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"Du magst sie, so ist es doch, oder nicht?"
Das sah Miss Dange mal wieder ähnlich, sie kam ohne Umschweife direkt zum Punkt. Ich biss mir auf der Lippe herum, denn ich war aufgrund dieses Tisches, an dem wir saßen, schon nervös genug. Das war immer unser Tisch gewesen.
"Ruby, verstehe es nicht falsch, wenn du diese junge Frau magst, dann ist das doch nur zu deinem Vorteil. Ich habe nur dieses Glitzern in deinen Augen bemerkt, wenn du sie ansiehst."
Ich schüttelte nur stur mit dem Kopf. So wie ich es immer tat, wenn ich etwas nicht habe einsehen wollen.
Sie legte den Kopf schief und nahm meine Hände.
"Warum wehrst du dich so dagegen, meine Liebe? Denkst du nicht, Kate hätte gewollt, dass-"
"Was Kate gewollt hätte, spielt keine Rolle mehr und das wissen Sie genauso wie ich", presste ich zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.
"Hörst du mir jetzt bitte einmal zu? Ich weiß, dass du nicht gern über dieses Thema redest, aber das tust du seit fast zwei Jahren mit niemandem. Du verschließt dich vor jedem einzelnen, der versucht dir zu helfen, jedem, der versucht dir näher zu kommen."
Wie immer spannte sich mein gesamter Körper an und ich versuchte das rauschende Blut in meinen Ohren zu ignorieren.
"Wenn du doch nur versuchen würdest, wenigstens die hübsche junge Frau an dich ranzulassen, dann würde es dir vielleicht besser gehen. Vielleicht wirst du dann all die Wut los, die dich so lange Zeit belastet hat und-"
"Bilden Sie sich wirklich ein, Sie wüssten, was am besten für mich ist?!"
Natürlich tat es mir leid, dass ich sie anfuhr, immerhin wollte Miss Dange mir nur helfen, aber wenn es um Kate ging, setzte sich mein Dickkopf leider noch immer durch. Die ältere Dame hingegen sah mich nur mit einem sanften Lächeln an und zog mich wieder mit leichtem Nachdruck auf den Stuhl zurück. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich aufgesprungen war.
"Ich kann es nicht hundertprozentig sagen, aber ich habe eine Vorstellung davon, was dir guttun würde. Kate hätte niemals gewollt, dass du nach der ganzen Gesichte für immer so lebst, dass du dich wieder in deinen alten Panzer zurückziehst, aus dem sie dich hervorgelockt hat. Es wäre ihr gegenüber unfair, wenn ihre ganz Mühe und Zeit umsonst gewesen wäre, findest du nicht auch?"

Als ich das Café nach ein paar weiteren Minuten wieder verließ, wartete Grace noch immer auf mich. Sie joggte auf der Stelle herum und erinnerte mich ein wenig an eine Fitnesstrainerin aus dem Fernsehen.
"Was genau soll das werden, wenn es fertig ist?", fragte ich amüsiert und lehnte mich gegen die Hauswand.
"Wenn es fertig ist, hast du eine aufgewärmte Grace", sagte sie und lächelte.
Ich stieß mich lässig von der Wand ab, zog mir meine Lederjacke aus und hing sie ihr über die Schultern.
"Du hättest auch wieder reinkommen können, anstatt hier draußen zu frieren, du Dummerchen."
Sie zuckte nur mit den Schultern.
"Ich wollte euch beide nicht stören, ihr scheint das Gespräch sehr wichtig gewesen zu sein."
Nun war ich diejenige, die von einem Bein aufs andere trat.
"Ja, es war auch sehr wichtig..."
Grace schien schnell zu merken, dass ich nicht wirklich darüber reden wollte, deswegen nahm sie meine Hand und zog mich mit sich.
"Würdest du mir noch verraten, wohin du mich jetzt bringst?"
"Nö. Du hast es mir auch nicht gesagt, also bekommst du jetzt auch keinen Tipp von mir. Dein Pech."
Sie grinste mich frech an, doch dann wurde ihr Blick deutlich sanfter.
"Ich habe mir schon gedacht, dass du vermutlich nicht über das reden möchtest, was da drin passiert ist, aber ich will, dass du weißt, dass du es kannst. Im Fall, dass du es dir anders überlegst."
"Das weiß ich wirklich zu schätzen, aber ich denke nicht, dass ich das brauchen werde."
Und natürlich tust du genau das Gegenteil von dem, was du Miss Dange vor ein paar Minuten versprochen hast. Gut gemacht, Langenheim.

"Burger King? Ehrlich jetzt? Es ist ein Uhr morgens und du bringst uns zu Burger King?"
Sie grinste mich an.
"Ich finde es durchaus praktisch. Wenn man zur späten Stunde noch Hunger hat, kann man hier immer noch etwas bekommen und es ist nicht wirklich teuer. Zu meiner Abschlussfahrt in Spanien habe ich mich ganz oft einer Gruppe von Schülern angeschlossen und wir sind um zwei Uhr morgens noch zu McDonald's gegangen, auch wenn es nur um ein Eis ging. Burger King tut es deshalb auch."
