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Sie mochten beide vielleicht Schauspiel studieren, aber irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass Jaz und Jeremy sich bis vor kurzem noch in der Nähe von Grace's Zimmertür aufgehalten hatten. Denn wie sie da beide im Wohnzimmer saßen und so taten, als würden sie eine Zeitung lesen, war dann doch ein bisschen zu sehr gestellt. 
"Ach, da seid ihr ja wieder. Was gibt's?"
Grace verschränkte die Arme vor der Brust. 
"Wie lange habt ihr vor meiner Tür gestanden und die Ohren dran gedrückt?"
"Wovon redest du überhaupt?", wollte Jaz wissen und sah von ihrer Zeitung auf. 
Sie seufzte. 
"Ich kenne euch beide schon eine lange Zeit, ihr lest nie Zeitung, außer ihr habt was ausgefressen."
Ich bemühte mich, bloß nicht loszulachen und der Situation so gut es ging Ernsthaftigkeit zukommen zu lassen. 
"Ich habe immer noch keine Ahnung, wovon du redest, Schatz", verteidigte sich nun auch Jeremy und Grace seufzte erneut.
"Wie auch immer, Ruby und ich müssen zum Flughafen. Wollt ihr noch was sagen oder hier sitzen, um weiterhin so zu tun, als hättet ihr nicht gelauscht?"
Ihre Mitbewohnis standen auf und sahen ein wenig überrascht aus.
"Oh, dann wünsche ich dir viel Spaß in New York", meinte Jaz und winkte mir mit einem Lächeln zu.
"Du verlässt uns schon wieder? Oh, das ist aber wirklich schade, Liebes", sagte Jeremy, kam zu mir und zog mich in eine Umarmung, während sich der kleine Rotschopf um ein Taxi für uns kümmerte. Zuerst war ich ein bisschen irritiert, aber da das möglicherweise einfach seine Art und Weise war, mit Menschen umzugehen, erwiderte ich sie. 
"Mach's gut, Liebes. Komm gut in den USA an und pass auf dich auf, hörst du? Besuch uns bald wieder."
Ich löste mich mit einem Lächeln, bedankte mich für ihre Gastfreundschaft und schnappte mir meinen Koffer. Grace war so nett und nahm mein Board unter ihren Arm, trat mit mir hinaus ins Treppenhaus und schloss die Tür hinter sich.
Zu einem weiteren Besuch wird es nicht kommen, tut mir leid, dass ich dich enttäuschen muss, Jeremy.

"Sieh mal, da ist es!", sagte Grace aufgeregt und deutete auf das schwarze Taxi, das nun in die Straße einbog. Ich sah sie von der Seite an und musste lächeln. Sie war der verdammte Grund dafür, warum es mir bei meiner bevorstehenden Abreise deutlich besser ging als an dem Tag, an dem ich hergekommen war. Sie war der Grund, weshalb ich mich gerade in diesem Moment gut fühlte. Sie war der Grund, warum ich mich endlich wieder geöffnet hatte und es lag an ihr, dass ich einige verrückte Stunden hinter mir hatte, die ich auf keinen Fall so schnell vergessen würde.
"Ruby? Hey, bist du noch anwesend?"
Grace schnipste mir vor dem Gesicht herum und ich war wieder im Hier und Jetzt gelandet. 
"Was ist los?" 
Ich war vollkommen verwirrt und wusste für einen Moment kaum, wo ich mich befand.
"Du musst deinen Koffer loslassen, andererseits kann ich ihn nicht ins Taxi packen."
Sie lächelte und berührte meine Hand, um mir ihn mir aus der Hand zu nehmen. Diese einfache Berührung reichte aus, um mir einen Schauer über den Rücken laufen zu lassen, was keineswegs negativ gemeint war. 
"Kein Ding, ich mach schon", sagte ich und hievte mein Gepäck in den Kofferraum des doch eher spärlichen Taxis. 
Dann öffnete ich die Tür für sie und setzte mich dann neben sie ins Auto, das losfuhr, nachdem Grace der Fahrerin unser Ziel genannt hatte. Wir lehnten uns beide zurück und ich schloss für einen Moment die Augen, während ich noch einmal über die Situation in ihrem Zimmer nachdachte. Wir hatten uns geküsst. Ich hatte sie küssen wollen und zwar mehr als alles andere. Der Kuss hatte sich verflucht gut angefühlt und jetzt saß sie tatsächlich mit mir im Taxi, um mich zum Flughafen zu begleiten, damit ich verschwinden konnte. Sollte ich mit ihr über das reden, was auf ihrem Bett passiert war?
