Should i tell, or should i go?

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Kapitel 29

Die Kellertür flog mit einem ‚Rums' zu, dann wenige Minuten später hörte Albert auch die Haustür, die zugezogen wurde. Kevin war auf dem Weg zur Schule.
Der Zehnjährige genoss die Stille auf seinem Schulweg. Ganz gemütlich lief er den gewohnten Weg entlang und ließ sich Zeit, er war früh genug losgegangen und musste sich nicht beeilen.
Seine Eltern hatte er sicher im Keller ‚geparkt', da musste er sich also auch keine Sorgen machen und eine tiefe Zufriedenheit erfüllte Kevin.
Das änderte sich als er bereits auf halber Strecke die ersten Mitschüler hinter sich entdeckte, als er sich umsah um die Straßenseite zu wechseln und seine Laune in Sekundenschnelle ins Negative kippte. Einer davon war Elliot, der andere sein bester Kumpel Damon.

„Hey, Kev" rief Elliot und Kevin drehte sich zu dem Rufenden um und blieb tatsächlich stehen um auf seine Mitschüler zu warten, nur sahen diese nicht das diabolische Grinsen, welches auf Kevins Gesicht getreten war.
„Hey Jungs" grüßte er wenig enthusiastisch und gab seinen ‚Freunden' gar keine Gelegenheit weitere Konversation zu betreiben. „Halt die Klappe Elliot, und", mit einem Blick zu Damon ergänzte Kevin seinen Satz noch, „und wenn Damon seinen Mund aufmacht, bring ihn gefälligst zum Schweigen."

Kevin war nicht nach reden zu Mute. So gar nicht. Und natürlich würden seine Freunde ihm munter von ihrem Morgen und den tollen Erlebnissen von gestern Nachmittag erzählen. Kevin stöhnte innerlich, er wollte es nicht hören. Es interessierte ihn null, womit andere ihre Zeit verschwendeten. Es hatte keinen Einfluss auf ihn und es war furchtbar langweilig, außerdem war er gerade jetzt, wo er so schön seine Ruhe gehabt hatte, nicht in der Stimmung Interesse und Bewunderung vorzuheucheln.

Amüsant wurde es als nach ein paar Sekunden Damon den Mund zum Atmen öffnete und er direkt von Elliot auf den Oberarm geboxt wurde. Kevin ließ sich etwas hinter sie zurückfallen und genoss die regelmäßigen Schläge, die Damon kassierte, bis er begriff, dass es viel sinnvoller war einfach durch die Nase zu atmen oder die Luft anzuhalten. Einen Moment überlegte Kevin, ob das gerecht war oder es moralisch vertretbar war, bis ihm klar wurde, dass es ihn gar nicht interessierte was er durfte und was nicht. Es zählte nur was er wollte.

Und so konnte Kevin zumindest den Rest des Schulweges noch genießen und musste sich keine Gedanken machen.
Als er dann schließlich durch das Eingangsportal des Schulgebäudes trat, schwappte ihm praktisch das Geschnatter der anderen Schüler entgegen und er bahnte sich seinen Weg zu seinem Klassenraum.
„Hau ab" zischte Kevin einen kleineren Jungen an, der ihm im Weg stand und sich munter mit ein paar Freunden über die neuste Fernsehserie unterhielt. Nun sprang der andere Schüler aus dem Weg und ließ Kevin passieren.
„Hey, was soll das?", fragte Lucas überrascht und sah seinen Freund skeptisch von der Seite an.
„Spaß."

Lucas schüttelte nur den Kopf, dann konzentrierte er sich wieder darauf möglichst unfallfrei und ohne Rempeln den Weg zum Klassenraum zu finden. Über das seltsame Verhalten seines Freundes wollte er sich im Moment nicht auch noch Gedanken machen. Obwohl es schon sehr auffällig war wie deutlich sich Kevin in den letzten Tagen verändert hatte.
Er hatte sich von einem ruhigen, zurückhaltenden Jungen zu einem ziemlich rücksichtslosen Draufgänger entwickelt. Dabei schienen alle irgendwie Angst vor ihm zu haben und genau das zu tun, was er verlangte. Das war unmöglich normal und es musste etwas geben das diese charakterliche Entwicklung verursacht hatte.

