7 | du musst mal wieder raus

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"Du musst mal wieder raus."

Genervt seufze ich und blicke von meinem Müsli auf. Die Arme verschränkt und mit ernster Miene, blickt mein Vater mich auffordernd an. Er sitzt mir gegenüber am langen Glastisch, hinter ihm geben die bodentiefen Fenster den Blick auf den Garten frei.

In Anbetracht der Tatsache, dass er sich zum ersten Mal seit Ewigkeiten ein paar Tage freigenommen hat, würde man erwarten, dass er seinen Urlaub genießt und in Jogginghose auf dem Sofa fläzt. Zumindest wäre es mein Plan, doch nicht Richard Sterns. Dieser trägt auch jetzt ein perfekt gebügeltes Hemd, hat sich vollständig rasiert und sein Haar ordentlich gekämmt.
Es ist fast schon gruselig.

Ich auf der anderen Seite, trage meine bequemsten Leggings und einen schwarzen Pulli, den ich seit drei Tagen nicht gewechselt habe und auf dem sich der ein oder andere Fleck angesammelt hat. Zweifelsohne sehen auch meine Haare nicht aus, als wäre ich gerade einem Hollywoodstreifen entstiegen.

"Ich war gestern draußen, wenn du dich erinnerst." So ruhig und desinteressiert wie möglich greife ich nach der Hafermilch und gieße mir etwas ins Müsli. Als die Schale beinahe überläuft, stelle ich den Karton zur Seite und beginne stoisch vor mich hin zu mischen. Die Ersatzmilch, die Marie mir servierte, bevor sie zu Arbeit ging, ist überraschend gut.

Nun ist es an meinem Vater zu seufzen. "Das habe ich nicht vergessen und ich bin immer noch wütend über deinen gestrigen Auftritt, aber das meinte ich nicht. Das weißt du ganz genau."

Gekonnt weiche ich seinem intensiven Blick aus und schiebe mir einen vollen Löffel in den Mund. Es ist noch viel zu früh am Morgen um über so etwas zu reden. Eigentlich ist es allgemein zu früh zum Reden.

"Liz, du musst mal wieder unter Leute kommen, raus aus diesem Haus." Vorsichtig zieht er den Stuhl neben mir zurück und lässt sich darauf sacken. "Du kannst nicht den ganzen Tag im Bett verbringen, hörst du? Das ist nicht gut für dich, Prinzessin."

"Lass das!", zische ich.

"Lass was?"

"Diesen verdammten Spitznamen! Ich hasse ihn und ich habe dir eine Million Mal gesagt, dass du mich nicht so nennen sollst." Frustriert lasse ich den Löffel auf den Tisch fallen und fahre mir durch die Haare. Am liebsten würde ich einfach wieder hoch in mein Zimmer stürmen, doch etwas sagt mir, dass mein Vater mich dieses Mal nicht so leicht davonkommen lassen würde.

Seine Stimme ist weniger sanft, als er sagt: "Ist ja gut, Liz, aber das ändert nichts an meiner Aussage. Du musst unter Leute kommen und kannst dich nicht in deinem Zimmer verkriechen. Das lasse ich nicht zu."

Entschieden steht er auf um seinen Teller in die Spülmaschine zu stellen. "Wie wäre es, wenn du heute Nachmittag mit Marie einkaufen gehst? Sie meinte, sie muss noch ein paar Sachen besorgen und du kannst ja mit ihr gehen. Außerdem trägst du diesen abgeranzten Pulli schon seit Ewigkeiten. Ich gebe dir etwas Geld mit und du besorgst dir ein paar neue Klamotten, okay? Wie klingt das?"

Nach Erpressung.

"Warum kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen? Warum musst du mich zu diesem ganzen Mist zwingen?", murmele ich leise.

Eigentlich ist die Frage unnötig, denn ich kenne die Antwort schon.
Seine Tochter hat versucht sich umzubringen und er versucht diese Tatsache zu ignorieren.
Wenn sein Kind allerdings den ganzen Tag im Bett verbringt und mit keiner Menschenseele spricht, dann ist es schwer diesen Umstand zu verdrängen.

Dabei kann ich genauso gut in der Weltgeschichte herumspazieren und mich noch genauso schlecht fühlen. Mein Aufenthaltsort macht keinen Unterschied.

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