Keine Angst, es ist bald vorbei

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P.O.V.     Tobi
„ Na lässt du doch auch mal wieder auf dem Ts blicken.", fragte Veni schmunzelnd, kaum dass ich den Ts betreten hatte. Das letzte Mal war vor über drei Wochen gewesen. Seit dem hatte ich außer bei Stegi kein Lebenszeichen mehr von mir gegeben. Ich hatte auf einen ruhigen Moment warten müssen, um meiner Mutter zu entwischen und mich in meinem Zimmer mit meinem Laptop ein zu schließen. Sie sah es leider gar nicht gerne, wenn ich mit Freunden zockte, oder überhaupt etwas mit Freunden machte. Naja, sofern sie männlich waren. Mit Mädchen konnte ich so viel rumhängen, wie ich wollte. Und sollte das am besten auch. Genau deswegen tobte meine Mutter auch gerade vor meiner Tür, aber durch die Kopfhörer hörte ich sie zum Glück kaum. Danke noise canceling Kopfhörer. „ Hey tut mir leid, dass ich mich so lange nicht gemeldet hab. Hab ein paar Probleme daheim.", murmelte ich in mein Mikro und hoffte, dass sie keine weiteren Fragen stellten. Doch da hatte ich die Rechnung ohne Stegi gemacht. „ Sag mir bitte nicht, dass deine Mutter immer noch deswegen terror macht.", fragte Stegi sofort mitleidig nach und traf damit genau ins schwarze. Man Stegi, ich will da jetzt nicht drüber reden, lass es bitte einfach bleiben. „ Weswegen den? Tobi ist alles ok bei dir?", wollte nun auch Veni besorgt wissen. Seine Stimme war fordernd und man hörte deutlich raus, dass er eine Erklärung wollte. Ich sah ein, dass ich mit der Wahrheit rausrücken musste. Auch wenn ich ungern darüber sprechen wollte, ich konnte jetzt nicht abblocken. Sonst würden sich die drei nur noch mehr Sorgen um mich machen. Gerade Stegi, der von all dem wusste und auch merkte, wie es mich fertig machte. Nur wie fing ich das an? Ich wusste ja nicht mal, ob und wie sie zu dem Thema Homosexualität standen. Ich wollte es mir mit Veni und Tim nicht verspaßen. Gerade mit Veni nicht, da ich ihn einfach unheimlich gern hatte. „ Veni, Tim versprecht ihr mir bitte, dass ihr mich nicht verurteilt.", flüsterte ich leise in mein Mikro und wartete auf eine Antwort. Ich wollte einfach sicher gehen. Ich wusste zwar, dass Stegi ebenfalls auf Jungs stand und damit kein Problem hatte, aber er hatte es bis jetzt auch nur mir gesagt. „ Natürlich, warum sollten wir?", fragte Tim besorgt. Gleichzeitig strahlte er so eine Ruhe aus, dass es mir ein bisschen meiner Unsicherheit nahm. „ Also ich hab vor etwa einem Jahr gemerkt, dass ich nun ja, dass ich halt nicht nur Frauen anziehend finde." Ich machte eine kleine Pause, um eine eventuelle Beleidigung oder etwas dergleichen ab zu warten, aber es kam nichts. Also sprach ich nun etwas sicherer weiter. „ Vor ein paar Wochen hab ich es dann meinen Eltern gesagt. Ich hab gemerkt, dass ich mich in einen Jungen verliebt hab und wollte ihnen diesen vielleicht auch mal meinen Freund vorstellen, sollte er meine Gefühle erwidern. Meine Mutter hat angefangen zu weinen und gesagt, ich seie nicht mehr ihr Sohn. Es wäre abartig und falsch auf das gleiche Geschlecht zu stehen. So hätte Gott uns nicht geschaffen. Mein Vater hat es erstmal nur hingenommen. Ich hab ihr dann versucht zu erklären, dass ich mich zu beiden Geschlechtern hingezogen fühle. Daraufhin hat sie mir eine gescheuert und gesagt, ich soll ihr aus den Augen gehen." Ich machte eine kurze Pause, um eine Reaktion der beiden ab zu warten. Bis jetzt hatten sie mir nur schweigend zugehört. Ich wusste nicht, ob ich das besser fand, als irgendeinen dummen Kommentar. Damit könnte ich zumindest mal irgendwas anfangen. Schweigen dagegen erdrückte mich fast. Man Leute jetzt sagt doch bitte was. Egal was. Macht die Situation nicht noch unangenehmer, als sie es eh schon ist. „ Könnt ihr bitte was sagen, das ist total unangenehm?", nuschelte ich unsicher. Endlich gab einer der beiden einen Kommentar zu meinem gesagten ab. „ Also ich find es nicht schlimm, dass du bi bist. Ich mein Stegi steht auch auf Jungs und wir haben ihn noch nicht rausgeschmissen.", antwortete Tim ruhig. Stegi hatte es ihnen also endlich gesagt? Freute mich für ihn. „ Rafi?", flüsterte