So ein Quatsch, das machst du doch sonst nie, stell dich nicht so an!
Ich nagte an meiner Unterlippe und beobachtete Grace dabei, wie sie mit dem Kopf an das kühle Fensterglas gelehnt nach draußen schaute. Solange sie nicht darüber reden wollte, würde ich es auch nicht tun. 
"Guck mal, da ist der berühmte Gehweg über den ich gestern getorkelt bin!", rief Grace plötzlich und deutete aufgeregt hinaus, bevor sie sich mit einem breiten Lächeln an mich wandte.
"Ich war ziemlich drüber, oder?"
Ich musste lachen.
"Schon, aber du hast dich wirklich schnell wieder erholt, wenn ich ehrlich bin. Außerdem habe ich schon deutlich Schlimmeres gesehen, in der Branche, in der ich arbeite, ist es nicht wirklich unüblich, dass jemand betrunken ist und oder kotzt. Von daher mach dir mal keine Sorgen, du warst wirklich kein schwieriger Fall. Manchmal sind die Leute, die ich mit in meine Wohnung nehme, so betrunken, dass sie die ganze Nacht im Badezimmer verbringen müssen."
Ich schaute weg.
Genau, jetzt rede noch von anderen, nachdem du sie geküsst hast! So als ob es dir nichts bedeutet hätte! Bravo, du Trottel!
Ich spürte ihren Blick auf mir und sah sie erneut an.
"Was hast du eigentlich vor, wenn du wieder in New York bist? Geht dann alles wieder seinen normalen Gang?"
Natürlich, du wirst ihr nicht hinterhertrauern!
"Ich denke schon, ja, aber das werde ich sehen. Ich muss wieder arbeiten, das heißt, ich werde wieder Nächte durchmachen und mich daran erfreuen, wie sehr die Musik die Menschen verbindet. Ich werde herumspringen und auf der Bühne herumhampeln, so als gebe es kein Morgen. Dann werde ich durch die Straßen von New York schlendern, mich umsehen und dankbar dafür sein, diesen Job in dieser Stadt zu haben."
Grace hatte sich mit dem Kopf plötzlich an meine Schulter gelehnt. 
"Bitte erzähl mir von deinem Leben dort, ich möchte es mir vorstellen können. Ich will mir vorstellen, wie dein Tag aussiehst, was du tust. Bitte."
Sie sah nicht zu mir hoch, sondern blickte geradeaus. 
"Bist du dir sicher, dass du es hören möchtest? Wahrscheinlich ist es gar nicht so interessant, wie du vielleicht glaubst."
Jetzt sah sie mich doch an und grinste. 
"Wie war das? Ich dachte, ich wäre diejenige von uns, die sich zu viele Gedanken macht. Du kannst mir erzählen, was du willst. Wenn es dir nur ein bisschen etwas bedeutet, dann bedeutet es mir auch etwas. Ich möchte einfach nur, dass du mir von dem Leben erzählst, dass du mittlerweile führst. Inzwischen weiß ich, dass du die Stadt, die du in wenigen Stunden verlassen wirst, aufgrund von schmerzhaften Erinnerungen nicht sonderlich magst. Aber was hat dich nach New York verschlagen? Wie gefällt es dir dort? Ich möchte all das wissen, was du mir erzählen willst. Bitte."
Ihre Stimme wurde gegen Ende hin noch ein wenig sanfter und wieder musste ich lächeln.
