Verlust

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Man kann den Schmerz eines Verlustes nicht in Worte fassen. Ich muss es wissen, ich habe es mehr als einmal versucht.

Man kann die verzweifelte Hilflosigkeit nicht beschreiben, die man verspürt, nachdem man realisiert, dass man absolut nichts dagegen ausrichten kann, egal, wie sehr man es auch versucht.

Man kann die Folter nicht gewichten, durch die man gehen muss, wenn der Verlust sich über einen sehr langen Zeitraum erstreckt und man es mit ansehen muss, ob man will, oder nicht.

Und trotzdem ist "Verlust" ein Wort, verbunden mit einem Gefühl des Schmerzes, der Hilflosigkeit, der Verzweiflung und der Hoffnungslosigkeit. Verlust ist so viel mehr, als bloß ein Wort.

Verlust ist eine Geschichte, eine Vergangenheit, gebunden an die Geschichte eines Menschen, einer Gesellschaft oder eines Landes. Oder sonst irgendwas. Unmöglich gänzlich zu beschreiben, und doch ist es da.

Und jeder weiß, was gemeint ist. Jeder weiß, wie schwer das ist und gleichzeitig kann sich niemand vorstellen, was ein einzelner Mensch durchmachen muss.

Die einen weinen nächtelang, Tag für Tag und das Wochenlang. 
Die anderen bekommen Alpträume, können Nachts nicht schlafen und haben Angst, die Augen zu schließen.
Wieder welche verlieren die Freude am Leben, erst recht, wenn sowieso nicht gerade viel davon vorhanden war.
Und wieder andere kommen damit nicht klar, können es einfach  nicht verarbeiten und leiden eine Ewigkeit daran.

Und ich? Ich habe von allem etwas abgekriegt. Es macht mich fertig, zerrt an meiner Seele, zerreißt sie Stück für Stück und macht sie letztendlich kaputt. In meinem Kopf herrscht das reinste Chaos. Alles ist voller Schreie und schrecklicher Bilder und kein Gedanke bringt gutes. 

Mit anderen Worten: Ich werde wahnsinnig.

Und es wäre nicht so schlimm, wenn ich dabei nicht noch versuchen müsste, anderen zu helfen. Wenn ich nicht noch für andere da sein müsste, sondern mich um sich selbst kümmern könnte. Dann könnte ich das alles leichter verarbeiten. 
Stattdessen werde ich jeden Tag auf's Neue darauf angesprochen, muss mich jeden Tag auf's Neue für etwas rechtfertigen, wofür man sich nicht rechtfertigen sollte und muss jeden verfickten Tag die Sorgen anderer auf meine Schultern bürden. Ich tue das gerne, ich bin gerne für andere da und ja, ich würde mich verdammt scheiße fühlen, wenn man wegen meinem Egoismus nicht mehr über alles mit mir sprechen wollen würde. Alles, worum ich bitte, ist eine Pause. Eine Pause von Drama. Eine Pause vom kalten, barmherzlosen, schmerzvollen Leben. Alles, worum ich bitte ist ein klein wenig Ablenkung von alle dem. 
Aber die kriege ich nicht. Warum auch. Wäre schließlich zu viel verlangt.

Ich möchte, das Menschen anfangen zu verstehen, dass jeder einzelne von uns Verluste durchlebt. Jeder geht damit anders um, aber jeder findet seinen Weg. Und wir sollten für einander da sein. Zumindest unter Freunden und Familien. Es müssen keine Therapie-Sitzungen sein. Es müssen keine Psychologen ins Boot geholt werden. Es kann einfach ein wenig Ablenkung vom Alltag sein und gut ist.
Und wagt es ja nicht, einen Wettbewerb daraus zu machen, wessen Verluste größer sind. Das ist unter aller Würde und wer auch immer sich traut, das in meiner Anwesenheit zu machen, dem scheue ich nicht in die Hölle zu folgen. Dem scheue ich nicht zu zeigen, wie es sich anfühlt durch tausende Messer gleichzeitig durchbohrt zu werden und währenddessen in Flammen zu stehen.

Denn so fühlen sich Verluste an. Nicht bei jedem, nein, aber unter anderen bei mir.

Zumindest dachte ich das, bis ich verstanden habe, das Verluste weitaus unangenehmer und schrecklicher sind, als ein paar Messer in der Brust und Flammen auf der Haut.

Es ist wie Gas in den Lungen, Säure in den Adern, Strom in den Nerven und noch dazu unglaublicher, physischer Schmerz, erzeugt durch die giftigen Gedanken und die qualvollen Hilfeschreie. Es ist nicht zu beschreiben. 

Es ist einfach... ein Gefühl des Verlustes.

mind chaosWo Geschichten leben. Entdecke jetzt