Kapitel 9

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Wir erreichen die Stadt bei Einbruch der Nacht. Von der Anhöhe aus, auf der wir stehen, sieht sie aus wie ein Meer aus Lichtern; wunderschön, friedlich. Eine Schönheit, die mich in ihren Bann schlägt. Keiner würde Glauben, dass da unten das Grauen regiert. Für einige Minuten lassen wir diesen Anblick auf uns wirken, dieses trügerische Bild von Ruhe und Frieden.

Von hier oben kann ich sie wieder sehen, die Häuser, so hoch wie Berge. Sie recken sich dem Himmel entgegen. Mit ihren eigenen Lichtern in den Fenstern sieht es so aus, als wollen sie mit den Sternen konkurrieren, nur, dass da keine Sterne am Himmel über der Tesarenstadt sind. Eines der riesigen Mutterschiffe schwebt direkt über den Wolkenkratzern. Man kann es kaum sehen, weil es genauso schwarz ist wie der Nachthimmel. Darunter die Stadt scheint ein Gebirge aus Hochhäusern zu sein, eines höher, als das andere. Und wieder empfinde ich Ehrfurcht vor dem, was von Menschenhand geschaffen wurde.

Im Schutz der Dunkelheit bewegen wir uns auf die Stadt zu. Meine Emotionen reichen von Panik bis hin zu unbändiger Neugier. Wir folgen Luca, keiner von uns spricht. Wir beobachten nur genau, wie Luca sich bewegt, um es ihm gleichzumachen. Er gleitet nahezu lautlos durch die Straßen, den Rücken beständig gegen eine Häuserwand gedrückt. Immer nach dem gleichen Muster: In den Schatten bewegen, nahe an der Wand entlang, bis zur nächsten Ecke, dann um das Haus spähen und weiter. In seiner Hand hält er sein Messer fest umklammert.

Aber die Stadt erscheint leer. Kein Wächter, kein Leibsklave weit und breit. Nur der brackige Gestank der Tesaren wird von Zeit zu Zeit zu uns getragen. Da stehen Autos auf den Straßen in unzähligen Formen. Einige existieren nur noch als Skelette, andere sehen aus, als wären sie gerade erst zusammengesetzt worden. Als ich eines berühren will, schlägt Luca mir auf die Hand. Er hebt seinen Finger an die Lippen und flüstert: »Alarmanlage. Viele Autos werden noch von den Leibsklaven benutzt. In einigen funktionieren auch die Alarmanlagen noch.«

»Können wir uns nicht eins leihen? Kannst du damit umgehen?«, fragt Kayla und schaut Luca hoffnungsvoll an.

»Ich kann, aber ich weiß nicht, ob ich es mit denen kann«, sagt er und scheint einen Moment darüber nachzudenken. »Die Aliens haben sie umgebaut. Sie funktionieren jetzt nur noch mit Tesarenenergie. Benzin war ihnen wohl zu rückständig.«

»Dann lassen wir es lieber«, sage ich, weil schon der Gedanke, mich in so ein Gefährt zu setzen, mir eine Gänsehaut einjagt. »Gehen wir lieber weiter, bevor man uns noch sieht.«

»Schade!«, seufzt Kayla mit müdem Blick. Sie ist völlig erschöpf und ihre Wangen leuchten rot im Laternenlicht. Ich befürchte, sie hat Fieber.

Luca nickt und ich kann den beunruhigten Ausdruck in seinem Gesicht sehen, obwohl er Kayla anlächelt, als wäre alles in Ordnung. »Ich denke, wir müssen nicht mehr so vorsichtig sein. Die Tesare haben sich zurückgezogen. Wahrscheinlich liegen sie in ihren Moorbädern.« Luca lacht bitter und rollt mit den Augen.

Luca erklärt uns, die Tesare sind eigentlich keine Landlebewesen. Für mehrere Stunden am Tag steigen sie in einen Behälter, in dem sie sich dann regenerieren – so nennen sie das. Wahrscheinlich ist das in ihrem Fall auch nicht so verkehrt, wir würden es aber schlafen nennen. Nur tun wir das nicht in stinkig grünem, morastigem Wasser.

Ich grinse, bei der Vorstellung, wie sie alle gemeinsam ein Bad nehmen. »Alle in einem?«

Kayla muss auch lachen. Sie schüttelt sich geradezu aus vor Lachen. Ihr glückliches Gesicht zu sehen, freut mich.

»Soweit ich weiß, sind die Behälter nicht viel größer als sie selbst. Nur auf dem Mutterschiff soll es ein großes Becken geben. Aber wir sollten uns nicht zu sicher fühlen, einige von ihnen passen immer noch auf.«

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