ich unsicher seinen Namen. Er hatte bis jetzt noch gar nichts dazu gesagt und langsam wurde ich nervös. Was wenn er es bei mir nicht akzeptierte? Doch bevor ich mir noch weiter Gedanken darüber machen konnte, wurde ich unterbrochen. „ Alles gut, ich finds auch nicht schlimm. Ist das der einzige Grund, warum du nicht mehr auf dem Ts warst?", stocherte er weiter nach. Das schwierigste war damit schon gesagt. Der Rest würde mir leichter fallen. Hoffte ich zumindest. „ Nein, dass war nur ein Bruchteil. Zwei Tage später stand meine Mutter mit einem Mädchen in meinem Alter vor mir. Ich musste mich gezwungen den ganzen Tag mit ihr beschäftigen. Sie hat übelst versucht sich an mich ran zu machen. Und dann halt noch auf so ne richtig beschissene Art. Ich hab sie dann irgendwann weil ich es nicht mehr ausgehalten hab mit den Worten, sorry ich steh nicht auf Titten sondern auf Schwänze weggeschickt. Meine Mutter versucht es gerade fast jeden Tag mich mit irgendwelchen fremden Mädchen zu verkuppeln. Sie will mich von dieser 'Krankheit' befreien. In ihren Augen würde mich eine Beziehung zu einem Mädchen von dieser Krankheit heilen. Es ist einfach nur anstrengend. Mein Vater ist seit meinem outing ständig betrunken und er hat mich mehrmals geschlagen. Keine Sorge, es geht mir bis auf ein paar blaue Flecken gut. Durch den ganzen Stress hab ich kaum Zeit zum lernen und Sack gerade in der Schule richtig ab. Ich will aber auch meinen Abschluss nicht riskieren. Könnte ich vielleicht...", gegen Ende hin, wurde meine Stimme immer leiser und leiser, bis sie am Ende nur noch ein wispern war. Ich wollte ungern um Hilfe fragen. Zudem war ich mir nicht sicher, ob ich bereit war mich Tim und Rafi zu zeigen. Beide hatte ich noch nie gesehen, obwohl ich sie zu meinem besten Freunden zählte. Und ein erstes Treffen zwischen uns hatte ich mir auch irgendwie anders vorgestellt. „ Du willst n paar Tage zu uns kommen richtig?", beendete Stegi meine Frage. Woher wusste der Typ immer, was in mir vorging. Langsam wird das echt gruselig. „ Also wenn ich darf.", setzte ich hinten dran. Ich wollte sie nicht irgendwie stören oder behindern. „ Natürlich wenn du willst, können wir dich abholen.", schlug Veni sofort freudig vor. Ich wusste, dass er mich unglaublich gerne treffen wollen würde und jetzt ergab sich für ihn eine Möglichkeit, auch wenn der Anlass nicht der beste war. Nur bis jetzt hatte ich abgeblockt, weil ich zu unsicher war. Was ich im übrigen jetzt immer noch war. Aber hier hielt ich es einfach kaum noch aus. Eine andere Wahl hatte ich also schlichtweg nicht. „ Wenn du das mit den zwei Chaoten aushältst, kannst du gerne kommen.", stimmte nun auch Tim zu, was mich unterdrückt auflachen ließ. Die anderen beiden schnaubten nur empört. „ Ok wir sollten dann in zwei Stunden zirka bei dir sein. Tim die Pflaume hat gleich n Termin und kommt deswegen nicht mit.", meckerte Stegi gespielt beleidigt. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, die beiden sind zusammen. „ Pass auf was du sagst Prinzessin.", knurrte Tim. Ab da war es endgültig vorbei mit meiner Beherrschung und ich fing lauthals an zu lachen. „ Prinzessin, dein Ernst?", prustete ich. Was hatte ich bitte alles verpasst? „ Die ärgern sich ständig so. Ist ganz lustig. Sieh du mal zu das du packst, ich schnapp mir Stegi und komm zu dir.", meinte Rafi noch, ehe er den Ts verließ. „ Ok dann bis später.", murmelte ich in mein Mikro und verließ ebenfalls den Ts. Draußen war endlich Ruhe eingekehrt, weshalb ich erleichtert seufzte. Ich erhob mich aus meinem Stuhl, streckte mich einmal, ehe ich mich in meinem Zimmer umsah. Was würde ich in der Zeit brauchen? Sollte ich meine Schulsachen mitnehmen? Wie kam ich dann aber zur Schule? Vielleicht ein paar Tage krankmelden? Die Unterschrift meiner Eltern könnte ich locker fälschen. Wobei, nächste Woche stand eine Arbeit an, ich konnte es mir also gar nicht leisten zu fehlen. Ich beschloss einfach Stegi zu fragen. Da er keinen Führerschein hatte, wusste ich dass er Beifahrer war und die Nachricht sicher lesen würde.

Venation OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt