Kapitel 6

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,,Es ist schon Dienstag und es ist nichts spannendes passiert! Ich sterbe noch vor Langeweile, Fion. Es soll endlich etwas passieren."

Der Junge blickt von seinen Händen hoch und scannt den Flur ab. Sucht  er jemanden? Hat er mir überhaupt zugehört? Empört haue ich ihm gegen die Brust. Er stöhnt danach leise, der Schlag war wohl doch etwas schmerzhaft, egal das hatte er jetzt verdient.

,,Hörst du mir überhaupt zu? Und warst du wieder so viel trainieren, dass dir alles weh tut? Das ist nicht gesund und überhaupt, warum machst du das?"

,,Mädchen stehen drauf."

,,Also ich nicht, ich fand dich als schlaksigen Tollpatsch viel attraktiver, weil man dich noch einordnen konnte. Jetzt siehst du so aus, als hättest du eine Beziehung mit deinem Fitnessstudio."

,,Das stimmt gar nicht. Ich bin wohl trainiert und alle außer du fahren voll auf mich ab, auch deine liebe Helen. Ihr sind fast die Augen raus gefallen, als wir gesprochen haben, Lynn. Helen ist absolut nichts besonderes."

,,Was?"

Überrascht bleibe ich im Flur stehen und starre ihn an. Wann hat Fion mit ihr gesprochen  und worum ging es dabei? Hat Helen ihn etwa angemacht? Sie steht also auf meinen besten Freund? Gegen ihn habe ich keine Chance, nicht mal eine ganz kleine. Die Enttäuschung schwappt so plötzlich über mir zusammen, dass sich Tränen in meinen Augen sammeln. Nach jeder zurückschmetternden Niederlage im Kampf um ihr Herz war ich nicht so verletzt wie jetzt gerade. Dabei hat sie  mich doch auch geküsst. Sicher, es hat ihr nichts bedeutet, weshalb sie sich auch nicht gemeldet hat, aber sie war nicht ganz untätig. War das nur ein Spiel von ihr?

,,Geh... geh du... geh du vor. Ich... Ich komme nach."

Hastig drehe ich mich um, lasse Fion stehen und versuche die Tränen so lange zu unterdrücken bis ich hinter der schützenden Tür der Biologiesammmung verschwunden bin. Hier können nur Lehrer und wenige Vertrauensschüler rein, darum ist es besser hier einen Nervenzusammenbruch zu haben als auf der Mädchentoilette. Dort können dich noch immer viel zu viele gehässige Personen sehen, die Freude an deinem Leid haben. Ich atme hektisch und stütze mich auf einem Tisch ab. Mein Brustkorb fühlt sich schwer und träge an, obwohl er sich unfassbar schnell für meine Verhältnisse hebt und senkt. Einzelne Tränen kullern über meine Wangen und jede einzelne wische ich energisch weg. Ich bin genervt, von mir selbst, weil ich so eine Heulsuse bin, von Fion, weil er wohl genau ihr Typ ist und ich nicht. Ich bin so erbärmlich. Jeden Tag schwöre ich mir aufs neue, dass sie mir egal werden soll und ich den Tag über nicht an sie denken will. Kaum bin ich hier, prasseln massig Eindrücke auf mich ein und ich sehe wieder nur die, die mit Helen zu tun haben. Es ist zum verrückt werden, dass ich mir immer wieder meine Hoffnung nehmen lasse! Und das immer nur von ihr, ich sollte doch allmählich dazu gelernt haben. Ich habe auch gar keine Berechtigung dafür, dass ich jetzt sauer auf Fion bin. Er will ganz sicher nicht mal ihr Typ sein, aber er ist es. Niemand kann etwas dafür, wenn sich ein anderer in einen verliebt. Es ist nicht seine Schuld und ich sollte deshalb über sie weg kommen. Keuchend richte ich mich wieder auf und beruhige meine Atmung langsam, dabei versiegen endlich meine Tränen.

,,Sie mag Fion, nicht mich. Fion, nicht mich. Ach verdammt!"

Wütend schlage ich auf den nahestehenden Tisch, sodass das helle klirren von vibrierendem Glas die Stille zerschneidet. Kurz möchte ich eines der Gefäße nehmen und gegen eine der Wände werfen, aber dann bin ich die längste Zeit Vertrauensschülerin gewesen und eigentlich möchte ich es noch länger bleiben. Ich fahre mir durch meine Haare, sodass nun die Locken bestimmt wieder so viel Volumen angenommen haben, dass sie wild von meinem Kopf stehen müssen. Das Desaster werde ich wohl oder übel auf dem Mädchenklo beheben dürfen, super. Ich gehe noch eine Runde um das Regal mit den Biologiebüchern und den Tisch mit den Glaskolben. Immerhin habe ich mich soweit beruhigt, dass ich nicht mehr weinen muss, sobald mich jemand komisch anschaut.

,,Auf in den Kampf."

Entschlossen drücke ich die Klinke herunter und lasse die Tür hinter mir ins Schloss fallen, während ich erhobenen Hauptes und mit geradem Rücken durch die Gänge zur Mädchentoilette schlendere. Etliche Blicke liegen auf mir und getuschelt wird auch, aber die suchen schließlich auch immer etwas über das sie reden können und heute bin es dann wohl ich. Seufzend öffne ich die schwere rote Tür und werde von Stille und dem Geruch von einer Mischung von mindestens 7 Perfüms begrüßt. Man sollte denken, dass das immer gekippte Fenster für Frischluft sorgen kann, das kann es aber nicht, gar nicht. Die dicke Luft bleibt viel zu lange und intensiv hier drinnen. Bevor ich mich dem Spiegel zuwenden kann, höre ich ein herzzerreißendes Schluchzen. Sofort werden die Vertrauensschülerqualitäten in mir geweckt und ich fühle mich bereit, der Person zu helfen. Vielleicht geht es mir besser, wenn ich heute eine gute Tat machen kann und mich nicht mehr ganz so unnütz finde, weil Helen mich nicht mal beachtet seit unserem Kuss.

,,Hallo? Wer ist da? Ich komme jetzt zu dir."

HelenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt