre letzten roten Strahlen durch das Gitter hindurch auf mein Gesicht. Nicht mehr lange, dann kommt der Frühling.
Auf der Straße vor unserem Fenster steht ein Laster. Er ist etwas kleiner, als der, der immer in unsere Kolonie kommt. Eine Reihe Menschen, an Händen und Füßen aneinander gekettet, stehen vor der Laderampe. Mehrere Tesare haben ihre Speere auf sie gerichtet. Ein Mann kniet etwas weiter entfernt im schmutzig schwarzen Schnee, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Ein Alien steht hinter ihm und lässt eine blau zuckende Energiepeitsche auf seinen Rücken niedersausen, während die anderen Menschen dabei zusehen müssen. Das, was einmal die Jacke des Mannes gewesen war, hängt in Fetzen um seinen Oberkörper. Blut läuft seinen Rücken herunter.
»Was hat er gemacht?« Kayla steht neben mir. Ich habe gar nicht bemerkt, dass sie ans Fenster getreten ist.
»Ich weiß es nicht. Vielleicht hat er versucht, wegzulaufen.« Die Peitsche saust wieder auf seinen Körper herunter. Ich zucke zusammen, als der Knall ertönt. Der Mann schwankt, dann kippt er zur Seite. Der Tesar wendet sich der Gruppe Menschen hinter dem LKW zu und beachtet sein Opfer, das mit nacktem Oberkörper im Schnee liegt, nicht mehr.
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Tesarenland
Fantasy75 Jahre ist es nun her. Sie kamen mit ihren riesigen Fluggefährten und nahmen uns alles. Jetzt wollen sie mir auch noch meine Schwester nehmen. Mir bleibt nur ein Ausweg: Ich muss mit Kayla die Sicherheit der Sklavenkolonie verlassen. Doch wie kan...