Kapitel 7 Helen

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Das war doch ihre Stimme. Kommt sie etwa auch, um mich auszulachen? Ist Gwenny so? Eigentlich kenne ich sie nichtmal richtig. Wir haben zusammen Kunst und Geschichte und haben selten miteinander gesprochen. Dennoch teilen wir einen ziemlich intimen Moment, der mir zum Verhängnis werden wird. Ihre Lippen haben sich allerdings auch einfach zu gut angefühlt. Das Mädchen hockt sich neben mich in die kleine letzte Kabine. Sie sitzt nicht genau neben mir und sie berührt mich auch nicht. Ihr Rücken lehnt an der mir gegenüberliegenden Wand und sie schweigt. Ich kenne Gwenny nicht gut genug, aber eigentlich erlebe ich die eher als laut und fröhlich. Vielleicht hat sie das wegen mir verloren. Ich vergrabe mein Gesicht in meinen Händen und verstecke so weitere Tränen, die nicht kommen. Meine Augen brennen leicht, aber sie bleiben trocken. Mein Puls rast noch immer.

,,Hier, trink etwas. Das ist nur stilles Wasser, aber vielleicht hilft es."

Stumm ergreife ich die Flasche und dabei streifen sich unsere Finger flüchtig. Ich trinke einen Schluck und stelle die Flasche anschließend zwischen uns auf den Boden. Langsam richte ich mich auf und strecke mich, als ich stehe. Gwenny wartet einen kurzen Moment und erhebt sich dann auch. Sie ist gar nicht so viel kleiner als ich. Bestimmt reicht ihre Größe schon. Sollte ich sie mal Victor vorführen? Die richtigen Maße hat dieses Mädchen und hübsch ist sie auch.

,,Willst du drüber reden?"

Gwenny hebt ihre Flasche hoch und verstaut diese in ihrem Rucksack, danach liegt ihr aufmerksamer Blick wieder auf mir. Ist sie wohl sauer, weil jetzt alle denken, dass sie auf Mädchen steht? Oder wollte sie mit mir reden, warum ich sie geküsst habe? Eigentlich sollte ich sie deshalb zur Rede stellen, aber das war sicher ein Prank und mehr nicht. Gwenny hat ihre Lippen ja nichtmal bewegt, das habe nur ich getan.

,,Hast du es noch nicht gehört?"

,,Nein? Was soll ich denn gehört haben?"

,,Die ganze Schule redet darüber."

,,Worüber, Helen?"

,,Kannst du dafür sorgen, dass es gelöscht wird, bitte?? Dieses Video zerstört meine komplette Zukunft, Gwenny. Bitte."

,,Ich weiß nicht was du meinst, Helen. Ich würde dir gerne helfen, wirklich, aber ich weiß nicht wie."

Seitdem ich sie darauf hingewiesen habe, wie man meinen Namen richtig ausspricht, scheint Gwenny sich dabei besonders Mühe zu geben. Sie klingt sogar ehrlich verzweifelt, aber das glaube ich ihr einfach nicht. Es muss doch einen Plan gegeben haben. Niemand hätte es zufällig gefilmt, das weiß ich einfach. Gwenny sieht nur so harmlos aus mit den großen hellblauen Augen und dass sie mir hier hilft, ist sicher auch bloß Teil eines großen Planes. Gwenny sieht aus wie ein Engel, aber ist sicher keiner. Ich muss nur heraus finden, wieso sie das macht. Ist sie bei der anderen Agentur? Wie bekomme ich sie zum reden? Meine Augen konzentrieren sich wieder auf Gwenny und ich nehme dabei war, dass ihre Augen immer wieder tiefer und wieder hoch huschen. Schaut sie mir etwa auf meine Lippen? Um das zu überprüfen nutze ich den Trick, mit dem ich auch jeden noch so coolen Typ um den Finger gewickelt bekommen habe. Sie ist immerhin auch ein Mensch mit Bedürfnissen. Ganz langsam, ihre Reaktion dabei genau beobachtend, beiße ich mir auf meine Unterlippe, nicht allzu fest, aber gut sichtbar. Die hellblauen Augen von Gwenny huschen herunter. Scheinbar starrt sie darauf, ehe sie schluckt und ihren Blick ganz von mir abwendet. Sie ist also alles andere als immun gegen soetwas, interessant.

,,Nun, die reden darüber..."

Ich drücke sie gegen die geflieste Wand der letzten Kabine, in der wir noch immer nah bei einander stehen, und verriegele die Tür hinter mir, bevor ich die Lücke wieder ganz schließe. Ich möchte nicht, dass uns jemand so findet. Das könnte falsch verstanden werden. Gwenny keucht leicht gegen meine Lippen, als ihr Rücken die eiskalten Fliesen berührt. Eine Gänsehaut zeichnet sich auf der leicht gebräunten Haut ab. Meine Augen fahren über ihr bildschönes Gesicht und bleiben an ihren verführerischen, leicht geöffneten Lippen hängen. Sie schmeckte doch so gut. Ein kleiner Kuss wird doch sicherlich in Ordnung sein und nicht noch mehr zerstören. Es geht eh schon alles um mich herum in Flammen auf, dann kann ich einen kurzen Moment mit ihr auch meinen Spaß haben, besonders wenn sie mich schon so vorgeführt hat.

,,Was wird...?"

,,Pscht! Ich spreche."

Gwennys Augen sind aufgerissen und sie atmet unruhiger. Ich nehme meinen Finger von ihren weichen Lippen, auf die ich ihn gelegt hatte, damit sie leise ist. Das ist mein Spiel und mein Plan. Leicht lasse ich meine Finger über ihre Haut fahren und spiele mit einer Locke, die ich mir um die Hand wickle.

,,Sie reden darüber, dass solche Situationen zwischen uns normal sind und weißt du auch wieso?"

Gwenny schüttelt stumm ihren Kopf. Sie starrt mich einfach nur an. Grinsend setze ich noch einen oben drauf und streife mit meinen Lippen ihre rechte Wange. Ein leicht salziger Geschmack bereitet sich in meinem Mund aus. Hat sie vorher etwa auch geweint? Tut es ihr etwa leid, dass sie mich komplett ruiniert hat?

,,Sie denken das, weil du es nicht abstreiten kannst, dass du mich magst."

Mit diesen Worten verlasse ich die Kabine und lasse das Mädchen, dem scheinbar etwas an mir liegt, dort alleine und fassungslos stehen. Tja, wer sich mit mir anlegt, muss mit Rache und einem Kampf mit allen noch so unschönen Mitteln rechnen, sie hat schließlich damit angefangen.

HelenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt