✞︎𝙺𝚊𝚙𝚒𝚝𝚎𝚕 11✞︎

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Die letzten zwei Stunden Sport am Mittwoch sind immer eine Herausforderung.
Wir sind erst seit einer Minute in der Umkleide und jeder ist dabei sich umzuziehen, außer ich.
Meine Hände finden langsam ihren weg zu meinem Gürtel, welchen ich zögernd öffne.
Es ist so unangenehm… 
Vielleicht werden sie heute nichts zu meinem Körper sagen, aber es besteht immer eine Möglichkeit, dass sie es doch tun werden und es hält meine Hände davor auf mich auch umzuziehen.

Mit zitternden Fingern ziehe ich mein T-Shirt aus meiner Hose um es auszuziehen, behalte es dann aber doch an.
Ich blicke in einen der Spiegel, welche an der Wand gegenüber von mir hängen.
Große Augenringe zieren mein Gesicht.
Jeder Mensch trägt einen Dämon in sich und immer wenn ich in einer dieser Spiegel sehe, ist es so, als könnte ich spüren, wie sich all diese Dämonen der anderen an mir vergreifen.
Gänsehaut breitet sich auf meinem ganzen Körper aus und es kommt mir so vor, als würde mir jemand in den Nacken atmen. So ist es jedes Mal.
Es fühlt sich so an, als ob sie mich zu ihnen- ins Jenseits- zerren wollen.
In solchen Momenten wird mein Verstand völlig leer und ich starre einfach gedankenverloren in den Spiegel.
Langsam kommen dann die Bilder von verschiedenen Möglichkeiten, wie ich mich hier auf die Schnelle umbringen und dorthin- zu diesen Dämonen- befördern kann, in meinen Kopf.
Wie gerne ich es einfach tun würde...

Ich habe gar nicht bemerkt, dass jeder schon die Umkleide verlassen hat.
Inzwischen habe ich mich auf die Bank der Garderobe gesetzt.
Wie lange ich abgedriftet bin, weiss ich nicht, aber plötzlich höre ich eine Männerstimme meinen Namen sagen.
Mein Kopf dreht sich nach rechts und ich sehe meinen Sportlehrer an, welcher sich an den Türrahmen anlehnt und mich nachdenklich ansieht.
"Die anderen warten schon auf dich.", sagt er entspannt aber mit einem deutlich verurteilenden Unterton.
Nein, sie warten nicht auf mich. Sie warten darauf, dass sie endlich anfangen können mit dem Unterricht.
Aus irgendeinem Grund mag es jeder Junge blöd rumzulaufen, auf Sachen rauf- und wieder hinunterspringen und Bälle mit ihrer ganzen Kraft auf andere zu werfen. Ich finde es einfach nur nervig… 
Die meiste Zeit stehe ich nur in der Ecke und versuche mich unbemerkbar zu machen, aber in der Sporthalle bin ich plötzlich der Mittelpunkt und das nicht im Positiven.

Ich gebe ihm keine Antwort, sitze einfach nur Stumm auf der Garderobenbank und starre auf meine Hände hinab.
In einem Augenblick sitzt er auch schon neben mir und sieht mich eindringlich an, was mich nur noch nervöser macht.
Er nimmt nicht ganz so vorsichtig meinen mit blauen Flecken bedeckten Arm und betrachtet ihn.
"Wirst du geschlagen?", fragt er ernst und irgendwie auch etwas angsteinflößend.
Weiterhin schweigend sehe ich ihn an- mein Arm immer noch in seinem festen Griff.
Mr. Hwang hasst mich nicht unbedingt… aber ich bin nicht sportlich und schwänze oft seinen Unterricht, weswegen er mich wahrscheinlich auch nicht wirklich mag. Warum interessiert es ihn also?

Ich weiß, dass er mich nicht in Ruhe lassen wird, bevor ich ihm keine Antwort gebe, also will ich zum Reden ansetzen, werde aber von einer bekannte Stimme unterbrochen:
"Mr. Hwang, wegen Kenta ist das Tor wieder auseinandergefallen. Könnten Sie uns helfen?"
Der Lehrer seufzt, murmelt "Klar" und steht auf.
Er ruft mir noch ein "zieh dich um" zu, bevor er die Umkleide verlässt und wieder zu den anderen geht.

Im Türrahmen steht die Person zu der die Stimme gehörte- Jaemin.
Mit einem verhassten Blick starre ich den Blonden an.
Bis jetzt hat es niemanden interessiert, was mir angetan wird. Jeder sieht, wie sie mich Mitten im Flur zusammenschlagen und jeder kann die blauen Flecken auf meinen Armen sehen.
Aber niemand hat mich je darauf angesprochen.
Nicht bis jetzt.
Und er hat mir die Chance genommen, endlich zu reden.

Jaemin sieht mich mit seinem üblichen Grinsen an und sagt:
"Du dachtest wohl nicht wirklich, dass ich dich uns einfach so verpetzen lasse, oder?"
"Ich wollte sagen, dass meine Eltern-", will ich mich irgendwie rausreden, werde aber von ihm unterbrochen:
"Ach spar dir die Worte, von mir bekommst du kein Mitleid. Außerdem.. Ich verstehe deine Eltern in dem Fall. Ich hab ein großes Herz für Kinder, aber wenn du mein Sohn wärst, könnte ich wahrscheinlich auch nicht anders als dich zu schlagen."
Er sagt das so, als wäre es okay- nein, sogar selbstverständlich, dass man mir wehtut.
Mit diesen Worten entfernt er sich aus meinem Blickfeld und lässt mich alleine in der dunklen Garderobe sitzen.

𝑹𝒂𝒊𝒏𝒚 𝑫𝒂𝒚𝒔 / {𝐶ℎ𝑒𝑛𝑗𝑖}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt