Robert beobachtete das Clubhaus der JFs. Es war eines der wenigen freistehenden Häuser in der Gegend und war wohl mal eine vornehme Stadtvilla. Jetzt diente der Bau, mit seiner massiven Architektur und den dicken Wänden, diesen Freaks als Hauptquartier. Das Wohnhaus der Gang war nicht viel mehr als ein Apartmentblock, welcher nur einen halben Kilometer die Straße runter lag. Er war weniger schwer bewacht, aber das war auch kaum nötig. Die ständige Anwesenheit von über einem Dutzend Vollmitgliedern der Gang war Abschreckung genug. Das Lagerhaus war etwas weiter weg, in der Peripherie ihres Gebiets. Es war schon besser geschützt, sogar offensichtlich von Außen.
Das Hauptquartier war da schon eine andere Geschichte. Vor der Fronttüre standen ein paar Jungs als Wachposten oder Türsteher. Alle Anwärter für die Gang, wie das große Patch auf ihrem Rücken, der Schriftzug Prospectverriet. Sie bildeten das Fußvolk der Gang. Alle hofften auf einen Platz in den Reihen der echten Mitglieder. Nur wer sich beweisen konnte und immer bedingungslos gehorchte hatte eine Chance. Und einen Feind der Gang zu töten, das war ein sehr sicheres Ticket zur Aufnahme. Erin wischte sich etwas Schweiß von der Stirn.
„Soll ich die Klimaanlage anwerfen?“ fragte Robert ohne die Augen vom Feind zu nehmen. Erin gluckste und sagte dann: „Nee... Ich merk wie.... Was auch immer Andy mit gestern gegeben hat, die Wirkung lässt nach...“ Robert schaute sie jetzt doch an. „Meinst du von dem Beruhigungsmittel oder dem Gegenmittel?“ Sie grinste ihn leicht gequält an. „Ich glaub beides!“ Und drückte sich tiefer in den Sitz. Es war riskant sie jetzt mitzunehmen, aber er hatte keine Woche Zeit um sie auszunüchtern. Es würde so gehen müssen.
Hier würden sie jedenfalls nicht weiterkommen. Ohne triftigen Grund würde er nie da rein kommen. Und selbst wenn, wer sagte das sie dort war? Wenn seine Theorie stimmte, dann würde sie vielleicht in einem sicheren Versteck sitzen. Mit ihrem Bild ankommen und fragen ob sie jemand kannte? Er würde sich ne Kugel einfangen. Er fuhr los. Erin zuckte leicht bei der Bewegung. „Wo fahren wir hin?“ fragte sie ohne den Blick zu heben. „Wieder zum Wohnhaus. Ich werd mal sehen ob ich da rein komme. Vielleicht finde ich ja eine Schwachstelle bei ihnen.“
Erin sah ihn an. „Kann ich... Im Auto warten?“ Sie zeigte ihm ihre zitternde Hand. Robert überlegte kurz, aber nickte dann. Er hielt in einiger Entfernung an und griff in seine Oberschenkelasche. Erin merkte erst das er ihr Handschellen anlegte, als er die eine Seite schon an ihrem Handgelenk fest hatte und die Andere mit dem Ring unter dem Armaturenbrett verbunden war. Sie sah ihn entsetzt an, ihre Augen waren weit aufgerissen. „Was soll denn jetzt der Scheiß?“ Protestierte sie. Robert schaute sie ernst an.
„Und wenn du mir zehn mal versprichst das du es nicht tust, wenn dein Entzug schlimmer wird, dann rennst du am Ende kopflos davon um dir neuen Stoff zu holen. Und das kann ich nicht riskieren.“ Erin zog kopfschüttelnd an der Fessel. „Das is doch scheiße! Meinst du echt ich bekomm den Affen in den Nacken?“ Robert zuckte die Schultern. „Ich weiß es echt nicht. Aber wir gehen kein Risiko ein. Du bleibst hier und wartest.“ Erin lehnte sich zurück und schaltete das Radio ein.
„Kommst du klar?“ fragte Robert noch, aber Erin antwortete nur genervt: „Na hau schon ab! Aber beeil dich.“ Er steig aus und überlegte wie er es angehen sollte. Einbrechen war keine schlechte Idee, aber im Erdgeschoss waren die Fenster zugemauert und es schien nur den einen Eingang zu geben. Er aktivierte sein Komlink. Die Straßenkarte und das Satellitenbild zeigten einen großen Hinterhof. Vielleicht über den? Aber so eine Aktion ohne ausreichende Aufklärung war ein Selbstmordkommando.
Er sah zum Himmel. Die Sonne war trübe durch den Smog zu erkennen. Diese schwüle Luft stand in den Straßen und gab der Stadt den Eindruck einer Sauna. Er atmete durch und hatte plötzlich eine Idee. Aus dem Kofferraum holte er flott seine Arbeitsjacke und die passenden Handschuhe. Wenn es schief ging, dann würde es nicht schlimmer sein als bei einem Einbruch erwischt zu werden. Er setzte ein ebenso harmloses wie fröhliches Gesicht auf und stapfte auf den Eingang zu. Zwei von den Prospects standen rauchend und schwitzend vor der Türe.
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Der Sterbende Zeuge
Science FictionDer Ex-Cop Robert übernimmt einen schwierigen Auftrag. Es bleibt ihm nicht viel Zeit und die Spur führt in die schlimmsten Kreise... Es ist die Welt von Shadowrun... Eine dunkle Zukunft in der die Technologie ungeahnte Höhen und der soziale Abgrund...