Kapitel 8 - Ab zum Nest

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Ich riss den Kopf weg.

"Scheiße, Jason! Was tust du hier?!", wisperte ich.

"Shh", er legte den Finger auf seine Lippe und deutete mir daraufhin, ihm zur Terrasse zu folgen. Ich schüttelte den Kopf.

"Sie sind wach, sie kommen jeden Moment runter. Folge mir!", flüsterte er energisch.

Ich griff nach seiner Hand, die er mir ausstreckte und wir flüchteten auf die Terrasse. Ich spähte ins Wohnzimmer, in dem meine Eltern gerade erschienen. Hörte sie untereinander reden.

"Gott, John. Ich dachte, Joey wäre hier."

"Wie kommst du darauf?", mein Vater nahm einer der Vermisstenanzeigen in die Hand und blickte es traurig an.

"Ich habe es einfach gespürt", Tränen sammelten sich in ihren Augen und mein Vater nahm sie in den Arm. 

Ich, die sich hinter der Fassade versteckte, begann bitterlich zu wimmern. 

"Alles lässt sich mit einem Toast Nutella gerade biegen", sprach mein Vater zu ihr. Hand in Hand verschwanden sie in die Küche. Seinen Satz kannte ich allzu gut. Und es hatte mir immer geholfen. 

Ich wollte ihnen gerade folgen, als Jason sich mir in den Weg stellte und mich gegen die Fassade presste. Sein ganzer Körper drückte meinen an die Wand und ich sah ihn wütend an.

"Lass mich gehen!", sprach ich heiser.

"Kannst du knicken."

"Jason, ich-"

"Ich weiß, du bist verletzt. Und in spätestens ein paar Stunden, das erste Mal nach dem Go-Out wirst du dich fragen: Warum ich, warum das alles und wohin führt es?, aber jetzt ist für so ein Geschwafel keine Zeit."

"Die einzige Frage, die ich mir momentan stelle, ist: Was tust du bitte hier bei mir?!", ich zog sauer die Augenbrauen zusammen und wartete auf eine angemessene Antwort.

"Ich habe dich beobachtet, Johanna-"

"Joey!"

"Meinetwegen. Ich habe dich gesehen. Du bist noch viel zu weich. Viel zu gefühlvoll. Das wird uns noch alle in den Abgrund ziehen. Ich bin dafür zuständig, das zu verhindern."

"Nein, danke. Ich kriege das schon alleine hin", ich schränkte die Arme ein. Was mir schwer fiel, da sein Körper an meinem angelehnt war.

Er musterte mich kurz. Dann senkte sich sein Blick auf meine Lippen und ohne weiter zu zögern, drückte er seine Lippen auf meine. 

Ich war völlig aus dem Wind.

Ich schlug ihm ins Gesicht und hörte mit, wie meine Handinnenfläche auf seiner Wange ein laut klatschendes Geräusch von sich gab. Er riss die Augen auf und zerrte mich von der Ecke weg. Wir rannten über die Straße und zogen von Gasse zu Gasse. Bis wir anhielten und wie wild keuchten.

"Scheiße, Jason, was sollte das?!", ich stütze die Arme auf den Knien ab.

"Was meinst du?", er kam auf mich zu, aber ich streckte den Arm aus, um eine Distanz zu wahren. Er schlug die Hand weg, sodass sie in die Luft geschleudert wurde, ehe ich sie zu mir zog und die Hände zu Fäusten ballte. Er machte einen Schritt auf mich zu. 

"Wieso hast du mich geküsst?!", fauchte ich ihn an.

"Weil ich das wollte."

"Nein! Einfach nein! Du kannst das nicht machen...das kannst du nicht bringen!"

"Joey", knurrte er, willig, weiter auf mich zuzulaufen, als ein lautes Motorgeräusch sich uns näherte. Driftend, auffällig und ohne Fahrer.

Lucy! 

Ich entfloh ihm, die Autotür ging von alleine auf, als ich auf den Wagen zu rannte. Wahrscheinlich war der Wagen ebenfalls daraus vorbereitet, dass es drängen musste, wenn das Objekt sich im schnellen Tempo darauf bewegte. 

Mit offenem Mund sah mir Jason hinterher, als ich hinein sprang und das Auto los sprang Richtung Nest. 