Lucas beschloss, dass es wohl das beste war, wenn er einmal unter vier Augen mit seinem besten Freund darüber sprach. Vielleicht hatte er ja ein Problem und braucht Hilfe? Oder nur ein offenes Ohr?
Er konnte Kevin bestimmt irgendwie helfen. Denn ihm gegenüber verhielt er sich als einziger noch normal und nicht wie ein idiotischer Arsch. Zu ihm war er weiterhin freundlich, zuvorkommend und kameradschaftlich, während er ansonsten neuerdings jeden von oben herab behandelte und es ihn nicht störte, das er kalt und herrisch wirkte und keiner ihn mehr leiden konnte. Und was besonders ungewöhnlich war, Kevin schien auch noch Spaß daran zu finden seine Klassenkameraden und Freunde, sowie auch jede andere Person in seinem Umfeld zu demütigen und herumzukommandieren.

Er war zu einer wirklich unangenehmen Person geworden. Etwas das Lucas nicht unterstützte, aber immerhin traf es eigentlich fast immer die richtigen und es kam nur in Ausnahmen vor das Kevin wirklich Unschuldige anschnauzte. Der Junge, den er vorhin so angefahren hatte, war in seiner Klasse als Perversling und Sohn eines ehemaligen Kriminellen bekannt und keinen von den Älteren kümmerte es wirklich, da es sie nichts anging und sie fürchteten, von dem Vater des Jungen eine Tracht Prügel zu bekommen.
Und dennoch fand Lucas Kevins Entwicklung beunruhigend. Es war als sei sein Freund ein völlig neuer Mensch geworden, der nur ein paar Vorlieben übernommen hatte, aber ansonsten seine kompletten Moralvorstellungen gewandelt hatte. Früher hätte Kevin niemals jemanden auf diese Art angegriffen, sondern wäre der Konfrontation einfach aus dem Weg gegangen. Kevin war der Klügere gewesen, der nachgegeben hatte.

Lucas konnte sich allerdings ohne groß zu überlegen eingestehen, dass ihm der alte Kevin besser gefallen hatte. Auch wenn er ihm gegenüber bisher noch keine Veränderung zeigte, wer versprach ihm, dass Kevin nicht auch zu ihm irgendwann seine ‚dunkle', unfreundliche Seite herauskehrte? Lucas wollte den Gleichaltrigen nicht verlieren, er hatte Kevin sehr gern, da dieser ein wirklich guter und vertrauter Freund geworden war.

Kevin hingegen ließ sich mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck auf seinen Platz im Klassenzimmer fallen und genoss die Ruhe des Unterrichts, wo er in seinen Gedanken versinken konnte und keiner ihn unnötig störte. Die Lehrer hatten inzwischen eingesehen, dass es keinen Sinn hatte ihn mit Unterrichtsinhalten zu konfrontieren, auf die Kevin keine Lust hatte. Es führte lediglich zu unnötigen Diskussionen, in denen der Schüler zum Ärgernis der Lehrer sogar manchmal die Oberhand hatte.

Und für Kevin gab es wieder eine wichtige Frage mit der er sich beschäftigen musste: Sollte er Lucas von seinen Fähigkeiten erzählen?
Natürlich war der blonde Mitschüler sein bester Freund und engster Vertrauter, der immer zu ihm stand und ihn unterstützte. Aber war Lucas bereit es zu erfahren? Oder war es zu viel für seinen Freund? Kevin wollte Lucas nicht verlieren und schon gar nicht ihm Angst machen oder ihn von sich stoßen wie die anderen Schüler. Und wie würde Lucas reagieren? Wäre es für alle Beteiligten besser, wenn er schwieg?
Andererseits wollte Kevin dieses Geheimnis mit seinem Freund teilen. Sie sollten keine Geheimnisse vor einander haben. Und es wäre auch schön, wenn er endlich jemandem anvertrauen konnte. Bei seinen Eltern konnte er das unmöglich, das hatte er schon vor geraumer Zeit erkannt.

Kevins Blick wanderte unauffällig zur Seite und der braunhaarige Junge musterte seinen Sitznachbarn, der gebannt lauschte, was die Lehrerin erklärte.
Also würde er es ihm sagen? Kevin überlegte. Er musste es sich eindeutig noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Diese Entscheidung würde schwerwiegende Folgen für ihn, Lucas und ihre Beziehung haben. Nichts worüber man leichtfertig und aus einer Laune heraus beurteilen sollte.
Diese Offenbarung würde das Leben von ihnen BEIDEN auf den Kopf stellen. Und was einmal gesagt war, konnte man nicht einfach wieder zurücknehmen.

