Kapitel 23
Für Kevin war das Aufwachen aus der Betäubung ein gutes Gefühl, so als würde er eine einengende Hülle abwerfen und endlich wieder frei sein. Gefühlt hatte er eine halbe Ewigkeit einfach nur dagelegen, als der Schmerz endlich verblasst war und er wieder seinen Verstand auf andere Dinge lenken konnte.
Und als erstes war ihm da erneut der Verrat seiner Eltern in den Sinn gekommen. Eine Welle heißer Wut war durch seinen Geist gespült. Wie hatten sie ihm das nur antun können? Nach allem was geschehen war hatte er ihnen wieder vertraut und sie hatten es auf eine derart schändige Weise ausgenutzt und ihn hintergangen. Seinen Peinigern vertrauen… ein dummer Fehler, den er begangen hatte wie sich jetzt herausstellte. Wie hatte er auch nur so blöd sein können und erneut Vertrauen fassen können zu Menschen, die ihn gefoltert und eingesperrt hatten? Das waren garantiert nicht seine Eltern, diese Titel verdienten sie nicht. Und Kevin verspürte nichts als Hass und Zorn, wenn er an Albert und Louise dachte.
Tief in seinem Inneren brodelte es und er hatte den Drang seinen ‚Eltern‘ weh zu tun. Sie bezahlen zu lassen für das was sie ihm angetan hatten, jetzt und in der Vergangenheit. Sie verdienten es, da gab es keine Zweifel. Damals war er klein und wehrlos gewesen, das war er jetzt nicht mehr. Er hatte sich entwickelt und er war reifer geworden. Und er hatte die nötige Macht seinen Willen durchzusetzen.
Kevin wusste es würde sich gut anfühlen seine Eltern unter seinen Willen zu zwingen. Er würde es genießen und ihnen regelrecht unter die Nase reiben. Er würde ihnen zeigen, wer jetzt am längeren Hebel saß. Ein Gefühl der Vorfreude machte sich in ihm breit und tiefe Zufriedenheit legte sich bei diesen Gedanken über ihn.Dann begann er den Mantel der Bewegungslosigkeit endlich zu durchbrechen und öffnete schwerfällig seine Augenlider. Über sich befand sich eine helle Decke und in seinem Rücken spürte er jetzt die weichen Sofapolster. Sie hatten es also nicht einmal für nötig gehalten ihn nach den Untersuchungen und Tests in sein Zimmer zu bringen. Das war entweder sehr rücksichtlos und dumm oder zumindest ein Anflug von Reue oder Wiedergutmachung, indem sie ihn in der Nähe behielten. Kevin entschied, dass es nur Ersteres sein konnte. Er traute Albert und Louise einfach nicht zu das sie bereuten, was sie taten. Denn dann würden sie ja aus ihren Fehlern lernen und ihn endlich in Ruhe lassen. Was sie aber ganz offensichtlich nicht taten.
Auch wenn es eine Zeit lang gutgegangen war und er die Hoffnung gehabt hatte, dass sein Leben doch noch normal verlaufen könnte, wenn er die Ereignisse im Labor aus seinem Kopf verbannte und sie hinter einer verrammelten Tür wegsperrte. Jetzt stand diese Tür sperrangelweit offen und die Erinnerungen an Schmerz, Leid und Angst fluteten seinen Geist wie eine Sturmflut aus Emotionen. All die verdrängten Gefühle, der Hass, die Wut, der Wunsch nach Rache waren wieder so präsent wie noch vor ein paar Monaten. Bis er beschlossen hatte seinen Eltern eine zweite Chance zu geben. Er hätte sich am liebsten dafür schlagen können, dafür dass er so naiv und dumm gewesen war und gedacht hatte, sie könnten sich ändern. Dass er gedacht hatte sie würden ihn lieben.Kevin löste langsam die Taubheit aus seinen Gliedern und begann Finger und Arme vorsichtig zu bewegen, bis sein Körper wieder voll funktionsfähig war. Er richtete sich mühsam auf und hatte das Gefühl seine Arme würden Tonnen wiegen. Außerdem spürte er jetzt doch leichte Kopfschmerzen. Vermutlich eine Nachwirkung der Betäubungsmittel, die er bisher nicht bemerkt hatte, denn jetzt durch die Bewegung schien sich der Schwindel und der Kopfschmerz zu verstärken.
