Kapitel 3 Helen

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Was war das denn? Ich lehne mich richtig an die Wand hinter mir, während der Automat neben mir mir mit einem leisen Pling mitteilt, dass mein schwarzer Kaffee endlich fertig ist. Darum werde ich mich gleich kümmern, erst muss ich klar kommen. Was wollte sie denn von mir? Wieso hat sie mich geküsst und wieso rennt sie jetzt weg? Was geht hier vor?
Ich atme nochmal durch und stoße mich von der Wand ab. Das war merkwürdig. Unzählige Blicke liegen auf mir, als ich hinter dem Automaten heraus trete und meinen dampfenden Becher in die Hand nehme. Was haben die bloß? Auf einmal erblicke ich einen großen schlanken Jungen, der versucht sich einen Weg durch die Schülermenge zu bahnen. Er sitzt in Geschichte neben Gwenny, also könnten sie einander doch kennen, richtig? Wie heißt er denn? Ich glaube, es ist irgendwas mit F... ist es Finn? Nein, so heißt er nicht...

Während ich noch grübele wie er heißt, hat er es fast zur Tür geschafft. Er ist gleich auf einer Höhe mit mir. Jetzt muss ich schnell handeln. Es kommen zwar immer mehr Schüler hierher, da die Pause begonnen hat, aber bestimmt ist er bald trotzdem durch die Tür geschlüpft.

,,Hey, Fion! Warte mal kurz."

,,Ich kann jetzt nicht."

,,Es geht um sie, bitte. Ihr seid doch befreundet oder? Bitte, Fion."

Der Junge bleibt wie vom Donner gerührt stehen. Scheinbar stimmt der Name, der mir einfach in den Sinn gekommen ist. Erleichtert klopfe ich mir mental auf die Schulter. Mein Mitschüler dreht sich langsam zu mir um. Er besitzt von Natur her hellblonde Haare und ihm stehen diese auch. Dazu hat er ein kantiges Kinn und eine etwas krumme Nase. Er ist auf jeden Fall attraktiv... und wütend. Scheinbar zornig verschränkt Fion gerade seine Arme vor seinem ziemlich muskulösen Oberkörper.

,,Wir sind befreundet? Befreundet? Lynn ist meine beste Freundin seit dem Kindergarten, verdammt. So lange kennen wir einander auch schon und du musst mich soetwas ernsthaft fragen? Bekommst du irgendetwas mit neben dir selbst, Helen?"

Er weiß also wie ich heiße und wie man meinen Namen ausspricht, sympathisch. Seine Stimme ist tief, aber angenehm. Allerdings versuchen seine Augen mich zu erdolchen, weshalb ich mich kurz sammeln muss.

,,Ich war mir eben nicht ganz sicher, entschuldige. Du musst nicht gleich so ausrasten deshalb."

,,Doch das ist wirklich traurig, Helen. Sag schon, was willst du jetzt von mir? Ich möchte nämlich eigentlich wirklich dringend Lynn hinterher."

,,Lynn? Ich wollte mit dir kurz über Gwenny reden..."

Unsicherheit packt mich. Ist er doch gar nicht mit Gwenny befreundet? Habe ich den falschen Jungen angesprochen? Blamiere ich mich gerade völlig ohne Grund vor diesem Schönling? Ich war mir eigentlich total sicher, dass sie nebeneinander sitzen.

,,Ist das dein Ernst?"

,,Ja, ich bin komplett verwirrt."

,,Deine liebe 'Gwenny' heißt Gwendolyn und daher nenne ich sie Lynn. Das darf aber nur ich machen, also denk gar nicht erst daran sie so zu nennen!"

Fions Haltung wird immer gerader und er baut sich ganz vor mir auf. Verunsichert schaue ich auf meine Hände. Was wollte ich nochmal von ihm wissen? Ist mir diese Sache eine solche Blamage wert?

,,Wo kann ich sie denn finden? Ich würde gerne wissen, was der Kuss zu bedeuten hatte."

,,Wieso willst du das wissen? Fandest du den Kuss etwa so gut? Bist du in die verliebt und willst nach diesem Kuss mit ihr alt werden?"

,,Nein, was redest du denn für Quatsch? Ich will einfach wissen, wo sie ist und ob man den Kuss jetzt irgendwo im Internet sehen kann, weil es ein Prank war oder so. Mehr möchte ich nicht von ihr, wirklich. Das musst du mir glauben, Fion."

,,Tja, das geht dich aber nichts an, Helen."

,,Es geht mich wohl etwas an, schließlich waren meine Lippen involviert!"

Es ist vielleicht nicht schlau ihn genau hier anzuschreien, da uns unzählige Schüler hören können, aber ich kann nicht anders. Seine abweisende Art provoziert mich so sehr, dass ich einfach nicht ruhig bleiben kann. Fion rollt genervt mit den Augen und geht.

,,Ey, bleib hier! Ich will Antworten, verdammt."

,,Meine Güte! Dieses Gespräch ist aber beendet. Du bist ein erbärmlicher Mensch, der nach Aufmerksamkeit sucht. Das ist nicht auszuhalten! Ich bin froh, dass wir nichts mehr miteinander zu tun haben. Und wage es ja nicht, dich Lynn zu nähern, dann bringe ich dich um... das verspreche ich dir, Helen."

Wow, dieses Gespräch ist eindeutig anders verlaufen, als ich es erwartet hatte und ich bin keinen Schritt weiter gekommen. Ich werde mit Gwenny persönlich reden müssen. Hoffentlich sagt sie niemandem, dass ich sie zurück geküsst habe. Dann kann ich mich begraben gehen. Ich muss sie schnellstmöglich finden, bevor eben Videos die Runde machen und irgendwer davon erfährt. Gwenny wird das Material bestimmt für mich löschen.

HelenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt