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"Ruby! Warte doch!"
Ich dachte gar nicht daran jetzt stehen zu bleiben. Sollte sie mich doch fangen.
"Ruby! Ich habe dir doch gesagt, dass ich nicht so schnell bin! Warte doch wenigstens auf mich!"
Ich lachte nur und genoss das Gefühl der kühlen Nachtluft, die mir die Haare zerzauste. Nach ein paar weiteren Metern entschloss ich mich allerdings doch dafür, dass ich nicht so gemein sein wollte und bremste ab. Grace holte mich nach Luft schnappend nach einem weiteren Moment ein.
"Was zur Hölle sollte das? Warum verlangst du von mir, dass ich mitten in der Nacht am Fluss entlang renne?"
Ich musste aufgrund ihres Gesichts nun noch mehr lachen.
"Du wolltest dich frei fühlen, da hast du es. Es gibt nichts Schöneres als ohne jeglichen Grund durch die Nachtluft zu rennen. Wirklich nicht. Wenn du etwas los lassen möchtest, dann renn'. Ich stelle mir immer vor, dass einer meiner Lieblingssongs im Hintergrund läuft und dann renne ich los. Einfach so. Ich denke nicht wirklich darüber nach, was andere denken könnten, ich laufe einfach nur los. Vielleicht solltest du das auch mal versuchen."
Sie runzelte die Stirn.
"Wieso? Was sollte ich denn los lassen wollen?"
Ich zuckte nur mit den Schultern und spürte, wie sich unsere Finger erneut während des Gehens berührten. So sehr ich es wollte, ich konnte ihre Hand nicht nehmen, es kam mir irgendwie wie ein Verrat vor.
"Vielleicht irgendwelchen Stress. Stress, den du dir bei Hausarbeiten machst. Oder wenn dir deine Freunde auf den Keks gehen zum Beispiel."
Sie legte den Kopf schief, ungefähr so als hätte sie verstehen wollen, was in mir vor sich ging.
"Ja, das stimmt. Das wären definitiv Optionen, aber irgendwie interessiert mich gerade mehr, welche Gründe du hast, um zu rennen."
Natürlich muss sie das fragen. Warum habe ich gedacht, sie würde es nicht tun?
Ich biss mir einen Moment lang auf der Unterlippe herum. Bis heute fragte ich mich, wie sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollkommen hatte wund sein können.
"Erinnerungen. Ja, hauptsächlich sind es Erinnerungen, die ich am liebsten vollständig aus meinem Kopf verbannen würde. Aber leider geht das nicht."
Wieder sah Grace mich an, als würde sie mich vollständig analysieren und ich war wieder kurz davor, etwas entgegen zu schießen, doch dann schlussfolgerte sie etwas, was mich vollkommen aus dem Konzept brachte.
"Geht es dabei besonders um Kate?"
Mein Körper spannte sich an und ich war es leid. Ich war es so leid nicht im Stande zu sein über sie zu reden, ohne dass dabei wieder eine Wunde in mir aufriss. Aber so sehr ich es auch versuchte, ich konnte nichts dagegen unternehmen. Zu meinem Glück stand ein paar Meter entfernt eine Bank, auf der ich mich niederließ. Das Thema um Kate brachte mich noch immer so sehr aus der Fassung, dass ich buchstäblich das Gefühl bekam, als hätte mir jemand meine Standfestigkeit genommen. Ich bemerkte kaum, wie sie sich neben mich setzte. Mein Blick verweilte für wahrscheinlich unzählige Minuten auf dem Wasser, in dem sich der Mond spiegelte.
Sie hatte solche ruhigen Momente mit dir immer geliebt... Und sicherlich würde sie dich jetzt anschnauzen, weil du Grace nicht antwortest!
Ich nahm einen tiefen Atemzug, bevor ich meine Augen wieder von der Wasseroberfläche losriss.
"Ja, es geht dabei um Kate. Aber auch um andere Dinge."
"Ich verstehe schon, du möchtest nicht darüber reden."
Wieder biss ich mir auf die Unterlippe.
