Sirenenklänge

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Irgendwann verwandelte Percys Klagen sich, wurde zu Gesang, rein und klar, voller Qual und tiefer Trauer. Seine Augen glühten in einem unheiligen Schein, Spiegel zerbrochener Träume und Hoffnungen; seine marmorierte Haut glänzte kränklich unter einer Schicht aus Schweiß, gespeist aus Fieber und Wahn. Niemand konnte sich seinem Bann mehr entziehen, er lag im Sterben und würde sie alle mit sich reißen, jeden Heiler, jeden Demigott, jeden Zauberer. Er war eine vergiftete Sirene, weilend in einem Meer des Verlusts, und sie waren ihm hörig.

Mit verschleiertem Blick wiegten sie sich hin und her wie Seegras in einer leichten Strömung. Trotz ihrer verhangenen Augen sahen sie so klar wie nie: Oh, welch Trauer, welch Schmerz, oh, welch Gräuel barg diese Welt, bevölkert von gottlosen Kreaturen und lasterhaften Göttern. Verfall und Verderben, wohin man sein Auge auch wandte.

"Oh weh!", seufzten die Hörigen voll Wehklagen für diese dahinwelkende Welt. "Oh weh!" Sie blieben auf einem Ton liegen, wiegten sich traurig hin und her und lauschten den dunklen Klängen der Sirene, die von aller Qual dieser Welt zeugten und grenzenlosen Verlust verkündeten.

Die Sirene, dieser singende Junge, kauerte verkrampft auf seinem Krankenbett, starr vor Schmerz. In ihm wütete eine nie dagewesene Feuersbrunst, alles brannte, sogar seine Haut sonderte ein fahles Leuchten ab. Trotz seines Zustandes thronte er auf einer Weise in dem Bett, wie es nur den Mächtigsten vorbehalten war, einem Unsterblichen gleich.

Gedenket den Toten, sang der Sterbende, nicht mit Worten, allein mit Klängen. Gedenket den Toten und den Todgeweihten.

"Wer ist todgeweiht?", seufzten die Hörigen. "Wer muss sterben, wer?"

Ihr alle, antwortete die Sirene.

"Wir alle", seufzten die Todgeweihten traurig und wiegten sich ruhig und beständig hin und her. "Oh weh, oh weh. Wer noch?"

Alle, sang der Sterbende. Der Tod wartet auf alle. Auf jeden einzelnen; den Kranken, den Starken und den Jungen.

"Oh weh", seufzten die Hörigen und summten ihren Ton, bevor sie fragten: "Wer noch? Wer wird noch sterben?"

Jeder, ob Mensch oder Tier, Pflanze oder Gott. Der Tod ist geduldig. Die Sirene sang und verkündete die Endgültigkeit, nichts währte ewig.

Summend wiegten sich die Hörigen, verloren in ihrer Trauer; draußen schwappte der Schwarze See mit, leicht nur, kaum wahrnehmbar.

Bis die Sirene sich auf einmal aufbäumte und die Hörigen verwirrt und verängstigt auf einem Ton liegen blieben. "Oh weh", seufzten einige leise und summten dann wieder traurig. Der Gesang der Sirene wurde noch gepeinigter, das Feuer in den Adern des Jungen brannte, als käme es aus der Hölle. Die Töne wurden abgehackter, das Netz der schwarzen Adern dichter. Feine Risse taten sich im Stein auf, ausgehend von dem Punkt, an dem Percy saß und mittlerweile schrie.

Dieser Laut schien die Anwesenden aus ihrer Trance zu reißen und ein weiterer Heiler disapparierte, verängstigt und verwirrt, das Einzige, das von ihm zurückblieb, war ein geflüstertes "Oh weh".

"Percy!" Hazel wollte sich Percy wieder nähern, um ihn zu beruhigen und so gut es ging zu helfen, aber der Boden wackelte und die Risse wurden größer, setzten sich auch auf der Wand fort. Der Schwarze See hingegen lag still.

Percys Schrei war rau und gebrochen, verliehen seinem Schmerz Ausdruck und stellte den Anwesenden die Härchen auf den Armen auf. Bis in die Unterrichtsräume war dieser grausame, gequälte Laut zu hören, langgezogen und voller Emotionen, die durch Worte allein nicht ausgedrückt werden konnten. Die Schüler drängten sich ängstlich zusammen, zu frisch waren die Erinnerungen an den Krieg, in dem Schreie, die diesem glichen, nicht selten zu hören gewesen waren. Schreie, die von immenser Marter und Verlust zeugten.

Serendipity // PJOWo Geschichten leben. Entdecke jetzt