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"Ruby, was soll das denn bitte werden, wenn es fertig ist?", murrte Grace, während ich sie in einen Laden voller Londoner Souvenirs zog.
"Du bist doch nicht wirklich der Meinung, dass ich dich jetzt Trübsal blasend irgendwo sitzen lasse bis mein Flieger geht, oder? Das kannst du aber so was von vergessen!"
Sie befreite sich aus meinem Griff und verschränkte ihre Arme vor der Brust.
"Hör schon auf, es geht mir gut, ich brauche keine Ablenkung für irgendwas."
An ihrem Ton erkannte ich, dass sie immer noch ziemlich verstimmt war. Ich konnte es zwar verstehen, dennoch hatte ich wirklich keine Lust, mich von einer traurigen Grace zu verabschieden, seien wir mal ehrlich, das würde es mir nämlich nicht einfacher machen. Ich kam näher, so nah, dass ich die Wärme, die von ihrem Körper ausging, deutlich spüren konnte.
"Grace, ich weiß, dass sich das scheiße anfühlt, aber ich kann es nicht ändern. Ich habe keinen Bock, dass wir die letzten Minuten, die uns bleiben, damit zu verbringen, traurig und schweigend in der Gegend herumzusitzen und so tun, als würde ich dich nur verarschen und dir dann verkünden, dass ich doch nicht fliege. So läuft das Spiel einfach nicht, okay? Ich werde gehen müssen und lieber lasse ich alles mit einem schönen freudigen Knall enden als mit einer kleinen, selbstinszenierten Tragödie. Also tu mir jetzt bitte den Gefallen und sorg dafür, dass ich wie die Touristin schlechthin aussehe. Komm", sagte ich und zog sie wieder mit mir zu den verschiedenen Regalen, die sich hier drin befanden. Ich wollte und musste sie irgendwie zum Lachen bringen, ich konnte nicht mit einem guten Gewissen gehen, wenn ich wusste, dass sie traurig war. Wir standen vor einer Auswahl lustiger Hüte und Brillen, die man sich als kleines Geschenk für jemanden oder sich selbst aus Englands Hauptstadt mitnehmen konnte. Manche waren schlicht, andere waren ziemlich bunt ausgeflippt und oder glitzerten. Erstmal holte eine etwas schlichtere Brille aus dem Regal und setzte sie mir auf.
"Na, was meinst du? Steht mir das?"
Ich blickte sie über den Rand der Brille an. Grace verkniff sich das Lachen, ich sah es ihr an.
"Das ist zu schlicht für dich. Warte."
Sie nahm eine bunt glitzernde Brille vom Regal und setzte sie sich auf.
"Das Ruby", fing sie an und posierte mit der Hand an der Hüfte, "nennt man einen Look."
Ich musste lachen und nahm mir einen ausgeflippten Hut mit einem bunten Union Jack, den ich natürlich auch aufsetzte.
"Schlag das, Gingerhead."
"Oh verdammt, du machst mir ziemlich Konkurrenz. Da muss ich mich wohl noch mehr ins Zeug legen."
Kaum hatte sie das gesagt, trug Grace Blümchenketten in den Farben der englischen und britischen Flagge um den Hals, sodass es mir vorkam als wären wir bei der Fußballweltmeisterschaft.
"Wie willst du das toppen, huh?"
Ich grinste nur.
"Das wirst du schon sehen", meinte ich und war im nächsten Moment nur noch tiefer im Shop. Kurze Zeit später war ich mit sämtlichen Souvenirs bepackt, die ich hatte finden können. Darunter waren Anhänger, ein Pulli, den ich mir übergeworfen hatte, Ketten und sogar eine Schneekugel. Ich sah aus wie ein Weihnachtsbaum eben nur mit einer anderen Dekoration. Allerdings musste ich feststellen, dass Grace in der Zwischenzeit eine ganz ähnliche Idee gehabt hatte und nicht wirklich anders aussah als ich. Nun konnten wir beide nicht mehr an uns halten und mussten lachen. Heftig lachen.
