Kapitel 9 - Einfach Nur Schlafen

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Es war wie Krieg. Nur war er über Wochen meinetwegen entstanden und nur auf mich fixiert. Der Krieg definierte mehrere Meister des Kampfsportes und bevorzugte es, wenn ich litt. Blutend, schreiend und verletzt. 

Und das war ich. 

Die ersten drei Wochen band man mir die Augen zu. Ich musste mit diesem Teil sogar schlafen. Ich lernte, wie eine Blinde zu sein. Um den Gegner besser hören und riechen zu können. Ich kämpfte mit Schwertern, die Meister rissen mir im Training mehrere Male den Bauch auf. Und immer und immer wieder nähte ich die Stellen zu. Oder sie berührten eine Naht, die aufging und dann durfte ich sie erneut schließen. Mein Körper wurde immer schwächer und immer mehr bahnte sich nur ein einziger Gedanke an: Zu Überleben. 

Es war scheiß egal, was ich tun musste. Hauptsache, ich würde dafür lebend wieder raus kommen. Nachts schrie ich in den Kissen rein, tagsüber kämpfte ich darum, nicht noch mehr Blut zu verlieren.

"Schon gut, Wasp. Jason hat hier, auf diesem Boden, literweise Blut verloren."

"Ich bin gerade nicht gut auf Witze anzusprechen", röchelte ich, bevor ein Meister mir den Arm schnitt.

"Fuck, das war die einzige narbenlose Körperstelle", presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Ich machte Schritte auf ihn zu, während ich seine Angriffe wehrte und ihn entwaffnete. Dann hielt ich die Klinge unter seinem Kinn. Mit zugebundenen Augen.

"Gut", der Meister hielt die Fäuste aneinander und verbeugte sich.

"Meister", ich tat es ihm gleich. 

Ich konnte alles riechen und meine Ohren waren für das kleinste Geräusch scharf gestellt. Einmal durfte ich ein Go-Out machen. Ich fuhr mit der U-Bahn, kaufte ein, spazierte umher. Musste allerdings einen Hut aufsetzen und eine Brille tragen, die in Wirklichkeit blickdicht war, sodass ich gar nichts sah.

Ich schummelte niemals, weil ich wusste, dass ich den echten Krieg sonst nie überleben würde.

Und natürlich war ich pünktlich zuhause.

Nach drei Wochen nahm man mir das Gehör. Ich lernte die Gebärdensprache. Eine weitere Woche durfte ich nicht sprechen, um mehr hinzuhören. Um still zu sein. Während dieser Woche übte man so viel Schmerz auf mich aus, dass ich dagegen immun wurde. Ich durfte dabei aber keinen einzigen Mucks geben. Ich saß auf einem elektrischen Stuhl, dass Konsequenzen ausübte, wenn ich es doch tat.

Den Namen dieses Trainings würde ich so schnell nicht wieder hinterfragen, da war ich mir sicher. Ich brach öfter zusammen, als dass ich zählen konnte. Landete immer wieder im Krankenzimmer, an dem Yang an mir übte. Denn verarzten war seine größte Schwäche. 

Es brachte uns auch ein kleines Stück näher und ich lernte ihn besser kennen. Seine Mutter war Chinesin, sein Vater Amerikaner. Sie starb allerdings früh und der Vater wurde drogenabhängig. Sie landeten beide auf der Straße, da war er gerade einmal vier Jahre alt. Yang besuchte heimlich die Schule, lernte von den Schülern alles mit. War im Kopf aber weitaus fortgeschrittener als die Gleichaltrigen. Die Schule gewährte ihm einen Platz und finanzierte seine Kosten. Mit nur siebzehn Jahren hatte er die Schule beendet, die Hochschulreife erlangt, studiert und promoviert. Er war ein Freak. 

Wie alle anderen auch.

Wieso zur Hölle, hat das Gerät ausgerechnet bei mir gepiept?!

Das Problem war, dass Yang nicht feinfühlig war. Er war für die Dreckarbeit zuständig. Egal wie, Hauptsache der Gegner wird in die Falle gelockt. In die Enge geführt.

"Danke. Hey sieh mal. Diese Naht hast du diesmal gut hingekriegt. Siehst du?", ich zeigte ihm den Verlauf, "wenn du so anfängst, kannst du es praktisch gar nicht mehr versauen."

Er verabschiedete mich und ich trottete ins Zimmer. Ich war schwach, aber hellwach. Und das letzte Training brachte mich dazu, noch viel wacher zu werden. Vier Tage musste ich wach bleiben. Ich wurde am ersten Tag alkoholisiert, am dritten mit Drogen zugepumpt. Und das Training? Das fand nach wie vor statt. Drogen durften nämlich keinen Einfluss auf mich haben. 

Nach dem vierten Tag, warf ich mich ins Bett. Das mir wieder ins Zimmer gebracht wurde. Ich wollte alles um mich herum ausschalten. Um verflixt nochmal zu schlafen, das durfte ich nämlich wieder. Als es aggressiv gegen die Tür hämmerte. Keine zehn Sekunden um und ich erschrak, da ich mich schon im Halbschlaf befand. 

"Was zur Hölle-", ich taumelte zur Tür. Zog sie mühselig auf und Jason kam entschlossen herein. 

"Jason, was-"

"Nein. Du musst mir zuhören. Ich weiß, das war beschissen, was ich getan habe. Aber...ich kann nicht aufhören an dich zu denken, seitdem ich dich das erste Mal gesehen habe. Wie du so da standest und mich angesehen hast. Und am Ende hast du mich auch noch besiegen können. Jetzt? Jetzt hast du überlebt und- wow, wow, Joey, was?!"

Er brach den Satz ab, musste mich auffangen. Mich, die in seine Arme fiel, weil ich nicht länger Kraft hatte, wach zu bleiben. 

Er schleifte mich zum Bett und mein Kopf ruhte auf seiner Brust.

"Scheiße, Joey. Was mache ich nur mit dir?"

 Er legte sich langsam zurück ins Bett, sodass ich automatisch mit ging. Ich legte den Arm um seinen Hals und schmiegte mein Gesicht an seinem Hals. Nuschelte etwas unverstandenes in seine Halsbeuge.

Er war angespannt.

Unbeholfen.

Und ich? Ich wollte einfach nur schlafen.

The WaspWo Geschichten leben. Entdecke jetzt