"Ich weiß nicht so genau, wie ich anfangen soll. So übertrieben wie es klingt, aber nachdem Kate mich verlassen hat, gab es nichts und niemanden mehr, der mich in London halten könnte. Deswegen plünderte ich all das Ersparte, das ich mein Leben lang für eine Notlage zurück gelegt hatte. Es war nicht viel und um ehrlich zu sein hätte das alles auch schiefgehen können, ich bin nämlich auf gut Glück ins kalte Wasser gesprungen. Aber alles was ich wusste, war, dass ich aus London verschwinden müsste, da es für mich in der damaligen Situation erst recht kein Zuhause mehr war. Ich bin mir noch nicht einmal sicher, weshalb ich mir New York City ausgesucht hatte, vermutlich weil ich hoffte, dass meine Träume dort wahr werden würden. In dem ersten Jahr, in dem ich in Amerika lebte, schlug ich mich mit Dutzenden von Jobs durch und konnte gerade so meine Miete für ein klitzekleines Apartment bezahlen. Ich verkaufte alles, was ich nicht mehr brauchte und von dem ich der Meinung war, es wäre vielleicht etwas wert. Es war eine harte Zeit für mich, aber wollte und würde auch nicht aufgeben. Ich konnte nicht aufgeben, weil es dann bedeutet hätte, dass ich mich geschlagen geben und wieder hätte nach England ziehen müssen. Es gab eine Sache, von der ich mich allerdings nicht trennen wollte. Ich besitze ein eigenes DJ-Pult und zu meiner Anfangszeit in New York hatte es in meinem kleinen Apartment kaum Platz. Aber nichts und niemand hätte mich dazu bekommen, es zu verkaufen. Es ist ein fester Bestandteil meines Lebens und sollte sich nach einem knappen Jahr, nachdem ich nach New York gekommen war, auszahlen. Mein ehemaliger Nachbar Cole ist Mitarbeiter in einer Firma, die sich um Veranstaltungsmanagement kümmert und kurz vor Beginn der riesigen Party in einem Club in Manhattan, für die Cole in diesem Fall zum allerersten Mal verantwortlich war, ist der DJ in der aller letzten Minute abgesprungen und die Party drohte gecancelt zu werden. Naja, du kannst dir vorstellen, was passiert ist. Er hat mich gefragt und mir eine riesige Bezahlung für diesen Job angeboten. Wir waren uns schon öfters im Treppenhaus begegnet, deshalb wusste er, was ich leidenschaftlich gern tat. Und was soll ich sagen? Diese eine Nacht hat mir viele Türen geöffnet, die ich mit meinem Leben schützen würde. Diese eine Nacht hat mir dazu verholfen, dass ich mein Hobby zu meinem Job machen konnte. Mein Auftritt hatte sich herum gesprochen und mensch bat mich darum, mich für weitere Veranstaltungen buchen zu dürfen. Jetzt lebe ich in einem Apartment in Brooklyn. Ich will ehrlich sein, ich hätte mir Manhattan leisten können, aber ich hatte keine Lust darauf. Ich darf in angesagten Clubs oder auch bei Hochzeiten oder Ähnlichem auftreten und tatsächlich lege ich nächste Woche im selben Club auf derselben Party auf, die den Anfang meiner Karriere markiert hatte. Deshalb ist mir dieser Job besonders wichtig und ich möchte Cole nicht enttäuschen. Wenn ich mal nicht arbeite, verbringe ich viel Zeit im Fitnessstudio oder ich boxe, treffe mich mit ein paar Freunden und Freundinnen oder schaue Serien auf Netflix, wenn es sich anbietet. Ich würde also behaupten, dass ich ein recht unspektakuläres Leben führe."
Grace sah mich mit offenem Mund an. 
"Du willst mich doch verarschen? Dein Leben ist ein Abendteuer, zumindest fühlt es sich für mich so an! Das ist ziemlich cool und ehrlich, ich bin froh darüber, dass du dein Leben in die eigene Hand genommen und dich durchgebissen hast. Andernfalls wärst du sicherlich nicht so glücklich, wenn du drüber redest. Du solltest sehen, wie deine Augen leuchten, wenn du von New York sprichst, Ruby! Wirklich, das ist toll!"
Ich lächelte leicht und lehnte mich zurück. 
"Danke, dass du mir zugehört hast, Gingerhead."
"Immer wieder gerne."
Im Radio, das man leise zu hören bekam, spielte gerade "Everything Has Changed" von Taylor Swift und irgendwie stimmte es. Es hatte sich einiges geändert, auch wenn mir das zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz klar war.
Je länger wir schwiegen oder aus dem Fenster sahen, desto schwerer wurden meine Augenlider und innerhalb von ein paar Minuten war ich seit über 24 Stunden eingeschlafen.

Hallo Cookies ❤️
Ruby und Grace sind nun auf dem Weg zum Flughafen. Denkt ihr, es wird noch was auf sie zukommen? :)
Lasst mir doch gern eure Meinung zu diesem Kapitel da ;)
Read you next week ;*
Momofelton ❤️

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