"Okay", japste sie, als wir uns irgendwie wieder beruhigt hatten, doch sie hielt sich den Bauch.
"Einigen wir uns auf Gleichstand?", presste ich hervor und versuchte bei ihrem Anblick nicht schon wieder zu lachen, was mir glücklicherweise gelang, sonst wären wir sicherlich nie aus diesem Laden herausgekommen.
"Ich bin dafür, Gleichstand ist eine gute Idee."
Sie lächelte und ich hatte sie zum Lachen gebracht. Das war sehr gut.

Nachdem wir ein wenig Zeit gebraucht hatten, um das Zeug, das wir getragen hatten, wieder an die richtigen Orte zu bringen, meldete sich mein Magen.
"Grace? Ich habe ein bisschen Hunger, möchtest du auch was?"
Sie überlegte kurz und nickte dann.
"Das ist eine gute Idee, weißt du schon wohin wir gehen könnten?"
Ich zuckte mit den Schultern.
"Noch keine Ahnung, aber wir werden schon etwas finden, da bin ich mir ziemlich sicher."
Ich nahm meinen Kram und wir verließen den Shop, um nach einer Möglichkeit zu suchen, bei der wir einen kleinen Snack bekommen würden. Natürlich wusste ich, dass ich im Flugzeug auch etwas bekäme, doch ich wollte die letzten Minuten mit Grace noch nutzen. Auch wenn das bedeutete, dass ich Gefahr lief, dass sie, wenn wir uns setzten, wieder traurig werden könnte. Wir kamen an ein paar kleinen Imbissbuden und Cafés vorbei, auch an einem McDonalds, auf den ich aber überhaupt keine Lust hatte.
"Was hältst du von diesem Laden hier?", fragte Grace und blieb an vor einer kleinen Bäckerei stehen, die sogar noch ein paar Sitzplätze im Inneren frei hatte.
"Das ist eine gute Idee. Bestimmt können wir uns da ein Sandwich oder Ähnliches holen."
Sie biss sich auf die Unterlippe.
"Vielleicht haben die aber keine veganen Varianten..."
Ich lächelte.
"Mach dir da mal keine Sorgen, im Notfall weiche ich auf etwas Vegetarisches aus. Komm, ich habe Hunger."
Ich ließ sie vor mir eintreten. Die kleine Bäckerei war so gut besucht, dass wir für ein paar Minuten anstehen mussten, bis Grace sich für ein Tomate-Mozzarella-Baguette entschied und ich einen Bagel mit Paprika-Hummus mit Gemüse bekam. Wir hatten Glück, dass viele Reisende etwas zum Mitnehmen bestellten, sodass wir uns an einen der kleinen Tische setzen konnten. Ihre Augen leuchteten als sie ihr Essen anblickte, wobei wir wieder bei der Liebe ihres Lebens angekommen waren. Ich biss in mein Sandwich und es schmeckte wirklich gut, auch wenn ich es noch ein bisschen salziger zubereitet hätte.
Ich sah zu Grace hinüber und beobachtete sie dabei, wie sie ihr Sandwich aß. Den ersten Gedanken, den ich zu gehabt hatte, war rothaarige Schönheit gewesen und das hatte sich bis jetzt nicht geändert. Ich kannte sie kaum und trotzdem kam es mir so vor, als hätte ich Wochen mit ihr verbracht. Ich dachte, dass mein letzter Tag in London genauso öde enden würde, wie ich es mir vorgestellt hatte, doch ich irrte mich gewaltig. Ich saß hier mit ihr. Ich saß mit der Frau im Flughafengebäude, die meine Welt innerhalb eines noch nicht mal ganzen Tages ziemlich auf den Kopf gestellt hatte. Mit der Frau, deren Begegnung rein zufällig gewesen war. Hätte sie sich in der Bar nicht neben mich gesetzt, wäre ich mit irgendeiner Anderen vermutlich zu ihr nach Hause verschwunden, hätte bedeutungslosen Sex gehabt und wäre am nächsten Morgen noch bevor sie wach geworden wäre, aus ihrer Wohnung verschwunden. So wie sonst auch. Ich hätte mich für den Rest des Tages auf Londons Straßen herumgetrieben und dabei die Plätze gemieden, die ich mit Kate verband. So wie sonst auch. Später hätte ich meine Sachen geholt und wäre allein zum Flughafen gefahren und hätte mich gelangweilt, doch das hier war eine vollkommen andere Situation. Ich hatte Grace bei mir und war zur Abwechslung mal nicht allein.