"Danke Lucy. Ich sehe es jetzt schon. Du wirst mich aus ziemlich vielen Situationen retten."

"Nicht dafür. War das Jason?"

"Ja, das war er. Woher-"

"Ich habe ein gutes Gehör. Und hinzu kommt, dass ich euch alle orten kann. Das bedeutet wenn du als einzige einen Maserati nutzt, bist du klar im Vorteil."

"Ich will nicht irgendeinen Maserati benutzen, ich bleibe bei dem hier."

"Danke.  Das hieße sonst, du hättest einen anderen Assistenten. Ich will ja nicht emotional sein, aber ich wäre schon etwas angeknackst, wenn das so wäre."

"Mach dir keine Sorgen. Ich finde dich cool. Kannst du für mich übernehmen?"

"Lehn dich einfach zurück."

Ich schloss kurz die Augen. Meine Atmung war immer noch schnell.

"Ich scanne einen hohen Puls. Alles in Ordnung? Hast du Schmerzen?"

"Nein. Ich...ich bin nervös."

"Ich bin eine gute Zuhörerin."

"Es ist wegen Jason."

"Und dennoch bin ich ein Roboter. Trotzdem denke ich es geht um Gefühle?"

"Nein. Ja. Keine Ahnung", antwortete ich viel zu schnell, "Ich will keine Gefühle. Alles nur nicht das. Es ist wie, als würde er mich damit umzingeln."

"Dann setz ein Zeichen. Immer klar deutlich machen, was man will, zeugt von einem starken Charakter."

"Habe ich ja. Aber er ist besessen oder so."

"Besessen nach dir oder besessen nach dem Gefühl?"

"Wow, nicht schlecht, sister. Da ist definitiv was dran. Der hat ja mindestens Monate lang kein...Sex gehabt. Oh, Gott. Das sage ich zu einem...Roboter."

"Alles cool. Du weißt, ich bin für dich da", Lucy parkte den Wagen im Parkhaus. Alle Autos standen schon da. Außer das von Jason. Ich stieg müde aus, die Tür schloss sich, nachdem Lucy mich mit den Worten, "bis zum nächsten Mal sister", verabschiedete. 

Der Moment wenn du die größte Zuneigung für einem Roboter pflegst.

Ich eilte zur Tür, während ich auf den Knopf drückte, der die Uhr vor meinen Augen projizierte. Ich hatte noch drei Minuten.

Wo zur Hölle ist er?!

Wir standen im Knotenpunkt des unterirdischen Nestes, Yang hielt Linas Hand und sie sahen mich skeptisch an, als sie merkten, dass ich alleine kam. Ich zuckte mit den Schultern.

Carter erschien. 

Zwei Minuten.

Er wartete auf den letzten. Sah noch einmal auf die Uhr.

Eine Minute.

Ich begann zu schwitzen, konnte mir aber nicht genau erklären warum genau. Auf einer Seite, weil ich nicht wusste, was passieren würde, wenn man die Regeln missachten würde. Auf der anderen Seite, weil ich es mir nicht erlauben konnte, dass man ihn abknallte. Denn das hieße, dass ich für die Erledigung meiner Gegner vollkommen alleine dastehen würde.

"So", Carter klatschte in die Hände. In dem Moment flitzte Jason den Flur entlang und stellte sich neben mich auf, "Glück gehabt, Finisher."

Mein Herz beruhigte sich sofort. Ich spähte zu ihm herüber, doch Jasons Blick war alles andere als erfreulich. Er blickte mich grimmig an. 

"Legen Sie sich alle schlafen. Sie haben ab sofort drei Wochen frei mit mehr Go-Outs. Alle außer Sie, Wasp. Sie werden das Immuntraining genießen dürfen."

Sie traten ab, als ich das Gespräch zu meinem Coach aufsuchte. 

"Carter ist das...ist das schwer?"

Er zog die Lippen zusammen, "Ich sage es mal so. Wenn Sie das überleben, kann nur noch Gott sie hinrichten."

Ich schluckte hörbar.

"Aber Sie sind ein Talent. Da mache ich mir keine Sorgen. Wir beginnen morgen mit ihren Sinnen."





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