Es regnet in Strömen, als ich endlich meinem Vater entkomme.Das ganze Wochenende habe ich damit verbracht, ihm nach Kräften aus dem Weg zu gehen, was, trotz der drei Stockwerke unseres Hauses, nicht gerade einfach war. Marie fuhr übers Wochenende ihre Cousine in München besuchen und so war ich gänzlich allein mit meinem Vater, seinen Argusaugen und zweifelnd in Falten gelegter Stirn.
Zum Frühstück ließ ich mich noch aus dem Zimmer locken, doch das war auch schon das Höchste der Gefühle. Nachdem ich seinen Vorschlag, mich zu ihm in den Garten zu gesellen, zum dritten Mal ablehnte, gab er seine Versuche endlich auf und verschanzte sich in seinem Büro um angestaute Arbeit zu erledigen. Die ins Schloss fallende Tür bescherte mir seltsamerweise nicht die Erleichterung, die ich erwartet hatte.
Mangels Alternativen, verschanzte auch ich mich schließlich in meinem Zimmer, als es wie aus Eimern zu gießen beginnt.
Kraftlos hieve ich mich also in mein Bett, setze mich mit angezogenen Knien ans Kopfende und wickele die Decke wie einen Schutzwall um mich, als könne der mich vor der Welt und all ihren Ungerechtigkeiten abschirmen. Ich vergrabe meine Nasen in dem weißen Stoff und atme den blumigen Geruch unseres Waschmittels ein. Der vertraute Geruch schafft es normalerweise immer, mich zu beruhigen, doch heute kann auch er meine wirren Gedanken nicht aufhalten.
Meine Augen wandern in meinem Zimmer umher, über den offen stehenden Kleiderschrank, die verstaubte Oberfläche der Kommode und den beladenen Schreibtisch. An den Wänden hängen vereinzelt Bilder - Aufnahmen von mir und Henri, Schnappschüsse aus dem Ferienlager, Kindheitsbilder von meinem Bruder - aber auch Zeichnungen und Cover von Musikalben.
Sie alle stechen aus dem Schwarz der Wände hervor, wie Sterne am dunklen Nachthimmel.
Mein Blick fällt auf die Gitarre, die gegenüber an die Wand gelehnt ist, noch genau da, wo ich sie bei meiner Ankunft verfrachtet habe. Das gewohnte Kribbeln in den Fingern bleibt aus und ich lege das Kinn auf meinen Knien ab.
Ich habe keine Lust zu spielen.
Früher hatte ich immer Lust zu spielen. So viel Lust, dass mein Vater es wahrscheinlich mehr als einmal bereute mir das Instrument gekauft haben. Wobei es eigentlich die Idee meiner Mutter gewesen war. Sie war immer der Auffassung, dass jeder ein Instrument spielen können sollte und so schickte sie meinen Bruder Leo zum Klavier- und mich zum Gitarrenunterricht: Sie tat es selbst dann noch, als Leo sie wochenlang anbettelte, ihn aufhören zu lassen.
Mich brauchte man allerdings nicht groß zu überzeugen. Von dem Moment an, an dem ich das erste Mal die Saiten einer Gitarre zupfte, war ich besessen. Ich lernte schnell und übte rigoros. Mit jedem neuen Lied, das ich zu spielen lernte, machte das Instrument mir mehr Freude. Noch bevor ich meinen Ranzen nach der Schule ganz absetzte, griff ich schon zur Gitarre.
Meine Mutter war begeistert und mein Vater besorgte sich Ohrstöpsel.
Als hätte ich mit dieser Kindheitserinnerung eine Meldung ans Universum geschickt, blinkt in dem Moment mein Handy auf.
"Mama" steht dort in großen Leuchtbuchstaben und instinktiv krampft sich mein Magen schmerzhaft zusammen. Ich spiele mit dem Gedanken, das Telefon klingeln zu lassen, doch irgendetwas, sei es die Erinnerung, meine Einsamkeit oder der verdammte Regen, bringt mich schließlich doch dazu, nach dem Handy zugreifen und auf die grüne Taste zu drücken.
"Hallo, Schatz.", flötet die Frau, mit der ich seit genau einer Woche nicht mehr gesprochen habe. Meine Mutter ruft, seit ich mich erinnern kann, jeden Sonntag an und diese Routine konnte auch meine Einweisung in eine psychiatrische Klinik nicht brechen. Scheinbar kann sie sich nur einmal in der Woche daran erinnern eine Tochter zu haben.
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Nevermind
Teen FictionLiz hat es getan. Sie hat versucht sich das Leben zu nehmen und ist gescheitert. Als sie Monate später aus der Klinik entlassen wird, muss sie sich von heut auf morgen ihrem Leben und den damit verbundenen Problemen stellen. Zu ihnen gehören auch H...