eine Geschichte aus der Realität

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Es war 9:24 Uhr. Durch das Klingeln an der Tür wachte sie auf, total übermüdet und schläfrig, nicht bereit aufzuwachen. War das etwa schon ihr Vater? So früh? Es stimmte schon, sie erwartete ihren Vater an diesem Tag, aber nicht so früh. Normalerweise kam er am Mittag, wenn nicht sogar später.

Ihre Mutter öffnet die Tür und das Erste, was zu hören war, waren die Worte ihres Vaters: "Weck die Kinder. Wir müssen los. Ich muss es euch zeigen. Ich muss es euch erklären, also weck die Kinder. Beeilt euch." Total hysterisch und gestresst klang er. Nicht wie er selbst. Hektische Bewegungen folgten, Schritte und das Öffnen einer weiteren Tür. Die Tür zu ihrem Zimmer. "Wach auf, zieh dich an, wir müssen los.", sagte ihr Vater mit einer gepressten Stimme. 
Sie roch es. Den Alkohol. Die Fahne. Widerlich fand sie es, aber da war mehr. Bis jetzt hatte sie ihn nur ein Mal in so einem Zustand gesehen. Er sah definitiv nicht wie er selbst aus.
"Okay, aber wecke mein Schwesterchen nicht auf. Sie hat schlecht geschlafen.", erwiderte sie. Als hätte sie nicht genauso beschissen geschlafen. Wie viele Stunden waren es? Zwei? Wie auch immer. Sie stand auf, wollte sich etwas anständiges anziehen und sich wenigstens die Zähne putzen, doch ihre Mutter stieß zu den beiden und wollte zunächst einmal wissen, was überhaupt los war. 

Ist doch egal. Er will jemanden, der ihm zuhört, also werde ich ihm zuhören. dachte sie, während ihr Vater ihrer Mutter versuchte zu erklären, dass das Ende der Welt bevorstände und alle auf die Straße müssten, um zu den Göttern zu beten. Mit einem Schluchzen wiederholte er immer wieder die Worte "Die Götter haben uns verlassen, das Ende der Welt kommt, wir werden alle sterben. Wir müssen beim einzig wahren Gott Ra um Vergebung flehen." Es wurde immer komischer und sie schaute ihre Mutter zweifelnd an. "Setz dich doch erstmal.", meinte diese und zeigte Richtung Stuhl. Daraufhin ihr Vater: "Keine Zeit. Wir müssen auf die Straße und zur Sonne beten." Sie fühlte sich schuldig. Sie fühlte sich schuldig, dass sie nicht schon früher gemerkt hatte, wie schlecht es ihrem Vater ging. In der letzten Woche hatte er immer und immer wieder die selben Andeutungen gemacht, doch keiner von ihnen hatte ihn ernst genommen. Warum auch, er ist schließlich ein Alkoholiker, so schnell glaubt ihm keiner. versuchte sie sich zu erklären. Doch das Gefühl der Schuld blieb, und sie wollte es irgendwie wieder gut machen. 

Sie beschloss ihrem Vater aufrichtig zuzuhören. Auch wenn das vielleicht nur ein Anfall, ausgelöst von den unglaublichen Mengen an Alkohol, die ihr Vater zu sich genommen haben muss, war, so wollte sie ihm dennoch zuhören. Sie wusste, wie es war, wenn niemand einem zuhören, oder gar Glauben schenken wollte. Also zog sie sich zu Ende an und bat ihren Vater vor die Tür, mit der Ausrede, sie würde sofort nachkommen, nachdem sie schnell auf die Toilette gegangen ist. "Das ist keine gute Idee. Wir sollten einen Krankenwagen rufen, der ist doch verrückt geworden. Und du auch. Alleine mit ihm, in diesem Zustand?", schimpfte ihre Mutter mit ihr. Doch sie blieb stur: "Wir werden draußen sein, da sind Menschen. Falls er mir etwas antun will, wird schon jemand die Polizei oder so rufen. Ich will ihm nur zuhören und ihn dann nach Hause schicken." Letzteres war gelogen, aber sie wusste,  dass ihre Mutter ihn niemals in diesem Zustand im Haus behalten wollen würde. Also würde sie ihn wohl oder übel nach Hause schicken müssen. "Fein, aber fahr nirgendwo mit ihm hin und ruf sofort die Polizei, sobald er etwas versucht, dieser Verrückter. Und komm ja nicht auf die Idee, ihn zu uns einzuladen.", ermahnte ihre Mutter sie ein letztes Mal. Sie verkniff sich den Kommentar, dass "dieser Verrückter" einst der Ehemann war, für den sich ihre Mutter entschieden hatte und sie somit selbst schuld war, dass er sie auch noch nach 12 Jahren nicht in Ruhe gelassen hat. 

Es klingelte wieder an der Tür und sie beeilte sich, zog sich Schuhe und eine Strickjacke an und verließ das Haus. Ihr Herz raste. Sie war nervös. Sie war besorgt. Was würde er ihr erzählen? Wie könnte sie ihm helfen?
Unten angekommen nahm er sie an den Schultern und schaute sie eindringlich an. "Warum hast du so lange gebraucht? Wen hast du angerufen?", fragte er nach einem Moment der Stille, in welcher er sie mit panischen Augen intensiv angesehen hat. "Niemanden.", antwortete sie ihm wahrheitsgemäß. Er schien erleichtert: "Gut so, denn das ist nichts verrücktes. Ich bin nicht verrückt, ich hatte eine Vision. Gott hat zu mir gesprochen. Du glaubst doch an Gott, oder? Das musst du. Das musst du, sonst werden wir alle sterben. Ich will dich und deine Schwester nicht verlieren. Du musst an den einzig wahren Gott glauben. Sag mir: wie ist der Name der einzig wahren Gottes?" Sie war überfordert. Zum Einen glaubte sie nicht wirklich an Götter (ihre Eltern hatten sie zwar getauft, sie kam bloß noch nie dazu, aus der Kirche auszutreten) und zum Anderen wusste sie nie, was sie sagen oder antworten soll. Nie. Erst recht nicht in diesem Fall. 

mind chaosWo Geschichten leben. Entdecke jetzt