Da ich noch immer noch zögerte, den Grund wusste ich damals selbst nicht, machte sie kurzen Prozess und zog mich in das Schnellrestaurant. Der Geruch von verbranntem Fett stieg mir augenblicklich in die Nase und ich verzog mein Gesicht, ohne dass ich es bemerkte. Die Rothaarige neben mir kicherte leise.
"Du wohnst mittlerweile in New York, da solltest du diese Gerüche doch gewöhnt sein, oder etwa nicht?"
Als ich mich zu ihr drehte, grinste sie mich weiterhin einfach nur an. Sie wollte mich also provozieren, natürlich wollte sie das. Auch ich fing nun an zu grinsen.
"Du nimmst den Mund aber ziemlich voll. Hast du immer noch Alkohol im Blut oder wieso bist du auf einmal so mutig?"
Sie zuckte mit den Schultern.
"Ich weiß es nicht, vielleicht liegt es auch einfach daran, dass du endlich mal Reaktionen zeigst. Reaktionen, die kein zu perfektes Lächeln sind, meine ich."
Mein Grinsen erfror, Grace wiederum lächelte mich nun an und sämtliche Art von Spott war aus ihren Augen verschwunden.
"Ruby, selbst wenn ich noch mehr Alkohol getrunken hätte, ich habe dein Lächeln schon an der Bar entlarvt. Ich würde dich nicht als einen gebrochenen Menschen einschätzen, aber du warst schon verdammt kurz davor."
Wieder rauschte mir das Blut in den Ohren und ich versuchte die aufsteigende Wut in mir zu ignorieren, doch sie machte es mir nicht leicht.
Was erlaubte sie sich eigentlich?!
Doch bevor ich etwas sagen konnte, kam mir wieder ein Satz von Miss Dange in den Kopf: "Egal wie sehr du es versuchst, sie wird dich durchschauen und das erzeugst du selbst. Glaub es oder glaub es nicht, du reißt deine eigenen Mauern ein."
Also schaffte ich es irgendwie mich wieder zu beruhigen, während ich die Augen des Rotschopfs wieder auf mir spürte.
"Hör zu, ich möchte nicht unhöflich sein, aber was bei mir abgeht, geht dich nichts an."
Grace lächelte nur und nickte, um sich dann der großen Tafel über den Köpfen der Mitarbeiter zu widmen. Ich staunte nicht schlecht, als ich bemerkte, dass sie nun auch vegetarische und sogar vegane Gerichte anboten. Es war zwar nicht sonderlich viel, aber immerhin etwas. Sie schien meinen überraschten Gesichtsausdruck bemerkt zu haben.
Warum hat diese Frau ihre Augen eigentlich überall?
"Du bist lange nicht mehr hier gewesen, oder? Hast ziemlich krasse Updates verpasst, mittlerweile wird auch etwas für die Leute angeboten, die kein Fleisch oder generell keine tierischen Produkte essen, was ich persönlich ziemlich cool finde. Da du ja anscheinend so überrascht über diese Neuerungen bist, gehe ich mal davon aus, dass du Fast Food eher meidest."
Und wieder hatte sie es geschafft, eine meiner Eigenschaften anhand von Beobachtung zu ergründen.
Das ist doch schon fast unnatürlich! Okay, irgendwie ist es auch sehr interessant.
Ich sagte nichts, sondern nickte nur, woraufhin Grace mich wieder an der Hand ein wenig näher zu sich zog.
"Hör zu, es tut mir leid, sollte ich gerade in einen Bereich eingegriffen haben, der dir aus irgendeinem Grund unangenehm ist. Mir würde es nur irgendwie mehr gefallen, würde ich dein wahres Lächeln einmal sehen, weißt du, was ich meine? Klar, ich schreibe dir nichts vor, das Recht habe ich gar nicht, aber es sind nur meine Gedanken. Ich habe sehr oft das Bedürfnis, meine Gedanken auf irgendeine Art und Weise zu teilen, liegt wahrscheinlich an meinem Studium, aber gut. Jetzt kennst du den Grund, aber wie gesagt, ich zwinge dich zu nichts."
Damit drehte sie sich erneut von mir weg und studierte weiterhin die Karte, während ich noch immer ein wenig perplex darüber nachdachte, dass sie gefühlt jeden meiner Schritte vorhersehen, beziehungsweise sehr gut hinter meine Mauern blicken konnte. Ja, ich gebe es zu, ich hatte mir über die Jahre Mauern errichtet, um dem Schmerz zu entkommen, der davor auf mich wartete und nun begann Grace, sie Stück für Stück niederzureißen. Das war nicht gut. Überhaupt nicht gut, denn ich konnte das nicht gebrauchen.
"Hey! Träumst du schon wieder, Ruby?"
Ich schreckte letztendlich erst auf, als mir die rothaarige Schönheit vor dem Gesicht herumschnipste.
"Wie bitte? Was hast du gesagt? Verzeihung, ich war in Gedanken."
Grace kicherte.
