Kapitel 11

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Es klopfte an der Tür meines Zimmers und Lockwood trat ein: "Luce, können wir los?"
"Einen Moment", sagte ich. "Bin gleich fertig."

Es war eine klare Vollmondnacht als Lockwood und ich den Friedhof in Kensal Green betraten. Hinter den hohen Mauern hörte man das leise rauschen des Straßenverkehrs und ein sanfter Geruch von Abgasen, totem Fisch und Abwasser wehte von der Themse herüber. Seit zwei Wochen konnte man den Friedhof wieder ohne Ausweis betreten. Wir gingen nebeneinander die Kieswege entlang. Eine alte Dame lief an uns vorbei. Ich hatte das Gefühl sie zu kennen, nur woher?
Lockwood bog ab und trat an einen großen Granit-Engel heran. Vor der Skulptur war eine Marmorplatte in die Erde eingelassen.
Samantha Potter war hinein graviert worden. Lockwood legte seinen Mantel ab, sah sich um und öffnete vorsichtig eine Falltür, die die Platte vorher verdeckt hatte. Geräuschlos klappte er die Platte nach oben und Lockwood stieg ein.
Es roch muffig und ein bisschen nach Moos und Erde. Ich zündete eine Öllampe an. Dieser Art von Lampen mit silbernen Flammen konnte kein Wiedergänger, kein Schemen, kein Geist, wenn überhaupt ein Poltergeist etwas an, nämlich dann wenn er sie auf dem Boden zerschlug.
In der Mitte der Gruft stand ein silbern glänzender Sarg.
"Hast du die Ketten dabei?"
"Einen Moment... Ja, hier.", sagte Lockwood leise und warf mir einen Beutel voller klirrender Ketten zu. Ich zog eine heraus und legte einen Bannkreis. Wenn George Recht hatte, war das sowieso unnötig, aber besser ein Bannkreis zu viel, als einer zu wenig. Ich war fertig und Lockwood setzte ein Brecheisen an.
"Da wollte wohl jemand um jeden Preis verhindern, dass wer auch immer da drin auf uns wartet nicht mehr hier raus kommt. Das Ding kriege ich alleine nicht auf. Kannst du einmal da hinten mit anpacken?"
Ich nickte und fing ebenfalls an die versilberte Küste aufzubrechen.
Nach etwa einer halben Stunde waren alle Nieten entfernt und der Sarg könnte geöffnet werden.
Lockwood sah mich an und ich nickte. Mit einem kleinen Ruck hob ich den Deckel an und schob ihn auf die Seite, mit Lockwood in Habacht-Stellung neben mir. Er hob seinen Degen, ich öffnete den Sarg völlig und er schlug zu. Zischend fuhr der Degen durch die Luft und durchtrennte das Skelett an der Stelle, an der Früher einmal ein Ziegenbart das Kinn von Doktor Graves geziert hatte. Knackend zerbrachen Halswirbel und der klägliche Rest eines 89 Jahre alten Barts flog zwischen zwei Rippen. Ich stutzte. Neben dem Bart-Rest lag eine kleine Ecke rot bemalter Leinwand.

Lockwood & Co. - Das kreischende BildWo Geschichten leben. Entdecke jetzt