Uff, er fühlte sich wie als sei er aus einem jahrelangen Schlaf erwacht, nur dass er die ganze Zeit wach gewesen war und den kompletten Schmerz ungehemmt abbekommen hatte. Kevin fuhr sich mit der Hand durch die Haare und hielt inne als er eine frische Einstichstelle erfühlte. Seine Haare hatten sie ihm dieses Mal jedoch nicht kurz geschoren. Das wäre ja noch schöner gewesen, er hatte sich in der Schule total zum Affen gemacht und sicher hätte es unangenehme Fragen zu den Narben auf seinem Kopf gegeben. Zudem pulsierte die frische Stichwunde leicht und der Junge tastete den weitern Kopf ab. Er fand noch zwei weitere kleine Beulen wo seine Eltern ihm eine Nadel in den Kopf gestochen hatten um ihn etwas zu injizieren oder eine Probe zu entnehmen.
Außerdem war Kevin sich sicher, dass Albert ihm auch erneut einer Elektromyografie unterzogen hatte, die Abdrücke der Elektroden waren noch zu spüren, auch wenn die zwischen den ganzen Haaren sicher nicht so gut gehalten hatten.
Kam es ihm einfach nur so vor oder war alles sehr überstürzt und unorganisiert gewesen? Die analytische Wissenschaft fehlten diese Taten, das wusste Kevin, immerhin hatte er oft genug am eigenen Leib erfahren wie so etwas ablief.Als nächstes untersuchte er seine Armbeuge, und auch hier fand er eine gerötete Stelle, also hatten sie ihm auch Blut abgenommen. Nur wozu das alles? Das hatte er damals schon nicht verstanden, die Aussage das es zu seinem besten sei, machte keinen Sinn. Jemandem Schmerzen zuzufügen und ihn zu quälen, war nicht die Definition von ‚das Beste‘, die er kannte. Und erklären hatte es ihm auch niemand wollen.
Aber dafür wäre es jetzt sowieso zu spät. Er würde sich keine weiteren Lügen und Heucheleien der beiden Menschen anhören, mit denen er hier zusammenlebte.Kevin schwang die Beine über die Sofakante und drückte sich mit Hilfe der Lehne hoch. Er war noch etwas wackelig auf den Beinen und er spürte leichten Schwindel. Die Welt vor seinen Augen drehte sich im Kreis, also wartete er bis er sich sicher war, dass er ohne Hilfe des Sofas stehen konnte und auch wieder laufen konnte ohne direkt wieder Bekanntschaft mit dem harten Fußboden zu machen, dann ließ er das Sofa los und tappte langsam Richtung Küche. Hier würde er ganz sicher seine Eltern finden, denn die Küche wurde immer mal wieder gerne zum Labor umfunktioniert. Das wusste Kevin schon von den wenigen Ausnahmen, wenn seine Eltern Teile ihrer Arbeit mit nach Hause brachten. Dann sah es auf der Arbeitsplatte und auf dem Küchentisch aus wie auf einem chemischen Schlachtfeld. Überall Reagenzgläser, Bücher und Diagramme mit seltsamen Zahlen und Messwerten, die er nicht verstand.
Kevin betrat den Raum und er hatte Recht behalten, Albert und Louise hatten sich über ihre Aufzeichnungen gebeugt und standen mit dem Rücken zu ihm. Sie vergleichen und diskutierten irgendwelche Werte auf den zetteln mit den Messwerten und Statistiken und bemerkten Kevin erst als er sich räusperte und auf sich aufmerksam machte.Louise drehte sich um. „Kevin mein Schatz, wie geht es dir?“ Sie hatte einen fürsorglichen Ton aufgesetzt und beugte sich zu ihm herunter, doch Kevins Gesichtsausdruck blieb unverändert, kalt und hart.