Für Kevins Geschmack war die Unterrichtsstunde und somit seine Bedenkzeit viel zu schnell beendet und es läutete zur Pause.
Lucas, der sich die ganze Stunde gefühlt hatte, als sitze er neben einem Geist, stieß seinen Freund energisch an und hatte Kevin damit an seinem anscheinend furchtbar spannenden Gedanken.
„Worüber denkst du nach?" versuchte der Blonde die Ursache zu erfahren aus der heraus er die ganze Zeit ignoriert wurde und die Partnerarbeit einfach allein gemacht hatte.
„Hmmm", machte Kevin und sah seinen Freund an. Dieser merkte selbst, dass Kevin noch nicht wieder ganz in der Gegenwart angekommen war und so wiederholte er seine Frage noch einmal.
Nun reagierte Kevin schon mit Interesse und Wachsamkeit, eine wage Antwort war jedoch alles was Lucas bekam.
Pah, die Aussage ‚über Dinge' war einfach keine befriedigende Erklärung für 60 Minuten Abwesenheit und leer vor sich hinstarren. Lucas schnaubte entrüstet, stellte das Gespräch allerdings dann ein, weil es in seinen Augen keinen Sinn hatte und um selbst ein wenig in Gedanken zu versinken.

Was konnte er gegen Kevins ständige geistige Abwesenheit tun? Zuerst einmal sollte er die Ursache herausfinden um effektiv dagegen vorgehen zu können.
War es vielleicht wegen einem Mädchen? Das hatte er jetzt schon öfters bei etwas älteren Freunden aus seinem Fußball Verein beobachten können. Verliebte konnten furchtbar anstrengend sein und sich extrem seltsam verhalten. Ob das Kevins Problem war?
Er war eher einer der Jungen, die sich bisher nicht so sehr für Mädchen interessiert, aber man konnte nie wissen. Dachte Kevin vielleicht darüber nach wie er seiner Angebeteten die Liebe gestehen sollte? Allerdings wäre es schon ziemlich abwegig. Kevin machte nicht den Eindruck als sei er verliebt. Dazu fehlte noch der verträumte Blick.
Aber Liebe war auf jeden Fall auch kein Grund den besten Freund vollständig zu ignorieren; zumindest in Lucas Augen. Auch machte es ihn wütend, dass Kevin nicht mit ihm darüber sprach. Sie erzählten sich doch sonst alles und als bester Freund konnte er ja vielleicht sogar einen Rat geben oder anderweitig helfen. Dafür waren Freunde doch da!
Echter Ärger und Wut stiegen in Lucas auf und er erhöhte sein Schritttempo, um seinen Freund wieder einzuholen. Denn während des Nachdenkens war er ein wenig hinter Kevin zurückgefallen, was dieser nicht einmal bemerkt zu haben schien.
Sauer griff Lucas nach Kevins Arm und hielt seinen Freund fest. Sie hatten Pause, es gab keinen Grund über das Schulgelände zu hetzen wie die Irren.

„Warte doch mal!", rief Lucas, Kevin drehte sich um und hatte im ersten Moment den Instinkt Lucas Hand um seinen Arm abzuschütteln. Zum Glück setze sein Verstand früh genug ein und stattdessen blieb Kevin tatsächlich stehen und wandte sich zu seinem Freund zu.
Und in diesem Moment, in dem Kevin den Ärger in Lucas Augen aufblitzen sah, fällte er eine Entscheidung.
‚Ja'
Die Antwort auf die Frage, die ihn schon den ganzen Tag beschäftigte war eindeutig. Aber sollte er es jetzt schon tun oder lieben einen geeigneten Moment abwarten? Doch wann war ‚der perfekte Moment'? Es gab immer einen Grund oder eine Ausrede es nicht zu tun.
‚Aber es ist mir wichtig, dass Lucas es erfährt und nichts mehr zwischen uns steht', dachte Kevin, ‚Mein Geheimnis soll nicht unsere Freundschaft zerstören.'
Ich werde es ihm Morgen sagen, fasste Kevin den Entschluss.
Morgen, ja morgen würde er es Lucas sagen. Diese Entscheidung brannte sich fest in seinen Kopf.

~~ Rise~~ [Kilgrave FF (Marvel's Jessica Jones)]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt