Gedankenlos starre ich auf meine nasse Hand. Der Schnitt ist noch immer sichtbar. Dieser und die Wunde an meiner Lippe sind wohl die einzigen sichtbaren Narben, die ich an mir trage. Sie zeigen nicht ansatzweise, wie verletzt ich im Inneren bin. Aber es ist okay… Es ist sowieso nicht wichtig.
Der heiße Dampf macht es schwer zu atmen, aber ich mag es. Die Hitze ist angenehm und beruhigend.
Ich stehe schon lange unter der Dusche. Das Zeitgefühl habe ich schon längst verloren.
Wie ich es hasse, nackt zu sein… Es gibt mir ein unangenehmes Gefühl am ganzen Körper. Ich fühle mich so verwundbar und ungeschützt… Fast so wie als Jaemin mich sexuell genötigt hat..
Dennoch liebe ich die Wärme des Wassers- eine Wärme, die ich sonst nirgends bekomme.Mit heißem Wasser wasche ich mir das Shampoo aus den Haaren.
Noch ein letztes mal duschen…
Dass jetzt schon mein Geburtstag ist… Irgendwie kam es mir vor wie eine Ewigkeit und gleichzeitig, wie als wären nur Stunden vergangen, seitdem ich meinen Abschied geplant habe.
Gestern Abend konnte ich mich doch nicht davon abhalten, einen Brief an Chenle zu schreiben. Ich habe versucht meine Gefühle in Worte zu fassen, so wie ich es nie hätte in sein Gesicht sagen können.
Ob ich überhaupt dazu kommen werde, ihn ihm zu geben? Ob er schon auf mich an der Brücke wartet?Ich stelle das Wasser ab und schiebe den Plastikvorhang zur Seite. Schnell wickele ich meinen zierlichen Körper in das Handtuch ein.
Meine Augenringe sind deutlich zu sehen. Auch gestern konnte ich nicht besser schlafen als sonst. Ich war aufgeregt, besorgt, ängstlich und emotional verwirrt- bin es ehrlich gesagt auch immer noch.
Letzte Nacht musste ich viel darüber nachdenken, was in der Klasse passiert ist.
Ob Jaemin je die Wahrheit zugeben wird…?
Muss ich wirklich als beschuldigter Vergewaltiger gehen, obwohl ich das Opfer war?
Ich verlange nicht von Jaemin, dass er seine Schuld zugibt.. ich hoffe nur, dass er klarstellt, dass ich ihm so etwas nicht angetan habe…
Tränen sammeln sich in meinen Augen, doch ich wische sie gleich in mein Hand. Was wird Chenle nur von mir denken, wenn das Gerücht ihn erreicht? Er würde dann nicht einmal meinen Brief lesen…Schweigend ziehe ich mir meine Klamotten an- ich habe diesen Sweater jetzt schon 2 Jahre und er scheint mir eher zu groß zu sein als zu klein. Habe ich wirklich so viel abgenommen?
Kein Wunder, dass mich jeder meidet. Ich sehe krank aus- wie eine lebendige Leiche.
Wie sonst auch immer mache ich mich langsam fertig- ich hab genügend Zeit. Eigentlich müsste ich mir sowieso keine Sorgen um die Zeit machen, weil ich nicht zum Unterricht gehen werde. Dennoch will ich pünktlich sein, um die Schüler am Schulweg treffen zu können.Nachdem ich meine Haare geföhnt habe, verlasse ich das Badezimmer. Erst will ich hoch zu meinem Zimmer gehen, doch mein Blick schwankt zu dem Büro meines Vaters. Er sucht etwas in der Schublade seines Schreibtisches. Soll ich mich von ihm verabschieden…?- Zumindest noch ein letztes mal mit ihm reden? Wir haben nachdem ich zurückkam kein Wort mehr gewechselt.
Mein Vater verlässt kurz darauf den Raum und kommt immer weiter auf mich zu, als er den Flur entlang geht.
Es braucht mich viel Mut ihn anzusprechen.
"Guten Morgen, ich-"
Er bleibt nicht einmal stehen- unterbricht mich nur kalt: "Aus diesem Mund will ich nichts hören."
Wie ein Schlag in den Magen…
Er lässt mich wieder alleine im Gang stehen.
Obwohl ich doch gute Nachrichten für ihn hatte…
Naja...irgendwann findet er es bestimmt raus-..ich hoffe er freut sich, denn traurig darüber wird er nicht sein. Blumen werde ich auf meinem Grab bestimmt auch nicht haben. Wie konnte ich nur so dumm sein und wirklich glauben, dass meine Mutter es tun wird… Sie wird sich so lange keine Zeit dafür nehmen, bis die Schneeglöckchen verblühen.Bevor ich nach unten gehe, hole ich meine Schultasche aus dem Zimmer. Ich weiß, ich brauche sie nicht, aber ohne sie loszugehen, wäre komisch… außerdem ist es unangenehm nichts bei sich zu haben…
Ich sehe mich kurz in meinem Zimmer um. Nichts hier drinnen wird an mich erinnern.
Vielleicht die Sticker, die ich auf die unterste Schublade meines Schreibtisch geklebt habe- sie waren bei einem meiner Alben dabei- aber mehr nicht… Ob mein Zimmer für andere einen Geruch hat- so wie Chenle?
Ich seufze leise und verlasse das Zimmer.
Der Flur ist so leer. Nur blanke, weiße Wände.
Abgesehen von meinem Zimmer, fühlt sich das Haus jeden Tag so an, als würde ich gar nicht hier wohnen… Mein kleiner Raum ist alles, was ich auf dieser Welt habe.
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𝑹𝒂𝒊𝒏𝒚 𝑫𝒂𝒚𝒔 / {𝐶ℎ𝑒𝑛𝑗𝑖}
FanfictionJisung wird bald 16 und für seinen Geburtstag hat er nur ein Ziel im Kopf; der Tod. Jedoch erzählt er dies niemanden. 16 Jahre lang wurde er von seinen Eltern und der restlichen Welt wie ein niemand behandelt. Dazu kommt noch, dass er seit vier Jahr...