„Ich hatte Schmerzen, die ganze Zeit“, brach es auf einmal aus ihm heraus und er brüllte seine Eltern an und schlug gleichzeitig die Hand seiner Mutter weg, die sie versucht hatte an seine Wange zu legen.
Louise sah kurz geschockt aus, dann standen ihr fast die Tränen in den Augen, der emotionslose Ausdruck und die Wut ihres Sohnes trafen sie mitten ins Herz „Das war keine Absicht, wir haben dir extra Betäubungsmittel gegeben damit du nichts spürst.“
„Lüg mich nicht an. Ich hab es gespürt, und ich kenne Betäubungsmittel und deren Wirkung noch sehr gut … Warum wolltest du das ich Schmerzen habe?“, fauchte Kevin ungehalten, der Zorn loderte regelrecht in seinem Inneren.
Louise schluckte und erste Tränen liefen über ihre Wange „Das wollte ich nicht. Wirklich. Es tut mir leid, Schatz.“ Die Worte ihres Sohnes waren schlimmer als ein Schlag ins Gesicht, es tat ihr weh, wenn sie hörte, wie sehr er sie verachtete und das er dachte sie könnte ihm absichtlich Schmerz zufügen wollen.„Es muss an der Anomalie und dem Virus in seinem Kopf liegen, sie verändern seine Hirnchemie und somit vermutlich auch seine Reaktion auf den Betäubungsstoff.“, versuchte Albert einen Erklärungsversuch und wurde von Kevin nur mit einem mörderischen Blick erdolcht.
„Halt den Mund, Dad“, sagte er bedrohlich leise und mit leicht gehobenem Kinn. Er war sich seiner Machtposition in diesem Moment durchaus bewusst und jetzt würde er sie endlich ausspielen und das nutzen was ihm das Leben zur Verfügung gestellt hatte. Diese Fähigkeiten waren ihm gegeben um sie zu nutzen und nicht um in einer dunklen Ecke seines Bewusstseins zu versauern.
Seine Eltern waren grausame Menschen und jetzt würde sie sehen wie es war, wenn man in Gefangenschaft lebte und Dinge mit einem geschahen, die man nicht wollte, und man sich nicht dagegen wehren konnte. Er würde ihnen zeigen wie sich Hilflosigkeit anfühle. Er würde ihnen zeigen was Angst war, Angst vor Schmerz und Angst vor der Ungewissheit.„Mom, du wirst jetzt kochen. Schokopudding“, kommandierte Kevin, „Dad, meine Mathe Hausaufgaben müssen noch gemacht werden. Erledige sie und leg mir die Ergebnisse auf den Schreibtisch“ Kevin grinste zufrieden als seine Eltern gingen um seine Forderungen zu erfüllen. Es war so ein gutes Gefühl, die Macht war praktisch fühlbar.
Er würde langsam und harmlos anfangen, und dann würde er ihnen schon zeigen zu was er fähig war. Sollten sie sich doch jetzt ruhig noch in Sicherheit wiegen. Das war erst der Anfang, eine winzige Demonstration der zukünftigen Verhältnisse. Albert und Louise würden nichts mehr ohne seine Erlaubnis tun. Nie wieder! Sie würden leiden, wie er gelitten hatte.
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~~ Rise~~ [Kilgrave FF (Marvel's Jessica Jones)]
FanfictionBevor er zu Kilgrave wurde war Kevin ein ganz normaler Junge, sah man einmal von der Krankheit ab, die sein Leben bedrohte. Seine Eltern, zwei Wissenschaftler suchten nach Heilung für ihren Sohn, doch was sie schufen war ein Monster.