"Ich habe dich gefragt, ob du weißt, was du möchtest. Mason würde es gern wissen."
Dabei deutete sie auf den blonden jungen Mann hinter der Kasse, der trotz meines nicht funktionierenden Gehirns nett lächelte.
"Uhm", fing ich an und kam mir dabei so unterbemittelt vor, dass ich mich insgeheim schon fast schämte, "Ich werde einen veganen Whopper nehmen, danke. Und Pommes dazu."
Mason nickte und gab uns eine Art Pieper.
"Wenn das Essen soweit ist, vibriert es und ihr könnt euer Essen abholen. Sucht euch schon mal einen Tisch. Ihr habt zwar keine freie Platzwahl, aber es müsste noch was zu finden sein."
Damit hatte er recht. Selbst nach Mitternacht war es hier noch voll.
"Komm mit, ich habe da was gesehen."
Wieder nahm Grace meine Hand und ich ließ mich mitziehen wie ein nasser Sack. Nachdem sie uns zu einem Tisch geführt hatte, ließ sie meine Hand wieder los und setzte sich mir gegenüber.
"Jetzt musst du mir aber mal erklären, woher du diesen Mason kennst."
Sie kicherte und spielte dabei mit dem Pieper in ihrer Hand herum.
"Ich arbeite neben meinem Studium hier. Es ist nicht schlecht, sich währenddessen etwas dazu zu verdienen, immerhin ist das Leben für eine studierende Person zu teuer, von daher kann ich jeden Penny sehr gut gebrauchen. Mein Chef hat mir dieses Wochenende ausnahmsweise frei gegeben, sonst hätte ich vermutlich die Schicht von Mason übernommen und wir wären uns nicht begegnet."
Ich nickte.
"Wäre auch sehr schade gewesen. Aber jetzt wo wir schon dabei sind, ich weiß kaum was über dich, außer dass du Literatur studierst, bei Burger King arbeitest und komische Freunde hast, die dich irgendwie zum Trinken zwingen."
Sie lächelte.
"Ach, so schlecht sind sie gar nicht, nur manchmal ein wenig übermütig und unüberlegt. Naja, und außerdem sind es ja auch nicht sonderlich viele. Ich bin eher eine Einzelgängerin, ich denke, das Wort passt ganz gut zu mir."
"Warum kaufe ich dir das nicht ab? Das Wort ist doch eher eine Definition für mich. Warum sollte so ein Sonnenschein wie du eine Einzelgängerin sein?"
Grace biss sich auf die Unterlippe.
"Ich glaube, dass du da etwas eindeutig übersiehst, Ruby. Nur weil sich mein äußeres Auftreten und meine Art mit Leuten umzugehen vielleicht etwas von dem unterscheidet, was du unter Einzelgängerin verstehst, heißt das nicht, dass ich es großartig genieße für längere Zeit mit anderen Menschen zusammen zu sein. Nicht alles, was du auf den ersten Blick wahrnimmst und zu verstehen denkst, muss nicht immer der Wahrheit entsprechen. Es sei denn es bestätigt sich mehrfach auf irgendeine Weise, dann kannst du davon ausgehen, dass deine Vermutungen von Anfang an richtig waren."
Ich zog die Augenbrauen zusammen.
"Und wieso gehst du dann davon aus, dass ich anders bin, als ich mich gebe?"
Ich stützte das Kinn auf meiner Handfläche ab.
"Ich gehe nicht davon aus, ich finde mit jeder Minute nur immer mehr Indizien. Du zeigst sie mir ja noch nicht einmal absichtlich, aber du bist leichter zu durchschauen, als du denkst."
Meine Muskeln spannten sich wieder an, dieses Mal sogar eher ungewollt.
"Hast du was dagegen, wenn wir mal für einen Moment nicht über mich reden? Das stresst mich ziemlich, um ehrlich zu sein."
Es fiel mir nicht leicht das zuzugeben, aber der hübsche Rotschopf nickte nur.
"Natürlich. Frage mich, was du möchtest, ich versuche jede Frage ehrlich zu beantworten."
"Okay, dann fangen wir leicht an. Lieblingsposition im Bett?"
"Ruby!", quietschte sie schon fast und wurde rot wie eine Tomate, während ich lachte.
"Grace, ganz ruhig, das war ein Witz. Erzähl mir einfach das, was du mir über dich erzählen möchtest. Ich bin da nicht sonderlich wählerisch."
Gerade, als sie zu erzählen beginnen wollte, vibrierte das Ding auf unserem Tisch und Grace hatte sich gerade erheben wollen, als ich sie mit meiner Hand auf ihrer und einem leichten Lächeln zurückhielt.
"Ist gut, du kannst sitzen bleiben, ich hole uns die Bestellung."
Dann nahm ich den Pieper, stand auf und verschwand vom Tisch.

Uuuuuund es ist schon wieder Samstag, Cookies! ❤️
Was sagt ihr zu diesem Kapitel? Was haltet ihr bis jetzt von Ruby und Grace? Habt ihr irgendwelche Fragen?
Read you next week ;*
Mo ❤️

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