dear grace

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Langsam stand ich auf, mit zitternden Beinen und steckte das Handy ein. Jetzt wäre es so weit. Definitiv. Bis zur Hochzeit würde ich es hier womöglich nicht mehr durchstehen. Ich knetete meine Hände und lehnte mich gegen die Wand. Wie sollte ich es machen? Einfach direkt auf ihn zu gehen und mein Geheimnis lüften? Oder sollte ich eher ein Theater vorspielen? Ein mystischstes Mädchen, das ihn verführen will und m Ende kommt der Schock des Lebens? Bei dieser Idee hätte ich mich selbst ohrfeigen können. Seit wann dachte ich denn so pervers und außerdem, verführen könnte ich ihn so und so nicht, selbst wenn ich es wollte.

Ich wollte es zum einen schnell hinter mir haben, zum anderen wollte ich ihn auch nicht erschrecken. Ich brauchte eine geschickte Methode. Einen Plan. Sollte ich Kate fragen? Die würde mir nicht zurückschreiben. Sollte ich Gemma fragen? Die hatte keine Ahnung. Sollte ich Perrie fragen? Die wusste nicht mal, dass Grace existiert.
Und .... Sollte ich El fragen? Erstens hatte ich die Nummer ihrer amerikanischen Freundinnen nicht und und zweiten, wenn ich sie hätte, würde sie mir nur unter die Nase reiben, welch einen gefallen ich ihr doch machen würde! Und ich wäre da eben zu gutmütig.

"Ich geh mal ins Bad", murmelte ich, obwohl es Louis jetzt schon egal sein würde, was mit mir wäre. Trotz Gemmas Worten, Perrie hatte mir dasselbe erzählt. Und es war falsch gewesen. Ich konnte nur mehr auf mich selbst hören. Ich gönnte mir eine Morgendusche, zog mich schnell um und ging wieder ins Bad, wo ich überlegte. Ich fuhr mir durch die Haarspitzen der Perücke, neben mir lag das Handy und ließ ein paar Herzschmerz-Lieder abspielen. Aber nicht, weil ich je wirklich in Louis verknallt war! Er sollte dadurch ein Zeichen bekommen, wie deprimiert Eleanor wäre und ihm leid tat. Dann würde er sich entschuldigen und alles wäre wieder paletti. Er würde mir helfen, das Gerücht aus der Welt zu schaffen und Eleanors ruf wäre wieder unbeschmutzt.

Ich musterte mein Gesicht, musterte meine Haare im Spiegel. Und schließlich hatte ich die Idee! Ich würde einfach als Grace wieder aus dem Bad kommen. Die einfachste Variante. Fand ich zumindest. Schnell sperrte ich zu und schaltete die Musik etwas lauter. Er brauchte ja nicht hören, wie ich mich abschminkte, mir meine blonden Haare durchkämmte und weiß ich sonst noch was. Er sollte sein blaues wunder erleben.

Ich fixierte meine Hände links und rechts, rupfte ein bisschen herum, zerrte die Perücke von Links nachts rechts, heute war sie allerdings hartnäckig. Typisch. Immer wenn man was brauchte, funktionierte es nicht. Entweder mir fehlte einfach die Kraft, oder die Perücke hatte sich wirklich in mein Kopfhaut verwachsen, wobei ich eher auf ersteres tippte.

Fünf Minuten plagte ich mich, doch nichts passierte. Schließlich ließ ich meinen Kopf nach unten hängen, packte den ganzen Haarschopf mit beiden Händen und riss mehrmals fest daran. Drei zwei, eins. Dann löste sich die Perücke mit einem Ruck und verlor das Gleichgewicht und landete unsanft auf dem Boden. Ein paar Haare waren mitgegangen. Egal. Mit meinem Fuß trat ich auf das "Pedal" des Mülleimers, drückte die Perücke rein und begutachtete sie für einen Moment. "Danke für die schöne zeit, die du mir beschert hast", flüsterte ich, ehe ich den Deckel zufallen ließ. Es hieß ja nicht, dass alles, was ich mit dem künstlichen Haar durchlebt hatte, positiv war. Da meine blonden Haare noch zu einem kleinen Dutt geformt waren, machte ich mich erstmal ans makeup. Als Eleanor hatte ich mich immer dezent geschminkt, weil mir Gemma das geraten hatte, doch mein wahres ich trug eigentlich nie schminke. Außer an Ereignissen. Wenn überhaupt.

Ich drehte das Wasser auf, riss ein bisschen Toilettenpapier hinan, bewässerte es und rieb mir damit fest übers Gesicht. Mehrmals. Das kommt eben davon, wenn man sich für wasserfeste Mascara entschied. Und für ein Rouge, das zwar dezent, aber hartnäckig war.
Endlich fertig. Der mistkübel quirlte über, doch das machte mir nichts. Schlussendlich öffnete ich meine Haare und wuschelte mir ein paar mal durch, bis sie mir knapp über die Schultern fielen. Ich bürstete sie schnell durch, dann befühlte ich sie nochmal mit meinen Fingern. Von Ansatz zu Spitzen gab es eine starke Wölbung nach außen. Aus dem Scheitel sprießten kleine Härchen. Egal, ich würde jetzt nicht noch fünf Stunden hier im Bad verbringen.
Ich atmete tief aus, ich war wieder Grace. Das verpeilte Mädchen, dass gehasst hatte, mit Eleanor Calder verglichen zu werden, doch genau deswegen eine Woche bei One Direction verbringen durfte. Als erste von Perries Schwangerschaft erfahren hatte. Jede Menge Spaß. Doch es gab auch schlechte Erinnerungen, die ich unbedingt

vergessen wollte. Ich fuhr mir über meine Fingernägel, doch auf den Nagellack kams auch nicht mehr drauf an, um den Moment hinauszuzögern.
"Let the Show begin", murmelte ich dem Mädchen im Spiegel zu, versuchte mich zu motivieren. Naja, klappte nicht wirklich. Dann stellte ich die Musik ab. Es lief gerade ein Song von little Mix. Good enough. Und irgendwie konnte ich mich damit identifizieren. Der Song stimmte genau auf die derzeitige Situation ein. Naja, genug überlegt.

Ich schaltete mein Handy komplett aus und steckte es ein, die Kopfhörer baumelten aus meiner Hosentasche, doch ich machte mir nicht extra die mühe, sie zu verstauen. Ich war Grace, schon vergessen? Ein aufdringliches, neugieriges, chaotisches und allzu unperfektes Mädchen, das dich auf jeden Blödsinn einließ.
Leise drehte ich den Schlüssel in der Tür um und drückte langsam die Klinke hinunter. Ich schwöre, ich konnte meinen Herzschlag hören. Unregelmäßig. Schnell. Schließlich trat ich heraus. "Louis?", fragte ich mit zittriger Stimme, ohne aufzuschauen. Ohne zu wissen, wo er wär.

Doch ich konnte ihm jetzt einfach nicht in die Augen sehen. Nicht in der Haut einer Lügnerin und Betrügerin.


Doubles | 𝐨𝐧𝐞 𝐝𝐢𝐫𝐞𝐜𝐭𝐢𝐨𝐧Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt