✞︎𝙺𝚊𝚙𝚒𝚝𝚎𝚕 12✞︎

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Mein Blick haftet an der Uhr, welche an der Wand links von mir hängt.
19:34 Uhr
Seit 5 Stunden liege ich jetzt schon in meinem Bett. Jede halbe Stunde musste ich die Alben im CD-Player wechseln. Ich habe nur drei.
Ich musste also jedes Album dreimal hören…
Hätte ich ein Handy, hätte ich auch andere Lieder hören können… und hätte nebenher auch etwas anderes machen können als an die Decke zu starren oder versuchen zu schlafen.

In meinem Zimmer gibt es nicht wirklich etwas zu tun. Alles was ich hier habe sind Standard Möbel wie Bett, Kleiderschrank, Schreibtisch etc.. Auch ein paar Bücher, aber die hab ich schon zig mal gelesen. 
Kein Keyboard, welches ich gerne hätte.
Kein Computer, weder ein Fernseher.
Nur mein CD-Player, der die einsame Stille übertönen kann.
Dass ich gerne ein Keyboard hätte, habe ich meinen Eltern nie gesagt.
Sie würden mich bestimmt auslachen, wenn ich ihnen erzählen würde, dass ich gerne etwas mit Musik machen würde… 
Aber egal was ich machen wollen würde, sie würden mich bestimmt nicht unterstützen… 

Meine Augen weichen von der Uhr ab und ich starre wieder auf die Decke. Das letzte Lied der CD fand gerade sein Ende.
Der Druck in meinem Magen wird immer stärker, bis zu dem Punkt, wo ich es kaum noch aushalte nichts zu essen.
Kurz überlege ich mir, ob ich nicht doch nach unten gehen und mir mindestens eine Scheibe Brot holen sollte.
Mit müdem Körper und schwachen Schritten stehe ich auf und will aus dem Zimmer gehen.
"Ich wollte nie Mutter sein, aber ich hoffte, dass mein Kind zumindest normal sein würde! Warum kann er nicht einfach wie jeder andere Junge sein??", höre ich die verzweifelte Stimme meiner Mutter von unten, in der Sekunde, in der ich meine Zimmertür öffne.
Mein Dad hat ihr wahrscheinlich gerade erzählt, dass ich auf einen Jungen stehe… 
Sie reden nur, wenn sie sich über den Weg laufen und zu dieser Zeit geht mein Vater immer zur Arbeit. 

Die Tür fällt wieder ins Schloss.
Nach unten gehe ich wohl lieber nicht.
Mein Körper landet zurück auf dem noch warmen Bett und ich strecke meinen Arm aus, um die CD erneut abspielen zu lassen.
Ich wiederhole ihre Worte in meinem Kopf.
Bei jedem Wort wird es schwerer für mich zu atmen.
Ich weiss nicht, warum ich nicht normal sein kann und es tut mir leid. Es tut mir so leid.
Es ist nicht nur das Make Up und meine Sexualität. Es ist alles.
Meine Existenz ist ein einziger Reinfall.
Ein paar Minuten lang starre ich einfach an die Wand und wiederlebe tausende male diesen Tag in einem Kopf.
Warum bin ich nicht einfach wie die anderen?

Erneut werden meine Augen nass und es braucht nicht lange, bis die Tränen in Strömen fließen.
5 Stunden lang habe ich mir meine Tränen zurückgehalten, weil ich nicht wieder schwach sein wollte.
Aber hier bin ich.
Auf meinem Bett liegend, mit einem Kissen an mein Gesicht gedrückt, um meine Eltern meine Schwäche nicht hören zu lassen.
Durch das Kissen, den Schmerz in meiner Brust und den Kloß in meinem Hals, bekomme ich kaum noch Luft.

So viele Gedanken kommen mir in den Kopf.
Wenn du mein Sohn wärst, könnte ich wahrscheinlich auch nicht anders als dich zu schlagen.
Er ist nicht mein Freund.
Fängst du jetzt wieder an zu flennen?
Wer würde so jemanden schon lieben können?
Ich drücke das Kissen fester an mein Gesicht, als ob es irgendetwas ändern könnte daran, dass diese ganzen Erinnerung an Sachen, die Leute über mich gesagt haben, in meinen Kopf geschossen kommen.
Kurz wird mein Schluchzen so laut, dass es schon fast als ein Schreien wiedererkannt werden könnte.
Desto fester ich das Kissen andrücke, desto weniger Luft bekomme ich und desto vernebelter wird mein Verstand. Es würde mir nichts ausmachen, einfach hier und jetzt zu ersticken.
Jeden Schlag, der mir je verpasst wurde, sehe ich im Dunkeln meiner geschlossenen Augen vor mir.
An jeden Schmerz, welcher mir durch diese Schläge angetan wurde, kann ich mich noch genau erinnern und es ist als würde ich es alles ein zweites mal spüren.
Mein ganzer Körper tut weh, obwohl es alles nur in meinem Kopf ist.
Am meisten tut es in meinem Herzen weh, denn ich habe noch nie im Leben ein "ich liebe dich" oder zumindest ein "ich hab dich lieb" gehört. 

𝑹𝒂𝒊𝒏𝒚 𝑫𝒂𝒚𝒔 / {𝐶ℎ𝑒𝑛𝑗𝑖}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt