Kapitel 12

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Es war Halloween.
Schon früh am Morgen wachte Lily auf mit einem mulmigen Gefühl im Bauch. Alle anderen Mädchen in ihrem Schlafsaal schliefen noch und ein Blick auf die Uhr, die im Zimmer hing, zeigte ihr, dass es erst in einer Stunde Frühstück geben würde.

Lily schwang die Beine aus dem Himmelbett mit den roten Vorhängen und fuhr sich über das Gesicht.
Schlafen würde sie eh nicht mehr können. Seufzend stand Lily auf und suchte sich ihre Kleider zusammen, in Gedanken schon bei dem Fest, das abends stattfinden sollte.
Potter war ihr die letzten Tage aus dem Weg gegangen, zumindest ließ Lily das Gefühl nicht mehr los, dass er etwas vor ihr verheimlichte und das bereitete ihr Sorgen.
Immerhin war das das erste wirkliche Event, dass sie als Schülersprecherin zu verantworten hatte.
Lily konnte es sich einfach nicht erlauben, dass Potter alle ihre Bemühungen über Bord warf und irgendetwas vergessen hatte.
Zwar hatte er ihr vor einer Woche noch deutlich gesagt, dass er alles geplant hatte und auch über das Gespräch mit McGonagall, dass sie ihm zugeschoben hatte, hatte Potter nichts herausgerückt.
"Es wird schon alles gut gehen.", murmelte Lily sich selbst Mut zu, während sie ihre Haare kämmte.

Im Gemeinschaftsraum war noch niemand, als Lily die Treppe hinunter kam. Unruhig sah sie aus dem Fenster, wo der Regen gegen die Gläser peitschte und tigerte im Raum umher. Ihr Bauch fühlte sich an, als würden tausende Schmetterlinge Krieg gegeneinander führen und schließlich setzte sie sich in einen der roten Sessel und starrte in die Glut.
Als selbst das jedoch nicht half stand Lily wieder auf und verließ den Gemeinschaftsraum. Sie hatte kein Ziel vor Augen und irrte in den verlassenen Korridoren herum, während ihre Gedanken immerzu um das Halloweenfest kreisten.
Ein Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht, als Lily bemerkte, wohin ihre Beine sie getragen hatten.
Die Bibliothek.
Von Mrs Pince war zwar noch nichts zu sehen, trotzdem betrat Lily den wohl wertvollsten Raum der Schule.
Tief atmete sie ein.
Der Duft von uralten Büchern beruhigte sie und ließ selbst die Schmetterlinge in ihrem Bauch zur Ruhe kommen.
Seufzend ließ sich Lily auf einen Sessel sinken und schnappte sich das nächste Buch neben ihr im Regal, in der Hoffnung, abgelenkt zu werden.
Als sie den Titel sah, entfuhr ihr ein belustigtes Schnauben.

Ein Geschichte Hogwarts'

Ihr absolutes Lieblingsbuch aus dieser Bibliothek. Lily wusste noch, wie sie es in der Winkelgasse mit elf Jahren gekauft und schon auf dem Weg nach Hause verschlungen hatte.
Irgendwann hatte sie aufgehört, mitzuzählen, wie oft sie es nun gelesen hatte. Fakt war, dass Lily genau wusste, was auf jeder einzelnen Seite dieses Buches stand, dennoch öffnete sie neugierig den Deckel.
Bücher haben die seltsame Eigenschaft, Erinnerungen aufzubewahren. Das hatte Lily schon oft bemerkt, wenn sie ein altes Buch wieder aufgeschlagen hatte, dass sie früher gerne gelesen hatte.
Der Anblick der alten Seiten erinnerte Lily an die Taschenlampe, die sie heimlich unter ihrer Bettdecke angeschaltet hatte, um auch in der Nacht noch lesen zu können, was in dieser magischen Welt so passierte.
Seite für Seite blätterte Lily um und merkte gar nicht, wie schnell die Zeit verstrich.

Erst der Lärm der Schüler, die in die große Halle zum Frühstück strömten rissen Lily aus ihren Erinnerungen.
Rasch klappte sie das Buch wieder zu und stellte es sorgfältig an seinen Platz.
Entspannt ging Lily in die große Halle, blieb jedoch vor Schreck wie festgefroren stehen.

Die Halle sah aus wie immer. Wut keimte in Lily auf. Wo waren die Kürbisse? Die sollten doch den Tag über schon hier hängen!
Da kam auch schon McGonagall auf sie zu.
"Miss Evans.", sagte sie verwirrt. "Sagen Sie, wo ist denn die ganze Dekoration?"
Lily wurde rot. "Ich, ähm, weiß es ehrlich gesagt nicht."
"Sie wissen es nicht?", fragte McGonagall verwundert nach und Lily sah echte Überraschung auf ihrem Gesicht, die sich jedoch mit Enttäuschung paarte.
"Hören Sie, Professor, ich muss das mit Potter klären, er-", begann Lily verzweifelt.
"Machen Sie das, Miss Evans, und besser bald.", meinte McGonagall streng und kehrte zum Lehrertisch zurück.
Lily hätte in Tränen ausbrechen und gleichzeitig Potter den Hals umdrehen können.
Wie konnte er ihr das nur antun?

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