2 | sind sie geistig verwirrt?

129 26 43
                                    


"Sind Sie geistig verwirrt?", kommt prompt meine Antwort, die mit einem sarkastischen Lachen verbunden ist. Meine neue Mutter? Ist diese Frau verrückt? Wenn sie das ist, dann sollte sie tatsächlich nicht hier draußen allein herumlaufen. Vielleicht sollte ich einem der Angestellten an der Rezeption Bescheid sagen? Man weiß ja nie was solche Leute anstellen, wenn sie ausrasten.

Das breite Lächeln meiner Gegenüber verrutscht, als sie bemerkt wie ich mich nach den Glastüren der Klinik umschaue und sie blickt mich für einen Moment an, als sei ich diejenige, die zusammenhangloses Geplapper von sich gibt. In Sekundenschnelle fängt sie sich wieder und strahlt mich erneut an. Misstrauen kommt in mir auf, als ich der Frau fest in die Augen blicke und sie ihr Lächeln noch immer nicht aufgibt. Die Situation ist so bizarr, dass ich keine Worte finde.

"Oh je, das tut mir leid, dass ich dich so überrumpelt habe, Süße. Hat Richard etwa noch gar nicht mit dir geredet?"

Die Frage klingt vorsichtig formuliert, zweifelnd sogar, und die Frau blickt mir forschend in die Augen, als rechne sie damit, dass ich jeden Moment explodieren würde. Was momentan nicht zwingend ausgeschlossen ist, in Anbetracht des rauschenden Zustands meines Kopfs. Habe ich hier irgendetwas verpasst?

Und hat die Frau in pinken Rüschen mich gerade Süße genannt?

Mein Blick huscht hektisch zum Hauptgebäude der Klinik. Wahrscheinlich wäre es wirklich das Beste, wenn ich einfach wieder hinein gehe und drinnen jemandem Bescheid gebe.

Noch bevor ich diesen Plan in die Tat umsetzen kann, sehe ich meinen Vater aus dem Gebäude treten. Meine Reisetasche hat er sich unter den rechten Arm geklemmt, meinen Gitarrenkoffer in der Hand und mit der linken winkt er unbeholfen in unsere Richtung. Den Ausdruck auf seinem Gesicht kann ich nicht so recht deuten, er liegt irgendwo zwischen Nervosität und Zufriedenheit, doch für eine genauere Bestimmung rasen meine Gedanken zu wirr in meinem Kopf herum.

"Ich sehe ihr zwei habt euch schon getroffen." Mit einem zurückhaltendem Lächeln blickt mein Vater zwischen mir und der dunkelhaarigen Frau hin und her. Geflissentlich ignoriert er die Zigarettenpackung in meiner Hand und ich lasse sie intuitiv in der Tasche meines Sweaters verschwinden. Ich blicke ihn nur weiter verdutzt an. "Lizzie, Schatz, das wollte ich dir eigentlich eben erzählen, aber wir wurden ja leider unterbrochen. Das hier", er legt seinen freien Arm um die Frau, die ich bis eben noch für eine Patienten mit größten psychischen Problemen gehalten habe, "ist meine Freundin Marie. Erinnerst du dich noch? Ich habe dir vor ein paar Wochen von ihr erzählt."

Und wie er mir von ihr erzählt hat.

In einem Nebensatz.

Er sprach von der neuen Bäckerei, die bei uns um die Ecke aufgemacht hatte und davon, dass die Besitzerin eine alte Klassenkameradin von ihm war. Mag sein, dass er erwähnt hatte, dass sie danach in Kontakt blieben, aber wie so oft hatte ich mich entschlossen seine Aussage in den Tiefen meiner Erinnerung zu verdrängen um mir lästiges Kopfzerbrechen zu ersparen.

Tja, rückblickend war das vielleicht nicht die klügste Strategie gewesen.

"W-Wie.. Also, ich meine-...", stammle ich vor mir her, bevor ich meinen Körper dazu zwinge tief durchzuatmen und ruhig zu bleiben.

Ein und Aus. Ein und Aus. Ein und Aus.

Es ist ein kläglicher Versuch das Chaos in meinem Kopf unter Kontrolle zu bekommen und er ist nicht gerade von Erfolg gekrönt. "D-Du hast eine Freundin, Papa? Du hast eine Freundin und dir ist nicht eingefallen das mal zu erwähnen? Und du hielt es für eine gute Idee sie hierher mitzubringen? Wirklich? Denkst du nicht, dass das vielleicht ein klitzekleines bisschen, naja ich weiß nicht, unpassend sein könnte?"

NevermindWo Geschichten leben. Entdecke jetzt