Auf meiner eigenen Unterlippe herum zu kauen gehört jetzt wohl zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Halleluja!
"Aber weißt du, es kann helfen, wenn du redest. Ich zwinge dich zu nichts, das solltest du wissen, dennoch glaube ich, dass es dir gut tun würde."
Mein Kopf, der sich gerade wieder dem Fluss widmen wollte, hielt in der Bewegung inne und drehte sich dann stattdessen in ihre Richtung zurück, um sie anzusehen. 
"Warum um Himmels Willen versuchst du so sehr, mir zu helfen? Du kennst mich doch gar nicht. Ich bin eine Fremde, die versucht hat, dich in einer Bar abzuschleppen."
Sie hob amüsiert die Augenbrauen.
"Du hast versucht, mich rum zu kriegen? Wow, dann bin ich echt naiv und schwer von Begriff, wenn es darum geht, zu erkennen, ob mich jemand sexuell anziehend findet, oder nicht. Aber wenn du mich nur ins Bett bekommen wolltest, warum läufst du dann um drei Uhr morgens mit mir am Fluss entlang? Müssten wir denn dann nicht schon längst in deinem Schlafzimmer sein?"
Dabei grinste sie mich wieder frech an und ich verdrehte nur die Augen, sobald wir aufstanden und uns erneut in Bewegung setzten.
"Ich habe es mir eben anders überlegt und außerdem möchte ich deinen betrunkenen Zustand ungern ausnutzen, nur um für eine Nacht Befriedigung zu erfahren."
"Gerade bin ich nicht mehr betrunken. Warum sind wir nicht schon längst bei dir?"
Ich verschränkte die Arme vor der Brust.
"Legst du es drauf an, dass ich mit dir ins Bett gehe oder irre ich mich?"
"Würdest du denn mit mir ins Bett gehen wollen?"
Nun hatte sie mich.
"Ähm...", fing ich an, "Ich weiß tatsächlich nicht, ob ich das jetzt noch machen würde. Wahrscheinlich habe ich dir jetzt schon zu viel meinerseits gezeigt, um nochmal die Nummer mit der mysteriösen Fremden abzuziehen. Also gehe ich mal davon aus, dass ich nicht noch mit dir im Bett lande. Ich hoffe, du bist nicht zu enttäuscht", fügte ich noch schnell hinzu, um irgendwie ansatzweise das Gefühl von Kontrolle zu behalten, denn dieses kleine rothaarige Biest brachte mich dazu, unvorsichtig zu sein.
"Ich? Enttäuscht? Oh bitte, ich hatte eh nicht vor heute Nacht mit irgendwem ins Bett zu springen. Ach ja, und Ruby? Dir ist schon klar, dass du immer noch das Rätsel höchstpersönlich bist, oder?"
Dann schlenderte sie an mir vorbei und ließ mich noch perplexer als vorher stehen.
Natürlich durchschaut sie dich, sie will dich nur verarschen!

"Bist du dir sicher, dass du das wirklich möchtest? Sicher, dass das eine gute Idee ist?"
Ich verdrehte die Augen und zog sie nur noch enger an mich.
"Jetzt entspanne dich mal ein bisschen, wir wollen doch nur zu mir ins Hotel. Ich entführe dich doch nicht. Und bitte tu nicht so, als würdest du dich ganz plötzlich zieren, das wäre dann nämlich ziemlich unpassend. Aber ich zwinge dich auch nicht zu irgendwas, wenn du möchtest, kann ich dich auch nach Hause bringen. Oder du gehst alleine, wie du es möchtest."
Sie riss die Augen auf.
"Oh nein, ich möchte nicht nach Hause und schon gar nicht alleine. Es ist dunkel."
"Hat da etwa jemand Angst im Dunkeln?"
Sie nickte leicht und ich lächelte sie sanft an.
"Keine Sorge, ich lasse dich nicht hier, wir werden zu meinem Hotel gehen. Ich könnte dich nicht hier lassen, niemals. Nicht wenn du mich ansiehst, wie ein verschrecktes Kätzchen, das Angst hat, man würde es hinter der nächsten Ecke in einen Sack stecken und entführen. Na komm schon."
