3 | ich glaube nicht an gott

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Ich glaube nicht an Gott, doch irgendwer da oben scheint es ausnahmsweise gut mit mir zu meinen, denn als ich kommentarlos die Treppen hoch in mein Zimmer stampfe, bleiben mein Vater und seine Spielgefährtin im Erdgeschoss zurück. Einzig Benny, der Beagle, den mein Vater mir zu meinem zehnten Geburtstag geschenkt hat, trottet mir schwanzwedelnd hinterher. Mein alter Herr hatte dem armen Hund damals eine fette rote Schleife um den Hals gebunden, was Benny ihm wohl noch immer übel nimmt. Bis heute lässt er sich nur von mir streicheln.

"Komm, Benny, komm!", murmle ich und scheuche ihn vor, damit er mir nicht mehr direkt an den Fersen hängt. Ich greife nach dem gläsernen Treppengeländer und versuche die Schwere, die sich auf meiner Brust niederlässt zu ignorieren.

Unser Haus ist einer dieser dreistöckigen weißen Würfel, die mit viel Glas und riesigen Fenstern ausgestattet sind und dadurch auf einmal wie ein echtes Haus wirken sollen. Ich halte das für höchst anmaßend, doch mein Vater fährt aus irgendeinem Grund auf diesen ganzen Minimalismuskram ab. Die Wände sind leer, die Möbel sind weiß oder gläsern und zweimal die Woche kommt eine Putzkraft um noch das letzte Körnchen Staub zu bekämpfen.

Den Großteil der Zeit habe ich den Eindruck, dass mein Vater einfach versucht unser Zuhause so steril zu halten wie sein Krankenhaus. Denn wenn von außen alles glänzt, dann kann es innen ja auch keinen Dreck geben, richtig?

Ich stoße die Tür zu meinem Zimmer auf, lasse Benny herein und schmeiße sie dann mit einer gewissen Genugtuung hinter mir ins Schloss. Für die meiste Zeit meines Klinikaufenthaltes waren geschlossene Türen verboten, vor allem dann, wenn man, wie ich, wiederholt die Regeln gebrochen hat. Ein Blick auf das Chaos, das sich vor mir erstreckt, und ich kann das kleine Lächeln, das an meinen Mundwinkeln zupft, nicht unterdrücken.

Mein Zimmer ist nicht nur der einzige Raum im Haus, der gänzlich vollgestellt ist, sondern auch der Einzige mit farbig gestrichenen Wänden. Nun gut, wenn man schwarz als Farbe bezeichnet.

Mit Schwung werfe ich meine Reisetasche auf den Sessel an der gegenüberliegenden Wand, stelle den Gitarrenkoffer neben mich und lasse mich langsam aufs Bett sinken. Es ist lächerlich weich im Vergleich zu dem Bett, in dem ich die letzten Monaten meine schlaflosen Nächte verbracht habe. Nachdem die Mitarbeiter über die Details hinter meiner Einlieferung informiert wurden, hatten sie sich geweigert mir etwas gegen die Schlaflosigkeit zu geben.

Innerhalb weniger Sekunden ist Benny aufs Bett gesprungen und fordert eine langersehnte Kuscheleinheit ein. Resigniert hebe ich den Arm und ziehe ihn näher an mich heran, sodass ich meine Nase in seinem kurzen Fell vergraben kann, während ich ihm über den Kopf streichle.

Ich weiß nicht wie lange wir so daliegen, doch es muss eine Weile sein, denn die unerwünschten Worte meines Vaters reißen mich abrupt aus der friedlichen Ruhe. "Liz, kommst du runter? Es gibt Mittagessen!"

Als würde Benny die Bedeutung dieser Worte verstehen, reißt er den Kopf hoch, springt vom Bett und beginnt mit dem Schwanz zu wedeln.

Ginge es nach mir würde ich mein Bett und die friedlichen vier Wände meines Zimmer nie wieder verlassen, doch ich weiß ganz genau, dass mein Vater das nie zulassen würde. Also zwinge ich mich aus dem Bett, zupfe meinen Sweater zurecht und werfe einen Blick in den riesigen goldenen Spiegel, der an die Wand gelehnt steht.

Meine Haare sind so dünn und strähnig wie eh und je, die Lippen rissig und die Haut trocken und blass. Matte Augen, die einmal hübsch blau waren, starren zurück und wandern abschätzig über meine Gestalt.

Ich sehe scheiße aus. Leblos.

Aus irgendeinem Grund beruhigt mich der Gedanke, dass mein Äußeres sich endlich meinem Inneren anpasst, doch ich beschließe meinen Vater nicht länger mit diesem Anblick zu beunruhigen. Ein bisschen Wasser im Gesicht und Labello sollten als Schadenbegrenzung reichen.

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