"Was ist? Habe ich etwas im Gesicht?"
Ich hatte überhaupt nicht bemerkt, dass ich sie anstarrte. Ich räusperte mich, sah auf meinen Teller und schüttelte den Kopf.
"Nein, alles gut, ich habe nachgedacht, weiter nichts."
Ich nahm einen weiteren Bissen von meinem Sandwich, bevor ich sie wieder anschaute.
"Und? Was wirst du machen, sobald ich weg bin? Wie wird dein Alltag ohne mich aussehen?"
Sie zuckte mit den Schultern.
"Ich werde nach Hause fahren, mein Zeug für nächste Woche vorbereiten, normal zu Uni gehen, Jeremy dabei helfen, sich für einen Look zu entscheiden und-"
"Moment, Moment. Die Schminke in eurem Badezimmer..."
Grace lachte.
"Ja, die gehört Jeremy, der größte Teil zumindest. Er hat Zeug, von dem ich noch nicht einmal weiß für was es da ist, wenn ich ehrlich bin. Wenn er viel Zeit hat, geht er manchmal mit den erstaunlichsten Looks vor die Tür, um die Jaz und ich ihn nur beneiden können. Ehrlich, du solltest ihn sehen. Er ist immer so verdammt stolz, das ist richtig süß. Jeremy hatte es eine Zeit lang nicht einfach, das kannst du mir glauben. Umso schöner ist es zu sehen, wie glücklich er ist, endlich er selbst sein zu dürfen."
Dabei lächelte sie wieder und sah irgendwie stolz aus. Ich ahnte, dass sie und Jaz ihm viel zur Seite gestanden hatten.
"Wie ich schon sagte, ich gehe weiterhin zur Uni und versuche nebenbei diesen verfluchten Aufsatz zu schreiben, bei dem mir einfach kein Thema einfallen will. Tja, darüber werde ich mir wahrscheinlich noch den Kopf zerbrechen. Aber ansonsten habe ich keine Ahnung, was noch kommen wird, das werde ich sehen. Ich hoffe einfach, dass du einen guten Flug hast."
Wir aßen für einen Moment schweigend.
"Worum soll es in diesem Aufsatz gehen?"
Sie lächelte und wischte sich den Mund mit einer Serviette ab.
"Es ist für meinen Kurs im kreativen Schreiben. Wir sollen bis Ende nächster Woche einen Aufsatz zu etwas abgeben, das uns inspiriert und nachhaltig verändert hat. Aber mir fällt noch nicht wirklich etwas ein."
Ich nickte. Mir würde es sicherlich auch schwerfallen.

Der Stuhl kratzte über den Boden, als ich ihn zurückschob und aufstand. Grace war so nett und brachte die Teller weg, während ich meinen Kram sortierte. Es wurde Zeit zum Terminal zu gehen, ich hatte nicht mehr viele Momente. Grace kam zurück und nahm mir wieder das Skateboard ab.
"Danke dir."
"Aber immer wieder gern, ein letztes Mal will ich es nochmal tragen."
Ein letztes Mal, wie beschissen das klang...

Na da hat Ruby sich aber was für Grace einfallen lassen und ja, der letzte Satz tat ziemlich weh...
Ich hoffe, ihr hattet eine schöne Woche und dass euch das Kapitel gefallen hat, Cookies ❤️
Read you next week ;*
Mo ❤️

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