Wir gingen weiter und ich bemerkte, wie sie zu zittern begann.
Natürlich werde ich jetzt das Klischee erfüllen, aber wen interessiert's?
"Hier", sagte ich und hielt ihr meine Lederjacke hin.
Grace sah mich mit großen Augen an.
"Aber du brauchst sie doch selbst, sonst frierst du noch und das möchte ich nicht."
Mein Lächeln wurde breiter.
"Versuche diese Ausrede nicht, Kate hat sie zu oft anwenden wollen. Wenn ich wüsste, dass ich diese Jacke bräuchte, würde ich sie dir garantiert nicht hinhalten. Nun nimm sie schon."
Grace zögerte, doch griff letztendlich doch nach meiner Jacke.
"Na siehst du, so schwer war es gar nicht. Jetzt sollte es besser sein. Oder?"
Wieder nickte sie und sah mich an.
"Was ist denn?"
"Nichts, du bist einfach nur wirklich schön..."
Ich hob die Augenbraue.
"Hast du getrunken, ohne dass ich was mitbekommen habe?"
Sie seufzte.
"Fällt es dir so schwer, Komplimente an zu nehmen, Ruby?"
"Seien wir mal ehrlich, ich bin es nicht gewohnt."
Jetzt war sie diejenige, die mich näher zu sich zog.
"Das sollte geändert werden, denkst du nicht? Ich glaube, wenn ein Mensch nicht viel Liebe von Leuten erfahren hat, die ihm zustand, ist es schwer sich selbst zu akzeptieren. Und Komplimente sind dann umso komplizierter anzunehmen."
Daraufhin blieb sie stehen, sodass mir nichts anderes übrig blieb als es ihr gleich zu tun. Dann schlang sie die Arme um mich und umarmte mich. Ich war mit der Situation erst ziemlich überfordert, doch erwiderte langsam. Allerdings geschah etwas, womit ich nicht gerechnet hatte: Sie küsste mich. Zwar nur auf die Wange und dennoch überraschte es mich so sehr, dass ich ein wenig zurück taumelte.
"Oh, tut mir leid, das wollte ich nicht. Ich hätte dir nicht zu nah treten dürfen. Bitte entschuldige."
Sie blickte verlegen auf ihre Schuhe. Als ich mich wieder gefangen hatte, hob ich ihr Kinn an.
"Hey, es ist okay. Ich war einfach nur überrascht."
Bis heute wusste ich nicht, was mich damals zu diesem Zeitpunkt geritten hatte. Ich beugte mich zu ihr hinunter, sodass unsere Lippen höchstens zwei Zentimeter entfernt waren. Ihr Körper war angespannt, allerdings versuchte ich ihr klar zu machen, dass sie keine Angst zu haben brauchte.
Einmal, wenigstens ein einziges Mal.
Kurz bevor sich unsere Lippen hätten treffen können, ließ uns eine lallende Stimme auseinander fahren.
"Lesben, huh? Kann ich mitmachen? Bitte! Ihr habt doch sicherlich nichts gegen Dreier! Und wenn nicht, darf ich dann wenigstens zusehen?"
Wäre Grace nicht bei mir gewesen, hätte ich diesem Typen sicherlich die Fresse poliert.
"Rubs, er ist betrunken. Komm, lass ihn. Wir müssen sowieso gehen. Na komm schon."
Noch immer blieb ich wie angewurzelt stehen und sah den Typen an.
"Ruby, hey, ich habe eine Idee? Willst du diese Situation hinter dir lassen?"
Ich blickte ihr stumm in die Augen.
"Willst du es loslassen? Was sagst du? Willst du rennen?"
Kaum hatte ich genickt, war sie auch schon los gerannt.

Hallo Cookies ❤️
Ich hoffe, ihr habt eine gute Zeit mit den Leuten, die euch wichtig sind, auch wenn dieses Jahr ziemlich crazy ist.
Rutscht gut rein! :)
Das neue Kapitel ist quasi ein Geschenk meinerseits an euch ;)
Read you next week ;*
Momofelton ❤️

24 HOURSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt