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"Okay Grace, ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich brauche definitiv noch einen Kaffee, ich habe diese Nacht kein Auge zugemacht und brauche Koffein. Weißt du einen guten Ort?", fragte ich, während ich meinen Koffer hinter mir herzog. Sie sah mich von der Seite an und fing plötzlich an zu kichern, was mich dazu brachte, die Augenbraue zu heben. 
"Was ist so lustig?" 
"Um ehrlich zu sein, hätte ich erwartet, dass dir Schlafmangel nicht viel ausmacht, immerhin fordert dich dein Job hauptsächlich bei Zeiten, bei denen die meisten Leute schon schlafen."
Ich zog meinen Koffer auf dem doch etwas holprigeren Gehweg hinter mir her und Grace hüpfte schon förmlich neben mir herum.
"Ich würde es ohne jede Menge Koffein wahrscheinlich nur im seltensten Fall durchhalten. Aber ich verstehe nicht so ganz, wieso du so wach bist, du hast doch auch nur ein paar Stunden geschlafen."
Sie zuckte nur mit den Schultern. 
"Ich bin glücklich, wahrscheinlich liegt es daran. Dann ist mir die Müdigkeit ziemlich egal. Aber glaub mir, wenn du erst einmal das getrunken hast, was ich dir vorsetze, geht es dir definitiv besser. Mir ist auch ein Platz eingefallen, an den ich dich gern bringen würde. Mein kleines Stammcafé. Ich denke, dass es dir da gefallen wird. Es ist gleich in der Nähe der Uni."
Ich nickte und konnte mir ein Lächeln bei der Erwähnung, dass sie glücklich sei, nicht verkneifen. 
"Klingt gut, aber ich habe wirklich keine Ahnung wohin wir gehen müssen."
Nun merkten wir ganz deutlich, dass die Stadt wach geworden war, denn je näher wir der Innenstadt kamen, desto voller wurde es. Manche Menschen quetschten sich aneinander vorbei, um den nächsten Bus oder die nächste U-Bahn zu erwischen. Ich konnte mich noch gut daran erinnern, dass es dabei egal war, ob es sich um einen Samstagmorgen oder einen vollkommen anderen Wochentag handelte. Die Stadt war zwar auf eine gewisse Weise immer wuselig und trotzdem war sie im Vergleich zu New York City ein kleines Dorf. 
"Ich habe unzählige Stunden an einem der Tische verbracht und wenn es sich anbot, habe ich an einem meiner Skripte arbeiten können, ich bin schon Stammkundin. Wenn wir Glück haben, treffen wir sogar jemanden, den ich kenne, es könnte sein, dass Tonya Schicht hat, aber ich bin mir nicht ganz so sicher. Wir sind auch fast da. Geht es mit deinem Koffer oder soll ich ihn mal eine Weile ziehen, ich meine, ich habe ihn gepackt, also weiß ich auch, dass da eine Menge drin ist."
"Mach dir keine Gedanken, das klappt schon. Aber wenn du drauf bestehst, kannst du ihn später nehmen, wie immer du möchtest." 
Sie nickte und kam vor der Tür eines kleinen Cafés zum Stehen, an dem ich sicherlich vorbeigelaufen wäre. 
"Links von hier kann man schon ein paar Gebäude der Universität sehen, schau mal." 
Sie deutete auf ein riesiges weißes Gebäude und mein Mund öffnete sich, allerdings kam kein für einen Moment kein Ton heraus.
"Die Queen Mary University of London? Wirklich?"
Meine Pupillen schienen vor Überraschung geweitet gewesen zu sein, denn die Rothaarige legte den Kopf schief. Ich wusste noch nicht einmal, was mich daran so überraschte. Ich hatte nie wirklich etwas mit Universitäten am Hut gehabt, das kam für mich nie in Frage, allerdings war der gute Ruf der Queen Mary ihr schon immer vorausgeeilt. 
"Ja. Ist es so überraschend für dich?"
Ich schüttelte heftig den Kopf. 
"Nein, aber ich hätte gedacht, dass es vielleicht eine kleinere Uni ist. Ach, ich weiß auch nicht, was gerade in meinem Kopf vor sich gegangen ist, tut mir leid." 
Ich kratzte mich leicht verlegen am Hinterkopf, um mich irgendwie von dieser mir doch eher peinlichen Situation zu befreien. Bis heute bin ich der festen Überzeugung, dass meine komplette Reaktion daher kam, dass ich zu diesem Zeitpunkt einen neuen, größeren Bereich aus ihrem Leben kennengelernt hatte. Allerdings sollte es noch eine lange Zeit brauchen, bis mir der Grund dafür klar werden würde. 
"Ruby, hör auf dir Sorgen zu machen, okay? Es ist alles in Ordnung. Ja, ich studiere an der Queen Mary University of London. Literatur ist ein Teil des English Departments, wie du dir sicherlich denken kannst. Sie haben da sehr viele unterschiedliche Studiengänge, da ist eigentlich für jeden etwas dabei. Tonya studiert beispielsweise Theater und Schauspiel, Zander ist eher die Naturwissenschaftsperson, das heißt, es gibt sehr viele Möglichkeiten."
Ich richtete meinen Blick wieder auf die Tür, vor der wir standen. 
"Ground Café? Das ist das Café in das du so oft gehst? Das ist ja wirklich nicht weit von der Uni entfernt."
Grace nickte und trat noch einen Schritt vor, um den Bewegungsmelder für die Türen auszulösen, die sich auch einen Moment später öffneten. 
"Na komm, rein mit dir, es beißt dich schon niemand."
Aus irgendeinem Grund hatte ich gezögert, sodass sie mir einen kleinen Schubs verpasste und mich somit dazu brachte, das Café zu betreten. Ich wünschte, ich hätte damals gewusst, warum ich so unsicher war, das hätte mir dann sicherlich Einiges leichter gemacht. 

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